Ausnahmespieler

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-N0622-0035 / CC-BY-SA, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

Ich hatte das große Glück, Franz Beckenbauer im Stadion Fußball spielen zu sehen. Als ich von 1975 ab in München studiert hab, bin ich regelmäßg ins Olympiastadion gegangen, um ihm zuzuschauen. Meine Eindrücke von damals hab ich 2007 in einem kleinen Erinnerungstext für meine private Homepage verarbeitet, heute veröffentliche ich den Text nochmal hier. Zur Erinnerung an den Ausnahmespieler des deutschen Fußballs.

Ja, ich hab ihn noch spielen sehen, diesen vornehmen, weißhaarigen Herren, der Distinktion aus jedem Knopfloch ausstrahlt, wenn er zum Mikrofon greift, und entweder unglaublich kluge Sachen oder den größten Larifari hinein redet.

Bevor ich ihn zum ersten Mal im Stadion spielen sah, hatte ich ihn schon unzählige Male im Fernsehen gesehen. Trotzdem blieb mir bei seinem ersten Antritt die Luft weg. Um Himmels willen, war der Kerl schnell! Den meisten Bundesliga-Spielern konnte er mit dem Ball am Fuß einfach davon laufen. Und die, die selber den Ball führten, hat er mühelos eingeholt. Er war schon dreißig, als ich ihn zum ersten Mal spielen sah. Aber einen schnelleren hatte ich nie gesehen.

Und irgendwas besonderes war an seiner Art, den Ball zu führen, zu dribbeln, sich umzuschauen… irgendwas machte er anders als alle anderen Spieler auf dem Platz. Irgendetwas war äußerst speziell… nur was? Kurz vor Schluß der ersten Partie, die ich mit ihm sah, wurde es mir klar und als es mir klar wurde, mußte ich erst mal tief durchatmen. Der guckte ja gar nicht auf den Ball!

Jeder andere Spieler, jeder normale Spieler (er war damals alles mögliche, aber kein normaler Spieler) guckte im Sekundentakt nach unten, vor seine Füße, um sich zu vergewissern, wo der Ball gerade war. Er nicht. Er lief… nein, er lief nicht, er war schneller, er rannte… Quatsch, für einen Renner waren seine Bewegungen viel zu elegant, auch wenn er sauschnell war, er rannte nicht, er eilte, genau, er eilte hoch erhobenen Hauptes über den Platz, während seine Augen den günstigst postierten Mitspieler suchten und die Formation des Gegners überblickten, und beinahe niemals hat er den Blick senken müssen. Der Ball war sein Freund. Er wußte, wo der Ball war. Da mußte er nicht nachgucken.

Dann war da die Handbewegung. Wenn ein Mitspieler den Ball versemmelt hatte, den er ihm gerade zentimetergenau in den Fuß gespielt hatte. Wenn einer der Manndecker sich mit einem Oma-Trick hatte düpieren lassen, so dass er selbst eingreifen musste, wenn irgendeiner der Stolperbrüder, mit denen er gezwungenermaßen zusammen spielen musste, sich mal wieder beim kleinen Fußball-Einmaleins verrechnet hatte, dann machte er diese kleine, wegwerfende Geste mit der Hand. Als wollte er sagen „Vergeßt den Blödmann, der lernt’s eh nie.“ Seine Mitspieler pflegten die Geste mit zusammengebissenen Zähnen zu erdulden. Nur der Torwart soll ihm einmal „Wenn du diese Handbewegung noch einmal machst, falle ich vor allen Leuten auf die Knie und bete dich an!“ zugerufen haben.

Tja, und dann diese weiten, das Spiel öffnenden Pässe. Wenn man den ersten dieser Pässe gesehen hat, hielt man die Luft an. Das waren unglaubliche Dinger, die er da aus dem Fußgelenk raushaute. Ja, aus dem Fußgelenk. Jeder andere hätte sich den Ball vorlegen und mit dem Schußbein ziemlich weit ausholen müssen, um den Ball 40, 50 oder 60 Meter nach vorne zu spielen. Er konnte eine solche Länge mit einem lässigen Schnickser aus dem Fußgelenk erreichen, und allein diese Fähigkeit wäre atemberaubend gewesen, wenn da nicht noch die unglaubliche Präzision dieser Pässe gewesen wäre. Er konnte diese Pässe so präzise timen, dass der Adressat des Balls einfach in dem Moment blind losspurten konnte, wenn der Schnickser aus dem Fußgelenk kam. Er wußte, dass er den Ball problemlos würde mitnehmen können, weil er ihm im vollen Lauf im richtigen Moment vor den richtigen Fuß fallen würde. Ja, es waren solche Pässe. Man gewöhnte sich nicht an sie. Man staunte immer wieder, wenn er so ein Ding raushaute.

Er selber wußte übrigens im Moment, da der Pass seinen Rist verlassen hatte, ob der gelungen war oder nicht. Wenn er stehen blieb, dann war es ein guter Paß. Der würde zentimetergenau auf dem Fuß des anvisierten Mitspielers landen, der dann das seine mit diesem ihm in prachtvollster Weise dargebrachten Ball machen mußte. Das weitere lag nicht mehr in seiner Verantwortung. Das tat es aber sehr wohl, wenn ihm der Paß einmal – was selten, aber doch gelegentlich geschah – mißlang. Dann setzte er sofort dem eigenen Ball nach, weil er wußte, dass die Chance bestand, dass er zurückkommen könnte. Und da er auf dem Feld grundsätzlich eher Stratege denn Taktiker war, versuchte er fast immer, Gefahren bereits im Keime, das heißt in der Nähe der Mittellinie zu ersticken. Auch wenn er selbst nur allzu deutlich wußte, dass er der unbestritten beste letzte Mann der Fußballgeschichte war und vermutlich bleiben würde, er wußte um das Risiko letzter Mann zu sein und vermied es, wenn es irgend möglich war. Er wollte nicht brillieren, weil er nicht brillieren mußte: Wenn man ihn und die anderen einundzwanzig spielen sah, merkte auch der Uneingeweihte in Sekundenbruchteilen, wer der beste Spieler auf dem Platz war.

