Das italienische Rätsel

Zwei Gläser ein Gedanke

Zwei Gläser, ein Gedanke

Eine Frage, die immer wieder gestellt wird: warum trinken die Italiener in der Trattoria Wasser aus großen und Wein aus kleinen Gläsern?
Die Antwort ist verblüffend einfach: Sie können nicht aus ihrer Haut heraus, weder beim Wein noch beim Fußball. Wichtig ist die Defensive (Wasser), von der Offensive (lecker Wein) brauchen sie nicht so viel.
Darauf bin ich gekommen, als ich kürzlich mit einem italienischen Kollegen die größten Fußballspiele aller Zeiten durchdeklinierte. Und bei diesem Thema komm ich unweigerlich auf das „Wunder von der Grotenburg“ zu sprechen, ein unglaubliches, mitreißendes Europacup-Rückspiel von Bayer Uerdingen (ja, Bayer Uerdingen!) gegen Dynamo Dresden im Jahr 1986, wenn ich mich recht entsinne. Das Hinspiel in Dresden hatten die Uerdinger Nullzwo versemmelt, und so versammelten meine Fußballkumpels Patrick, Andi und ich uns erwartungsfroh vor dem Fernseher. Ein Nullzwo aufzuholen war jederzeit machbar, und deshalb versprachen wir uns ein aufregendes, offensiv geführtes Spiel, zumal Uerdingen seinerzeit von dem gern offensiv agierenden Kalli Feldkamp trainiert wurde und mit dem – meiner Ansicht nach vollkommen zu unrecht in Vergessenheit geratenen – Matthias Herget einen begnadet offensivstarken Libero aufbieten konnte. Also, vor dem Fernseher gemütlich gemacht, Pilsbier geknackt, und die Party konnte losgehen.
Zur Halbzeit diskutierten wir, in welcher Kneipe wir den Abend fortsetzen sollten. Das Spiel war durch, die Dresdner führten 3:1, Uerdingen war ausgeschieden, da konnte man sich doch am Tresen ein frisch Gezapftes gönnen, und von vergangenen Europacup-Schlachten schwadronieren. Gottseidank griff jedoch eine übergeordnete Macht (Assauers ungerechter Fußballgott?) ein und ließ uns “Nur noch 5 Minuten, vielleicht passiert ja doch noch was …” vor dem Fernseher ausharren.
Ca. 45 Minuten später war mein Couchtisch Kleinholz (Ich hatte beidfäustig auf ihn eingehämmert, während ich ca. 10mal hintereinander “Das gibt’s doch nicht!” gebrüllt hatte.), Patrick, Andi und ich lagen uns in den Armen und versicherten uns ein ums andere mal, dass wir “so etwas ja überhaupt noch nicht” gesehen hätten. Die Uerdinger hatten in einem atemberaubend rauschhaften Sturmlauf in den zweiten 45 Minuten 6 Tore geschossen und die Dresdner mit 7:3 aus dem Europacup geworfen. Noch heute fehlen mir die Worte, um dieses unglaubliche Offensiv-Spektakel zu beschreiben, bei dem auf einmal alles, aber auch alles passte, was immer die Uerdinger auch anstellten. Und vor allen Dingen herrschte eine unglaubliche Stimmung. In der Grotenburg-Kampfbahn, in der Sprecher-Kabine des ausrastenden Kommentators und in meinem Wohnzimmer.
Ca. eine Viertelstunde nach Spielende klingelte es bei mir an der Tür. “Das ist Marjam!” rief Patrick, “Das erledige ich!” Marjam war seine damalige Freundin, die sich nicht für Fußball interessierte und deshalb die Spielzeit im Kino verbracht hatte. Patrick eilte zur Tür, riss dieselbe auf und rief: “Und das war jetzt das, was ich dir seit Jahren nahe zu bringen versuche: Erlebnis Fußball! Erlebnis Fußball, verstehst du? Aber du warst ja wieder mal nicht da!” Sprach’s, knallte der vollkommen verdatterten Marjam die Tür vor der Nase zu und kam zurück zu uns ins Wohnzimmer. “Der lange Paß von Herget auf Funkel, unglaublich!”, meinte er. “Sowas hab ich ja überhaupt noch nicht gesehen.”
Ja. So ein Spiel war das.
Und von diesem Spiel hatte ich meinem italienischen Kollegen erzählt, der sich diese Schilderung in aller Seelenruhe anhörte, gleichmütig nickte und „1:0 wär besser gewesen.“ sagte.
Wie gesagt, sie können nicht aus ihrer Haut raus, unsere italienischen Freunde. Weder beim Wein noch beim Fußball.

8 platte Skatsprüche – und wie man mit ihnen gewinnt

Und was ist Trumpf?

Wenn Männer Skat spielen ist es selten ruhig am Tisch. In weihevoller Stille werden eigentlich nur die Partien der Skat-Bundesliga ausgetragen, in den skatsportlich tiefer anzusiedelnden Runden geht es fast immer laut zu. Und repetitiv, denn wir Männer neigen dazu, unser Skat-Tun wieder und wieder mit den gleichen Worten zu erklären. Diese zwischen Grand und Null-Ouvert ausposaunten, abgedroschenen Skat-Plattitüden haben dennoch eines gemeinsam: wenn man sich an die dahinter stehende Taktik hält, gewinnt man. Meistens. Wir stellen die acht gebräuchlichsten Skat-Weisheiten vor.

