Mit den Jungs im Boot

Eins vorweg: Ich hab mit Rudern nix am Hut. Merkwürdiger Sport. Man hockt in einer Nusschale, rührt das Wasser um, nach spätestens einer Minute drohen die Muskeln mit Kater und das Ganze auch noch ohne Ball… sowas muss doch nicht sein. Trotzdem hab ich gerade ein Buch gelesen, Quatsch, geradezu verschlungen, das sich beinahe ausschließlich ums Rudern dreht. “Das Wunder von Berlin” erzählt nämlich die Geschichte der amerikanischen Rudermannschaft, die 1936 bei den Nazi-Spielen in Berlin die Goldmedaille gewonnen hat.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Buch gelesen zu haben, dass dermaßen tief in eine Sportart eintaucht, tatsächlich bis zum Kern vordringt und dem Leser diese Quintessenz dieses Sports derart anschaulich vorträgt.

Wobei “anschaulich” wörtlich zu verstehen ist. Das “Wunder von Berlin” ist kein sportwissenschaftlicher Vortrag, sondern erzählt die Geschichte eines Mitglieds dieser Mannschaft, die Geschichte von Joe Rantz. Rantz ist in bitterer Armut aufgewachsen und war bereits als Junge gezwungen, auf eigenen Füßen zu stehen und sich Schule und Studium durch harte körperliche Arbeit selbst zu finanzieren – kein ungewöhnliches Schicksal in den USa der Depressionszeit. Aber unsereins blättert staunend um und nimmt sich vor, in Zukunft nicht mehr so oft über das eigene, schwere Schicksal zu meckern. Weil’s gar nicht mehr so schwer erscheint.

Wie dem auch sei, Joe Rantz schafft’s 1934 an die Washington University in Seattle und dort in die Ruderabteilung. Und gemeinsam mit Rantz arbeitet sich der Leser vom Übungsboot in den Achter der Ersten Mannschaft vor, der schließlich bei den Olympischen Spielen um die Goldmedaille fährt. Mit Joe lernt der Leser alles über den Rudersport, und zwar von den damals besten ihres Fachs: von Tom Bolles, dem Trainer der Freshmen (Erstsemester), von Cheftrainer Al Ulbrickson und vor allen Dingen von Bootskonstrukteur und Ruder-Jedi George Pocock, dessen Einsichten in Rudern als Mannschaftssportart das Gerüst des Buchs bilden.

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Video-Link: https://youtu.be/zk3JzMVGe00

Denn das Wort „Mannschaft“ wird in dieser Erzählung ganz groß geschrieben, denn letztendlich geht’s darum, wie 9 Rudersportler, die erbittert gegeneinander gekämpft haben, um einen Platz im Olympia-Boot zu ergattern, ihre Rivalität aufgeben und zu einer Mannschaft zusammenwachsen, die, wenn sie den gemeinsamen „Swing“ gefunden hat, wie ein Ruderer agiert und reagiert. Wie Autor Daniel James Brown die Ruder-Wettkämpfe dieser Mannschaft beschreibt, ist schlichtweg atemberaubend. Man glaubt, zusammen mit den Jungs im Boot (der Originaltitel des Buchs ist „The Boys in the Boat“) zu sitzen, fiebert mit ihnen mit und möchte sie am liebsten anfeuern, obwohl das alles schon über 80 Jahre her ist.

Tolles Buch. Durchlesen, mindestens mit 38er Schlagzahl!

Daniel James Brown
„Das Wunder von Berlin“
Goldmann Verlag
Taschenbuch, 496 Seiten
ISBN: 978-3442159260
14,99 € (auch als E-Book für 10,99 erhältlich)

Markiert mit 1936, Achter, Buch, Das Wunder von Berlin, Rudern, Sportbuch.Speichern des Permalinks.

Eine Antwort zu Mit den Jungs im Boot

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