Der beste? Nein, das trifft es nicht ganz. Er war die Ausnahme. So hab ich ihn gesehen. So hat er gespielt, der Franz.

[Tipp der Woche] Die Suche nach dem Lieblingsclub – „Wochenendrebellen“ im Kino

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Video-Link: https://youtu.be/1Hbyvd4Y5hE?si=oaFBIZdhgqM61D3u

Jason ist zehn Jahre alt. Da er Autist ist, rebelliert er immer wieder gegen die Regeln in seiner Schule und gerät mit Lehrern und Mitschülern immer öfter aneinander. Seinen Eltern wird nahegelegt, ihn auf eine Art Sonderschule zu schicken. Jasosn Vater Mirco, der meist nur an den Wochenenden Zeit für seine Familie hat, hat eine andere Idee: Jason verspricht, seine Wutanfälle in den Griff zu bekommen, und er hilt ihm, endlich seinen Lieblings-Fußballclub zu finden, in dem er mit ihm Spiele von allen Vereinen der 1., 2. und 3. Liga besucht. Das Grundhopping-Abenteuer beginnt.

Das ist die Inhaltsangabe von „Wochenendrebellen„, und mehr braucht’s nicht, um den Film vorzustellen und dringend zu empfehlen. Es handelt sich um eine sehr anrührende, manchmal zum Brüllen komische Vater-Sohn-Geschichte, erzählt vor dem Hintergrund der emotionalsten Sportart der Welt, Fußball. Ein absolutes Muss für Freunde des „Beautiful Game“ und Familienmenschen.

Verlieren im Tennis, Augenklappen-Jokes und der neue Rasen im Bernabéu – die Links der Woche vom 1.9. bis 7.9.

Jeden Freitag auf “Männer unter sich”: Links, die uns während der Woche untergekommen sind – Sport, Cartoons, Reportagen, Hintergründe zu unseren Artikeln usw. Männliche Themen zum Wochenende, viel Spaß!

Die Woche ist an mir vorbeigerauscht, ich hab gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist. Heut guck ich in den Kalender und sehe, dass es schon wieder Freitag ist, Zeit für die Links der Woche, die besten Geschichten und Videos der letzten sieben Tage. Gottseidank hab ich mir gestern schon gesagt: „Mach mal die Links der Woche fertig, Freitag ist schneller da, als du denkst“. Deshalb kann ich sie heute pünktlich online stellen, eure Links der Woche. weiterlesen…

Es geht eine Seife auf Reisen…

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Sommerzeit – Reisezeit. Da packt man gern den Koffer und fährt in die Fremde, um sich mal ein, zwei oder gar drei Wochen in einem anderen Badezimmer zu rasieren. Die Urlaubsrasur handhabt natürlich jeder anders, wie ich schon mal beschrieben habe, aber ich mach dieses Jahr was Neues: Üblicherweise rasier ich mich auf Reisen ja mit Rasiercreme, aber dieses Jahr soll es Rasierseife sein. Ich muss eine Bresche in meine Vorräte schlagen, und deshalb wird Seife neu gekauft statt Creme neu gekauft! Doch wie verreist man mit Rasierseife? Mein Alltags-Rasiertiegel ist für den Kulturbeutel zu groß und hat auch keinen Deckel, damit krieg ich das Stückchen Seife für die Urlaubsrasuren nicht transportiert… weiterlesen…

Das männliche Zitat der Woche (CXXIII): Walter Scheel

Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1989-047-20 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons

„Demokratisch ist es, dem anderen zuzuhören, seine Meinung zu erwägen, das, was einem selbst einleuchtet, zu akzeptieren und gegen das Übrige, unter ständiger Wahrung des Respekts vor der Person des anderen, seine Gegenargumente vorzubringen.“

Walter Scheel

Wenn der Fußball verboten wäre…

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Video-Link: https://youtu.be/yZ3ammxF1Pg

Auf diesen Filmausschnitt, der mir auch nach mehrmaligem Anschauen noch verlässlich eine Gänsehaut macht und die Tränen in die Augen treibt, bin ich durch Jason Kottke aufmerksam gemacht worden.  Der Ausschnitt stammt aus dem vielfach preisgekrönten Film „Timbuktu“ aus 2014, der davon erzählt, wie Dschihadisten versuchen, in den Dünen von Timbuktu lebende Hirten ihrem Regime zu unterwerfen und ihr Leben und ihren Glauben zu kontrollieren. Den ganzen Film sollte man über amazon prime streamen können, dort ist er aber aktuell nicht für Deutschland verfügbar, woran das liegt, habe ich nicht herausfinden können. Wie dem auch sei, in dieser kurzen Szene, in der die islamistischen Fundamentalisten versuchen, den Menschen das Fußballspielen zu verbieten, ist es Regisseur Abderrahmane Sissako tatsächlich gelungen, die Essenz des Fußballsports, das „beautiful game“ einzufangen. Wenn die Menschen in stummem Protest mit einem imaginären Fußball zu spielen beginnen, ihm nachjagen und waghalsige Kombinationen spielen, spürt man die ganze urtümliche Freude, die dieses Spiel den Menschen schenken kann. Was für Momente, was für ein Spiel!