  1. „Dem Freunde kurz, dem Feinde lang.“
    Wenn man nicht der Alleinspieler ist und rauskommt, sollte man sich vergewissern, wer denn in Mittelhand sitzt. Der Alleinspieler? Dann sollte man ihm mit eine langen Farbe (also eine, von der man viele Karten hat) vorspielen. Wenn er die Farbe nicht hat (wahrscheinlich) muss er stechen (ein Trumpf weniger) und der Mitspieler kann im Idealfall eine kleine Karte abwerfen. Sitzt hingegen der Mitspieler in Mittelhand, spielt man eine kurze Farbe (also eine, von der man wenige Karten hat) aus, in der Hoffnung, den Mitspieler so ans Spiel zu bringen und den Alleinspieler in Mittelhand zu bringen (fast immer eine gute Idee).
  2. „Von hinten immer eine neue Farbe.“
    Wenn man ans Ausspiel kommt und noch nicht klar ist, wie die Farben verteilt sind, ist es meist sinnvoll, eine Farbe auszuspielen, die bisher noch nicht auf dem Tisch lag. Auf einer Farbe bestehen und sie erneut ausspielen sollte man nur, wenn man damit eine konkrete Absicht hat. Solange man noch im Trüben fischt: neue Farbe bringen!
  3. „Wenn man kann, soll man.
    Wenn man einen Stich machen kann, dann soll man ihn auch machen. Wenn der Alleinspieler Pikbube ausspielt und man selber Kreuzbube hat, bringt es meistens nix, zu „tauchen“ und sich den Buben für später aufzuheben. Im Zweifelsfall immer den Stich machen, am Ende (siehe 8.) zählt jeder Punkt.
  4. Achter sind Gespenster.
    Der Alleinspieler spielt Null und sitzt in Mittelhand? Dann bringt man ihn am ehesten in die Bredouille, wenn man eine Acht vorspielt. Wenn man seine schwache Farbe erwischt, muss er schon die sieben spielen und die Farbe wird noch schwächer. Die Acht ist meist das unangenehmste Ausspiel beim Null.
  5. „Auf dem Tisch sterben sie!“
    Meistens bringt es nichts, die „Vollen“ (also Zehner und Asse) zurückzuhalten. Lieber mutig ein As einer bisher noch ungespielten Farbe vorspielen und sehen, was der Alleinspieler macht. Wenn er bedient, hat man den Vollen nach Hause gebracht, wenn er sticht, hat er einen Trumpf weniger. Es gelingt so gut wie nie, alle Vollen nach Hause zu bringen, also kann man ruhig mal einen ins Geschäft stecken.
  6. „Beim Grand spielt man Ässer oder man hält die Fresse.“
    Wenn man beim Grand am Ausspiel ist und ein As hat, dann gehört es sofort auf den Tisch. Entweder man kriegt es durch (prima), oder der Alleinspieler sticht (prima, nur noch drei Trumpf draußen) oder der Alleinspieler wirft ab (Prima, wohl trumpfschwach, der Gute!).
  7. „Trumpf ist die Seele vom Geschäft.“
    Wenn man selber der Alleinspieler und am Ausspiel ist, dann zieht man grundsätzlich Trumpf. Unerfahrene Spieler gehen gern „über die Dörfer“, d.h. sie spielen zuerst die Asse ihrer Fehlfarben, um sie möglichst schnell in Sicherheit zu bringen. Dieses Sicherheitsdenken ist in Wirklichkeit riskant.  Wenn ein Gegenspieler in einer Farbe tatsächlich blank ist, kann er sofort stechen. Wenn man ihm erst die Trümpfe rausgezogen hat, kann er das nicht.
  8. „Hinten kackt die Ente.“
    Alle engen Spiele werden mit den letzten Karten entschieden. Hier lauern die Punkte, die nötig sind, um ein Spiel mit 62 oder 64 zu gewinnen. Um diese Stiche machen zu können, muss man aber so gespielt haben, dass man jetzt noch die richtigen Karten hat, und das geht nur, wenn man mitzählt. Einem Skat-Anfänger scheint es unmöglich zu sein, alle Karten im Kopf zu behalten, aber mit ein wenig Übung ist es gar nicht schwer. Es sind nur 32 Karten, 8 von jeder Farbe. Die kann man sich merken. Die muss man sich merken, wenn man gewinnen will.

Foto: uschi dreiucker / pixelio.de

Überleben im Dschungel der Großstadt: Asia-Wok-Armageddon

Typische Reaktion auf die Nr. 23 ( Gebratene Nudeln mit Tofu)

Als ersten Eindruck des Asia-Imbisses am S-Bahnhof Treptower Park erfasst den geneigten Gast schon vor dem etwas abweisenden Eingang eine schwer greifbare Dunstwolke – einerseits erdrückend schwer und fettlastig, andererseits so filigran, dass sie sich schon vor Betreten des Lokals unlösbar an Jacke, Hose und sogar Schuhen festsetzt und mit Gewebe, Leder, Haut sowie Haaren eine nur noch mit einer Terpentindusche auflösbare Legierung bildet.

Optisch gleicht das Gebilde einem Geräteschuppen, der entweder noch aus Zeiten der Einwanderung der Hugenotten stammt oder als Kriegbeute beim Einmarsch der Wehrmacht aus einer ukrainischen Datschenkolonie geraubt wurde. Die Inneneinrichtung hingegen braucht den Vergleich mit der Suppenküche der Polytechnischen Oberschule Lichtenberg 1959 nicht zu scheuen. Wahrscheinlich ist es auch genau diese.

Ein Vergleich der Gesamterscheinung mit Star Burger – dem ungekrönten Kaiser der Verwitterung in Weißensee – drängt sich hier geradezu zwingend auf. Ermittlungen, wonach es hierbei um dieselben Betreiber handelt verliefen aufgrund unüberbrückbarer Sprachbarrieren im Sand.

