Blattkritik: „Zeitspiel – das Magazin für Fußball-Zeitgeschichte“

ZeitspiellcoverMit Drogen ist das so eine Sache. Wer süchtig ist, weiß: Mit der Zeit braucht man immer mehr und vor allen Dingen härteren Stoff. Das ist mit Fußball nicht anders als mit den softeren Drogen wie Koks und Heroin. Für den Fußball-Abhängigen, dem kicker, 11 Freunde und ballesterer 1 nicht mehr genügen, gibt‘s jetzt »Zeitspiel«, das Magazin für Fußball-Zeitgeschichte.

Die meisten Menschen, die glauben, sich für Fußball zu interessieren, interessieren sich nur für ein relativ kleines Segment dieses Sports, nämlich für das, was ab Oberkante zwote Liga so abgeht. 1. Bundesliga, EuroLeague, Champions League, EM und WM. Wer weiß, wer auf den Aufstiegsplätzen der Regionalliga steht oder wer in der Premier League gerade Tabellenführer ist, kann schon beinahe als Experte gelten und demnächst mit einer Einladung zum Doppelpass rechnen. Selbst die meisten Ultras interessieren sich vordringlich für den mediengerecht inszenierten Profi-Fußball, das große Spektakel, die Dramen, die sich in Stadien abspielen die »Theatre of Dreams« genannt werden. Und ich mach da keine Ausnahme. Herrgottnochmal, wer guckt denn nicht lieber Champions League als Kreisliga B?

Als ich die »Zeitspiel« aufschlug, hab ich erstmal mit dem Kopf geschüttelt. Verlagsmanager würden die Themenauswahl höflich als mutig oder realistisch als selbstmörderisch bezeichnen.Es geht unter anderem um Vereine der dritten, vierten oder fünften Liga, die seit Jahren gegen die Insolvenz ankämpfen müssen. Als beispielhafter Traditionsklub wird Borussia Fulda auf satten neun Seiten vorgestellt. Auch die Fußballgeschichte kommt nicht zu kurz: Neben einem Rückblick auf die desaströse Zweitliga-Saison des Spandauer SV (1975/76) steht der erste Teil einer dreiteiligen Serie über die Fußballgeschichte Schlesiens inkl. umfangreichem Staistik-Teil mit aussagekräftigem Zahlen- und Tabellenmaterial. Äh, ja? Aber sonst geht‘s noch gut? Wen soll denn das bitteschön interessieren?

Okay, ich soll ‘ne Blattkritik schreiben, da muss ich jetzt durch. Kopfschüttelnd beginne ich, das Auslands-Special über Fußball in Tansania zu lesen. Interessant. Sogar hochinteressant. Wusste ich alles noch nicht. Und, ja, doch, spannend, auch wenn‘s etwas ab von den üblichen Pfaden liegt. Okay, die Insolvenzgeschichte überfliege ich nur, die ist zu… Oh. Auch interessant. Sehr interessant. Ebenfalls hoch spannend.

Machen wir‘s kurz: Ich hab das ganze 92 Seiten starke Heft durchgelesen. Nicht auf einen Hau, aber binnen einer Woche habe ich immer wieder zu dem Heft gegriffen und ein, zwei Artikel gelesen, bis ich‘s tutto kompletti durch hatte. Vom Thema her hab ich mich für keinen der Artikel interessiert. Bevor ich angefangen hab, ihn zu lesen. Jetzt finde ich das ganze Heft hochinteressant. Und wichtig. Unerlässlich, wenn man seinen Horizont erweitern will. Was einem bei der Lektüre klar wird: Wie winzig der Teil des „beautiful game“ ist, für den wir Profi-Fußball-Junkies uns interessieren. Das große Ganze entgeht uns, und damit viele wichtige, schöne, spannende und – ich wiederhol mich – sehr interessante Geschichten.

Okay, ich werd jetzt nicht anfangen, in die Pampa zu pilgern und Landesliga zu gucken oder sowas. Aber ich freu mich jetzt schon auf das nächste Heft der »Zeitspiel«. Da kommt der 2. Teil der Schlesien-Serie. Und was über die Szene in Aserbeidschan. Könnte wieder sehr interessant werden.

Disclaimer: Wir haben von den Zeitspiel-Machern gratis ein Rezensionsexemplar bekommen. Herzlichen Dank.

  1. Wem auch nur eine der genannten Zeitschriften nichts sagt, braucht nicht weiter zu lesen. Ehrlich. Falsche Zielgruppe.
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