In Sachen Sauberkeit fällt sehr schnell auf, dass man das Entfernen von Fettrückständen auf der Abzugshaube und in diversen, bereits schwarz eingefärbten Ecken für völlig überbewertet hält und so ergibt sich ein deutlich schmuddeliges Gesamtbild mit leichten Ausflügen ins Siffige in Form von einer fast unmerklich über sämtlichem Mobiliar hauchdünn gelegten Fettschicht und dezent staubigen Nuancen auf den Ablageflächen. Eine leichtes Schütteln gepaart mit der Angst, etwas anzufassen begleitet den Gast während des ganzen Besuches. Für durchschnittlich 2,50 – 5,00 € für die Mahlzeiten kommt das Vergnügen hier billiger als Geisterbahn auf der Kirmes oder Saw VIII im Kino. Gruselfaktor 10 für schmales Geld.

Kulinarisch hat man es geschafft, den ohnehin niedrigen qualitätsmäßigen Standard aller fiesen Glutamathöllen Berlins noch zu unterbieten. Die bemitleidenswerte mausgraue Masse aus Fett, Glutamat, Dosensprossen und Industriehähnchen bildet schon direkt hinter dem Gaumen einen trockenen, aber dennoch zähen Klumpen, so dass ich mir gerne eine Klempnerspirale in den Hals gedreht hätte, wäre eine solche zur Hand gewesen.

Das Publikum besteht den Preisen angemessen aus der sonst vor dem S-Bahnhof ziel- und planlos herumlungernden Trinkergenossenschaft, deren ehrenwerte Mitglieder auch hier ihr mittägliches Sternburg käuflich erwerben können, wobei sie sich in ihrer Sprachkompetenz auf dem Niveau der Gastgeber bewegen, welches sinnvolle Verständigung als eher nachrangig einzustufen scheint. Eine wenig kaufmännisches Flair blitzt im Laden nur dann auf, wenn sich einer der im Umkreis des Treptower Parks tätigen Drogendealer hier sein wohlverdientes Mittagessen gönnt.

Die Frage nach dem hoffnungslosestem Ort der Hauptstadt scheint bis auf weiteres beantwortet.

In der Serie “Überleben im Dschungel der Großstadt” begibt sich mike-o-rama für uns in die Wildnis Berlins und testet ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit Imbiss-Buden, Fast-Food-Restaurants, Supermärkte und Orte, die nie ein zurechnungsfähiger Mensch gesehen hat. Seine Berichte erscheinen auch auf dem Bewertungsportal qype.de.

Foto: Günter Havlena / pixelio.de

Der Mann am Swimmingpool

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Video-Link: http://www.youtube.com/watch?v=0rzCT1NJABI

Harald Effenberg ist Schauspieler, er lebt und arbeitet in Berlin. Fernsehzuschauern ist er unter anderem aus der “Comedy-Falle” oder aus “Hallervordens  Spott-Light” bekannt. Sein Witz-Programm “Unter aller Sau” lief mehrere Monate lang in den Berliner Wühlmäusen. Effenberg, der nur unsportliche Verwandte hat, ist Autor des Buchs “Die 100 besten Witze aller Zeiten“.

Showdown am O.K. Corral – die besten Wyatt-Earp-Filme

Der junge Wyatt Earp

Wohl die wenigstens Männer seiner Zeit hätten gedacht, dass der Mann, der am 13. Januar 1929 für immer die Augen schloss, friedlich in seinem Bett sterben würde. Aber da er meistens genau das Gegenteil von dem tat, was seine Gegner erwarteten, starb Wyatt Earp nicht in seinen Stiefeln, sondern schlief in einem Appartement in Los Angeles, wo er als Berater an diversen Stummfilm-Western gearbeitet hatte, friedlich ein. Todesursache war keine Bleikugel, sondern ganz banal eine chronische Harnblasenentzündung. Earp wurde 80 Jahre alt, ein Alter, dass keiner seiner Freunde und erst recht keiner seiner Gegner erreicht hat. Dass ein Mann wie er – Revolverheld, Postkutschenfahrer, U.S. Marshal, Spieler, Büffeljäger, Kopfgeldjäger, um nur einige seiner Berufe zu nennen – dieses Alter erreicht hat, darf man als eins der größten Wunder der Weltgeschichte bezeichnen.

Wyatt's Wumme

Galt er bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts noch als Held der Eroberung des Westens, hat sich seitdem eine differenziertere Schicht auf diese schillernde Figur durchgesetzt, auf einen Mann, der gern das Recht brach, wenn er es hätte verteidigen sollen und der durchaus bereit war, seine Ideale zu opfern, wenn es ums nackte Überleben oder eine größere Summe Geldes ging. Trotzdem: Männer wie ihn scheint es heutzutage – leider oder gottseidank? – nicht mehr zu geben, auf wenn könnte das abgedroschene Klischee „larger than life“ besser passen als auf ihn?
Earps Leben und vor allen Dingen der Gunfight am O.K. Corral in Tombstone sind der Stoff, aus dem Hollywood Träume herstellt. Wir empfehlen die fünf, Quatsch, er trug einen Six-Shooter, die sechs besten Wyatt-Earp-Filme:

6. Doc
Tolle Idee – die Wyatt-Earp-Story mal durch die Augen Doc Holidays zu erzählen. Toller Schauspieler, nämlich Stacy Keach als Doc Holliday, wohingegen Wyatt Earp  von Harris Yulin gegeben wird, das ist ungefähr so als würde man Daniel Küblböck mit der Titelrolle einer Schwarzenegger-Biografie betrauen, also vollkommen daneben, wie leider der ganze Film. Ein hilfloser Versuch, mit einer ur-amerikanischen Geschichte einen Italo-Western zu drehen – man hockt kopfschüttelnd da und fragt, warum, ohne eine Antwort zu erhalten. Sogar Faye Dunaway als Katie Elder reißt’s nicht raus. Als Dokument des 70er-Jahre Zeitgeists (als Earp also schon über 40 Jahre tot war) hat das ganze jedoch einen gewissen Reiz. Und Stacy Keach ist Mike Hammer Stacy Keach.

5. Wyatt Earp – das Leben einer Legende (Wyatt Earp)
Eigentlich ist der Film ganz okay, aber er ist lang. Sehr lang. Verdammt lang. Kevin Costner macht, was er immer macht, das passt ganz gut, und Dennis Quaid ist als Doc Holliday ganz okay. Vielleicht hat man nur zuviel Zeit, Kostner zuzugucken (der Film ist recht lang), da fangen die Gedanken an zu wandern, das ist so bei Filmen, die ganz okay, aber nicht wirklich gut sondern viel zu lang sind. Der ganzen Sache fehlt einfach die Struktur. Der Film fängt irgendwie an, dann passiert dies, dann passiert das, alles ganz okay, aber es zieht sich, und irgendwann, nach viel zu langer Zeit, ist der Film dann vorbei. Der Film hat zwei Probleme. Erstens ist er nur ganz okay und nicht wirklich gut. Zweitens ist er zu lang. Und repetitiv ist er auch noch!

4. Die fünf Geächteten (Hour of the Gun)
Eine unterschätzte Western-Perle. James Garner kann viel mehr als Maverick (wobei Maverick schon hammermäßig gut ist), Jason Robards als Doc Holliday ist ein Glücksfall, und dass der Film mit der Schießerei am O.K. Corral anfängt und die viel spannendere Geschichte der Earp Vendetta verfälscht erzählt, ist eine schöne Abwechslung. Die Dialoge sind ebenso kernig (Doc Holliday zu einem Typen, der sich wundert, warum er beim Pokern immer verliert: „Du spielst nicht sonderlich gut. Außerdem bescheißt du nicht.“) wie die Atmosphäre. John Sturges, der auch „Zwei rechnen ab“ (s.u.) gedreht hat, konnte Männerfilme drehen wie kein zweiter. In diesem kommt übrigens keine einzige Frau vor.

3. Faustrecht der Prärie (My Darling Clementine)
Was kann man gegen einen klassischen John-Ford-Western sagen? Selbstverständlich nichts, vor allen Dingen nichts gegen ein Meisterwerk wie dieses. Auch wenn diese Geschichte so viel mit dem wahren Wyatt Earp und den Geschehnissen in Tombstone zu tun hat wie Heidi mit dem Kamasutram, wir wollen nicht zimperlich sein. Wenn wir die Wahl haben zwischen einer knackigen Legende und der tristen Realität, nehmen wir immer die Legende, wie Ford selbst in „Der Mann der Liberty Vallance erschoss“ postulierte. Henry Fonda transportiert die typische John-Ford-Mixtur aus Understatement und Pathos mit der gleichen Expertise wie John Wayne, Victor Mature wächst als Doc Holliday über sich hinaus und spielt die Rolle seines Lebens, und wenn Leute wie Linda Darnell, Walter Brennan und Ward Bond sich um die Nebenrollen kümmern, kann einfach nichts schiefgehen.

2. Zwei rechnen ab (Gunfight at the O.K. Corral)
Dieser Film hat gegenüber allen anderen Earp/Holliday-Streifen zwei Vorteile. Sie heißen Burt Lancaster und Kirk Douglas, zwei großartige Schauspieler, die in ihren gemeinsamen Filmen unfehlbar zu absoluter Höchstform aufliefen. Ansonsten ist dieser Film ein genauso pathetischer Quatsch wie die John-Ford-Variante – mit ähnlich brillant besetzten Nebenrollen, u. a. der junge Dennis Hopper als Billy Clanton und DeForest Kelley (Pille McCoy von der Enterprise) als Morgan Earp – macht aber noch einen Tick mehr Spaß. Was an Dimitri Tiomkins brillanter Musik, John Sturges‘ (der aus mir vollkommen unerfindlichen Gründen diesen Film nicht sonderlich mochte) kerniger Inszenierung und an den wüstenstaubtrockenen Dialogen liegt. Kostprobe gefällig?
Earp: We’d like you to come to the wedding, Doc, – if it doesn’t interfere with your poker.
Doc Holliday: I’m not good at weddings – only funerals. Deal me out.

1. Tombstone
Dieser Film ging seinerzeit im Hype um den Kevin-Kostner-Wyatt-Earp ziemlich unter, was ein Jammer ist. Er hat mit Kurt Russell einen herrlich knarzigen Earp mit James-Finlayson-Schnurrbart, den wirklich besten Doc Holliday aller Zeiten (dass Val Kilmer für diese absolut brillante Leistung keinen Nebenrollen-Oscar bekommen hat ist ein ewiger Schandfleck für die Academy) und in der Tat sogar noch bessere Dialoge als „Zwei rechnen ab“ (Wyatt Earp: Well, I’ll be damned. – Doc Holliday: You may indeed, if you get lucky.). Warum dieser Film letztlich alle anderen Earp-Filme aus dem Felde schießt schlägt: Er nimmt die ganze Sache und sich selber überhaupt nicht ernst. Er erzählt die ganze, hundertfach erfundene Geschichte (die eigentliche Schießerei am O.K. Corral war ein von nackter Panik geprägtes chaotisches Geballer, das gerade mal 30 Sekunden dauerte) als augenzwinkernde Achterbahnfahrt, für die man reichlich Popcorn mitnehmen sollte, und macht deshalb am meisten Spaß.

Fotos: By Sbharris at en.wikipedia [Public domain], from Wikimedia Commons (Earp)
By Evb-wiki at en.wikipedia [Public domain], from Wikimedia Commons (Waffe)

Dicke Wagen

Papa pennt im Kinderwagen

So groß, dass sogar Papa reinpasst

Davon träumen Militärs: von einem einfachen, wendigen, von einer Person zu steuerndes Gefährt, dessen bloße Anwesenheit im Nahkampf eine gegnerische Kompanie durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit beinahe komplett lahmlegen kann. Die Rede ist selbstverständlich von einem modernen Kinderwagen, über dessen massives militärisches Potential man sich in Berliner Doppeldeckerbussen ein Bild machen kann. Wenn einer (oder gar zwei!) dieser Panzerspähwagen mit einsitzendem Kleinkind mittig in den Bus gewuchtet werden, sind die restlichen Passagiere zur Immobilität verdammt, dann gibt‘s im Wagen weder vor noch zurück bis Mutter, Kind und fahrbarer Untersatz den Bus wieder verlassen haben. Warum um Himmelswillen erreichen diese Kinderwagen mittlerweile schon beinahe die Größe eines Smart?
Die Antwort ist einfach: Weil die Passagiere dieser Wagen immer größer werden. Nicht etwa, weil die Kinder heutzutage so viel größer sind als früher, sie werden einfach länger in ihren Aufklärungsfahrzeugen durch die Weltgeschichte geschoben.
Ein Beispiel: eins der größten Vergnügen meiner Kleinkinderzeit muss es gewesen sein, auf den Schultern meines Vaters durch die Gegend getragen zu werden. Mein Vater war ein 1,92m großer Hüne, der Ausblick muss fantastisch gewesen sein, und die Geschwindigkeit, mit der er mich mit seinen Sieben-Meilen-Schritten getragen hat, war für mich kleinen Jungen sicherlich atemberaubend.
Wie es wirklich war, kann ich nur vermuten, denn ich erinnere mich nicht. Lediglich ein paar alte Fotos zeigen mich auf seinen Schultern sitzend, wie ich mich fröhlich grinsend an seinen Haaren festklammere. Ich kann mich nicht daran erinnern, weil mit Kinderwagen und Auf-den-Schultern-Reiten Schluss war, als ich Laufen gelernt hatte. Ab diesem Zeitpunkt war ich für mein irdisches Fortkommen allein verantwortlich.
Heute scheint es anders zu sein, denn die Kinder, die ich in den von ächzenden Müttern durch die Gegend gewuchteten Ungetümen erblicke sind oft so groß, dass man „Können die noch nicht alleine laufen?“ fragen möchte.
Und wenn man sich das Fragen doch mal traut, kommt‘s: „Ja, klar, aber der braucht so lange. Wenn‘s schnell gehen muss, setzen wir ihn in den Buggy, das spart unglaublich Zeit.“
Nun ja, hätte man mir seinerzeit eine derartige Möglichkeit offeriert, wäre ich gar nicht aus dem Buggy herausgekommen. Ist doch viel besser, komfortabel durch die Welt kutschiert zu werden, als mühsam dieses unpraktische Gehen zu erlernen. Dann stell ich mich doch extra ungeschickt an, fall ein paar Mal hin, blöke laut los, bis Mama und Papa die Geduld verlieren und mich in den bequemen Kinderwagen setzen, ab geht die Post!
Und wer jetzt meint, das macht doch nix, wenn man die lieben Kleinen ein Weilchen länger herumkutschiert als früher, der soll sich gern einmal mit meinem Freund Andreas unterhalten. Andreas ist Tennistrainer und muss seit ein paar Jahren etwas machen, dass er vorher noch nie gemacht hat: Er muss mit kleinen Kindern, die zu uns in den Tennisclub kommen, um diesen Sport zu erlernen, rückwärts Laufen üben. Bis vor ein paar Jahren hatten die Kinder das beim Laufen lernen und Herumtoben von allein gelernt. Als die Kinderwagen noch kleiner waren.
Otto Rehagel pflegt junge Spieler davor zu warnen, sich zu früh in dicke Wagen zu setzen: „Wenn Sie jetzt schon mit dem Porsche ankommen, was wollen Sie denn fahren, wenn Sie fünfzig sind?“ Wenigstens hier hat Rehagel recht: Es ist nicht gut, in einen dicken Wagen hineingesetzt zu werden. Es ist viel besser, wenn man ihn sich in fortgeschrittenem Alter verdient.

Foto by Yoav Dothan (self taken) [Public domain], via Wikimedia Commons

Überleben im Dschungel der Großstadt: Bei Pimkie auf dem Sofa

schmelzende Uhren

Bei Pimkie zieht sich's hin

Pimkie hat ein Sofa.

Dieses Sofa ist für Männer, erschöpft und ausgezehrt von einer Odysee durch Promod, Xanaka, New Yorker und S.Oliver. Männer, die dort aber nur sitzen und stoisch starren, weil sie natürlich alle die Playstation Portable vergessen haben. Ein langes Warten – unterbrochen nur von gelegentlichen Diensten als lebender Kleiderbügel – hin und her geschickt zwischen Umkleidekabine und den Oberteilen zunächst in Größe 34, dann 36, 38, später 60.

Da sitzt Oliver, der den Nachmittag mit den Kumpels in der Hertha-Kneipe absagen musste, da der als romantisch verklärte Einkaufsbummel mit gemeinsamen Eisessen statt einer nun schon glatte fünf Stunden dauert – ohne Ansatz von Eis – und der vor lauter Langeweile die Zierlöcher in der Deckenverkleidung zählt – es sind 4856.

Neben ihm lümmelt Thorsten, der mit einem Besuch in der Daddelecke von Medimax geködert wurde und der nun langsam beginnt zu realisieren, dass daraus heute nichts mehr werden wird, weil er hier erst rauskommt wenn um 19:40 Uhr Gute Zeiten – Schlechte Zeiten anfängt. Thorsten zählt seit acht Stunden die attraktiven Kundinnen bei Pimkie – er ist noch deutlich einstellig.

Und hier sitzt Andreas, an dessen ritterliche Ehre appelliert wurde – sollte er doch auf dem weißen Schimmel den Jahresvorrat Always Ultra Long Plus von Rossmann nach Hause reiten – und der sich stattdessen seit sechs Stunden auf dem Sofa bei Pimkie wiederfindet – mit der Jahrespackung Always Ultra Long Plus in der Hand und einem iPhone, dem vor vier Stunden nach zwei Spielstunden Winter Games der Akku leer lief.

Paul hingegen versucht immer noch verzweifelt, sein zappeliges ADS-Kind zu beruhigen, seine Partnerin hat er seit Tagen nicht mehr gesehen, sie verschwand irgendwann zwischen Spaghettiträgern, Leggins und diesen hässlichen aufgeplusterten Lackjacken für Mandys und Chantalles, die es irgendwie aus dem Plattenbau nach Prenzlauer Berg geschafft haben. Paul schwitzt sehr und sieht schon desillusioniert dem Schicksal seines neben ihm sitzenden Leidensgenossen entgegen:

Dem Skelett.

Dieses Skelett ist schon sehr lange hier – quasi ein Pimkie-Veteran. Es trägt Vollbart, Baggy Pants und G-Star Sneakers aus dem letzten Jahrzehnt und stinkt auch seit einigen Monaten nicht mehr, in der verknöcherten Hand hält es noch ein BenQ-Handy, auf dem allerdings schon lange kein Tetris mehr läuft. Die Maden sind auch schon seit vielen Monden zu Mango weitergezogen, wo auf einem der sehr unbequemen Hocker ein neuer Vergessener verwest.

Und so warten sie alle darauf, dass sie irgendwann abgeholt werden oder auf dem Sofa bei Pimkie zu Staub zerfallen.

In der Serie “Überleben im Dschungel der Großstadt” begibt sich mike-o-rama für uns in die Wildnis Berlins und testet ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit Imbiss-Buden, Fast-Food-Restaurants, Supermärkte und Orte, die nie ein zurechnungsfähiger Mensch gesehen hat. Seine Berichte erscheinen auch auf dem Bewertungsportal qype.de.

Foto: Gerd Altmann/pixelio.de

Der erste Hippie

Cover des ersten Tarzan-Romans

Mein Bruder ist wegen Tarzan von der Schule geflogen. Er hat im Biologie-Unterricht heimlich einen Tarzan-Comic gelesen. Dabei wurde er von Dr. Z., dem Biologie-Lehrer ertappt, der das Heft natürlich sofort konfiszierte. Während Dr. Z. dann – mit sich und der Welt sehr zufrieden – weiter über irgendeinen biologischen Quatsch daher schwadronierte, nahm mein Bruder ein neues Heft aus der Schultasche und vertiefte sich wieder in die unglaublich spannenden Abenteuer Lord Greystokes, den man im Dschungel Tarzan nannte. Der Comic muss sehr spannend gewesen sein, denn er war von seiner Lektüre so gefesselt, dass er nicht merkte, wie Dr. Z. sich ihm ein zweites Mal näherte. Und weg war das nächste Tarzan-Heft. Mein Bruder nahm es mit Gelassenheit: er war grundsätzlich auf alles vorbereitet und hatte immer ausreichend Lesestoff dabei. Also holte er das nächste Tarzan-Heft aus seiner Schultasche, vertiefte sich in die Lektüre, und… als Dr. Z. ihm das dritte Tarzan-Heft wegnahm, durfte Thomas ihn auch gleich zum Direktor der Lehranstalt begleiten…
Soviel Aufregung um ein paar Tarzan-Hefte ist heutzutage einigermaßen erstaunlich. Zwar galten damals, in den fünfziger Jahren, Comics („Heftromane“) per se als „Schund“, der die Jugend verdirbt, aber Tarzan war das schlimmste, was man sich vorstellen konnte. So schlimm, dass die damalige Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften die Tarzan-Hefte „Tarzan – Der Riese aus grauer Vorzeit“ und „Tarzan – Der Urwald brennt“ am 9 Juli 1954 als erste Comics überhaupt auf den Index setzte. Es handele sich um Schriften, die auf Jugendliche „nervenaufpeitschend und verrohend wirken“ und die sie „in eine unwirkliche Lügenwelt versetzten“, so das Urteil, „derartige Darstellungen seien das Ergebnis einer entarteten Phantasie“ (lt. sueddeutsche.de).
Naja, gut, „unwirkliche Lügenwelt“ kommt irgendwie hin, aber „entartete Phantasie“ geht gar nicht. Schließlich war Tarzans Erfinder, Edgar Rice Burroughs, Science-Fiction-Autor, was sag ich, er war einer der Gründerväter der modernen Science Fiction, der heute noch in den USA als Klassiker der utopischen Literatur geht. Und die Tarzan-Reihe war seine erfolgreichste Kreation, ein enorm populärer Welterfolg von zuvor nicht gekannten Dimensionen, denn Tarzan verließ bald die Buchdeckel und eroberte sein Publikum in den verschiedensten Medien.
Bereits 1918, sechs Jahre nach dem Erscheinen der ersten Tarzan-Geschichte, kam der erste Tarzan-Film heraus, an die hundert weitere sollten folgen. Im Radio wurden Hörspiele gesendet, am 7. Januar 1929, heute vor 82 Jahren, erschien der erste Tarzan-Comic, gezeichnet von Hal Foster, der später mit Prinz Eisenherz in den Comic-Olymp einziehen sollte, vor ein paar Jahren schaffte es der König des Dschungels sogar auf die Musical-Bühne… kein anderer Pop-Mythos hat die Menschen über Generationen hinweg immer wieder so fasziniert wie Tarzan.
Mit Tarzan hatte Burroughs den Urvater aller Superhelden geschaffen: einen von Affen aufgezogenen Mensch, der gleichzeitig zivilisiert und wild, freundlich und rücksichtslos, vernunft- und instinktgesteuert ist. Zwei Seelen kämpfen in ihm und zwingen ihn – bei allen übermenschlichen Taten, die er vollbringt – zur ständigen Selbstreflexion. Das ist das Material, aus dem man Figuren schafft, die den Leser damals wie heute fesseln, vom Jugendlichen bis zum Erwachsenen.
Was damals die Jugendschützer jedoch auf den Plan rief, das war Tarzans Lebensweise. Der Mann hatte die gesellschaftlichen Schranken hinter sich gelassen, lebte in einem (Baum-) Haus, das er nicht bezahlt hatte, bevorzugte rhythmische, von Trommeln dominierte Musik, trug die Haare lang, pflegte eine „Zurück-zur-Natur“-Lebensweise und ließ sich von niemandem etwas sagen… Richtig, Edgar Rice Burroughs hat mit Tarzan den ersten Hippie geschaffen, und eine solche Figur musste in den sittenstrengen, verklemmten Fünfziger Jahren Misstrauen erregen.
Und doch hatten die Jugendschützer recht. Tarzan hatte mit seiner frechen Ablehnung jeglicher Autorität einen schädlichen Einfluss auf die heranwachsende Jugend, wie man am Beispiel meines Bruders sieht. Dem wurde im Büro des Schuldirektors eine goldene Brücke gebaut, er brauchte sich nur zu entschuldigen, dann würde man es bei einer Androhung des Verweises von der Anstalt belassen. Mein Bruder nickte, entschuldigte sich halbherzig und fragte dann mit der typischen, rebellischen Arroganz des Dschungelkönigs: „Kann ich jetzt meine Tarzan-Hefte wieder haben?“
Fortan besuchte er das Gymnasium im Nachbarort. Und las Tarzan während der Bahnfahrt dorthin.

Die besten Tarzan-Links:
Die „offizielle“ Tarzan-Seite
Die Welten von Edgar Rice Burroughs
Englische Tarzan-Bücher im Project Gutenberg
Der Tarzan-Schrei in der englischen Wikipedia
Tarzan-Comics in der englischen Wikipedia
Homepage von Burne Hogarth, dem vielleicht bekanntesten Tarzan-Comics-Zeichner
Die Tarzan-Filme (englisch)

Die gefährlichste Jahreszeit

Diät

Diät - Quatsch ohne Sauce

Die gefährlichste aller Jahreszeit beginnt. Die Plätzchenbüchsen sind leergegessen, der Appetit auf deftiges Winteressen ist – vorübergehend – gestillt, die Gedanken beginnen sich langsam auf das in ca. drei Monaten unerbittlich über uns hereinbrechende Frühjahr zu richten, und das bedeutet, dass Ehefrauen („Gattinnen“ heißt das, wenn man zu Guttenberg heißt), Freundinnen, Lebensabschnittsgefährtinnen oder wie man die unverzichtbaren Damen nun mal nennen möchte, langsam beginnen, einen mit noch kritischerem Auge als sonst anzusehen. Dieser Blick ist wohl bekannt, er wird nämlich jährlich geblickt, und jährlich folgt dann der Satz: „Ein paar Pfund weniger würden dir gar nicht schaden …“
Volle Deckung, die Auswahl der Frühjahrsdiät steht an, und spätestens zum Beginn der Fastenzeit wird aus theoretischem Unfug praktischer Quatsch, dann wird man in das neueste Atkins-Glyx-Sonstwas-Diät-Korsett gezwängt, bekommt statt Essen etwas serviert, wo eine Kaninchenfamilie drin schläft und hat trotzdem spätestens nach einem Jahr das alte Kampfgewicht (plus 1 oder 2 Kilo) wieder erreicht.
Denn alle Diäten, die im Wochentakt über die adipöse Gemeinde hereinprasseln, haben eines gemeinsam: sie funktionieren nicht. Wenn man mich fragt, ob in meinem erweiterten Bekanntenkreis jemand mit einer Diät sein Gewicht dauerhaft reduzieren konnte, kann ich – leichten Herzens, schweren Leibes – mit „Nein“ antworten. Kenne keinen, der dieses Kunststück vollbracht hat.
Mit nicht funktionierenden Diäten reich geworden sind hingegen viele. Wer die Zeit übrig hat, der googele mal den Satz „Warum Diäten nicht funktionieren“. Zwei Drittel der Seiten, auf denen Google diesen Satz findet, erklären sehr schön und sehr luzide, warum es nicht funktioniert, preisen aber gleichzeitig irgendwelche Pillen oder Pülverchen an, mit denen es dann trotzdem gehen soll.
Mittlerweile gibt es eine Milliarden umsetzende Diät-Industrie, deren Geschäftsmodell ausschließlich auf dem schlechten Gewissen ihrer meist weiblichen Kundschaft basiert. Da kann die Diät noch so wirkungslos gewesen sein, der Jojo-Effekt so unbarmherzig zuschlagen, wie er will: die Frau, die vorhersehbar an einem nicht funktionierendem Konzept gescheitert ist, gibt unfehlbar sich selbst die Schuld und nicht den Ernährungs-Gangstern, die sie auf diesen Holzweg geführt haben.
Erstaunlicherweise funktioniert diese weibliche Selbstschuldzuweisung ausschließlich beim Thema Diät, bei allen anderen Themen wird sofort der meist vollkommen unbeteiligte Ehemann („Gatte“ bei den zu Guttenbergs), Lebensabschnittsgefährte, Freund, „Bekannter“ als Hauptschuldiger ausgemacht.
Eine Erklärung für dieses Phänomen habe ich – trotz jahrelangen Nachsinnens – nicht gefunden. Ich weiß nur, dass es regelmäßig wiederkehrt. Jetzt, in der gefährlichsten Jahreszeit.

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Der Koma-Kater

Die Unschärferelation des Komatrinkers

Ein Jahr ist vergangen, in dem man es wieder nicht zu Ruhm oder wenigstens Berühmtheit gebracht hat, die Silvesternacht ist Geschichte. Es sind nur noch wenige Zeugnisse nächtlicher Feierlaune in Berlin zu sehen, ein paar leere Sektflaschen, verschmorte Böller-Hülsen und einige komabesoffene Jugendliche liegen auch noch in den Parks und auf den Spielplätzen herum. Zumindest sollte das der Fall sein, wenn es nach den unverbesserlichen Rabauken der Deutschen Angestellten Krankenkasse geht, die kurz vor Tores- bzw. Jahresschluss mit den neuesten Horrorzahlen bezüglich jugendlicher Komasäufer aufgewartet haben. In Rheinland-Pfalz haben sich elf Prozent mehr Jugendliche als 2008 bewußtlos getrunken, in Niedersachsen 10,3 Prozent und in Berlin – die Hauptstadt schlappt wie immer statistisch hinterher – immerhin noch sechs Prozent. Trotzdem: welche Schmach für den Champagner-gestählten Klaus Wowereit, satte 5 Prozent besoffene Jugendliche weniger zu haben als der biedere Dornfelder-Mann Kurt Beck.
Trotzdem kein Grund zur Aufregung, weder für Wowereits Wahlkampfteam noch für die ständig überbesorgten Gutmenschen („Um Himmelswillen, unsere Jugend ist nur noch blau, die Renten sind nicht mehr sicher!“). Denn einerseits haftet der Statistik der DAK ein gewisser Odeur an: zwar sind die Zahlen besonders junger Menschen (jünger als 15), die sich bewusstlos getrunken haben, tatsächlich im angegebenen Maße gestiegen, die Zahl jugendlicher Komasäufer insgesamt ist sogar gesunken, zum Beispiel in Brandenburg um 7,6 Prozent (lt. Märkischer Allgemeine) Und andererseits gibt es – meiner bescheidenen Ansicht nach – gar nicht mehr jugendliche Komasäufer als vor zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jahren. Jugendliche müssen sich ausprobieren, ihre Grenzen austesten, und wenn man seine Grenzen beim Thema Alkohol definieren will, geht das nicht ohne die ein oder andere Grenzüberschreitung. Das ist meist nicht sehr schön, aber letztlich kein Grund zur Aufregung, die Welt ist vor vierzig Jahren auch nicht untergegangen, als der Schreiber dieser Zeilen in höchst beklagenswertem Zustand nach Hause kam, und auch die düstere Zukunft, die ihm seinerzeit prophezeit wurde, ist nicht eingetreten.
Vermutlich waren seinerzeit genauso viele junge Menschen genauso strunzbreit wie heute, und vermutlich war es vor hundert, zweihundert, dreihundert Jahren ebenfalls so. Es gibt allerdings einen feinen Unterschied: heute haben die jungen Menschen Mobiltelefone.
Und mit denen lässt sich ganz einfach der Krankenwagen alarmieren, wenn einer von den Kumpels soviel getrunken hat, dass er weder Sprach- noch Bewegungsapparat mehr koordinieren kann und sich möglicherweise seines Abendessens auf dem Wege entledigt hat, auf dem es zu sich genommen wurde. Was wäre denn die Alternative? Selbst die Kotze wegwischen, den Semi-Bewusstlosen nach Hause transportieren und da seinen Eltern den Zustand ihres Sprößlings erklären? Da ist der Griff zum Handy doch kommoder, zumal die 112 auch noch kostenfrei zu erreichen ist. Eigentlich schade, dass man das noch nicht per SMS (GPS-Daten der Schnapsleiche werden automatisch eingefügt) erledigen kann.
Und dann gibt es natürlich noch eine Presse, die hinter den für ihre Beitragserhöhungen trommelnden Alarmisten der Krankenkassen nicht zurückbleiben will, und jeden, aber auch wirklich jeden Scheißdreck schreibt und druckt, mit dem man besorgten Eltern Angst einjagen kann. Die Tagessspiegel-Headline „Jugendlicher sitzt betrunken auf Schulklo“ mag als Beispiel dafür dienen, dass man mit wirklich jeder Nicht-News zum König des Schulhofs werden kann: „Kiek ma, ich steh im Tagesspiegel, wie die Merkel und der Bohlen!“
Noch nie war es so einfach, berühmt zu werden. Hat mal wer ’n Bier?

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