Turniertagebuch Fußball-EM 2012 – Tag 19 (1. 7.)

Henri-Delaunay-CupUnser Turniertagebuch zur Fußball-Europameisterschaft erscheint spieltäglich auf “Männer unter sich”.  Ein kurzer Kommentar zum Turniergeschehen, Videos, aktuelle Links,  tippspielfreie Tipps und das Zitat des Tages – so sehen unsere Rubriken aus.
Heute ist Turniertag 19. Das große Finale zwischen Spanien und Italien. Das mir beinahe völlig mumpe ist. Ich beginne, an unserer „goldenen“ Generation zu zweifeln. Zu verzweifeln?

1. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel 

Als die Aufstellung angesagt wurde, hab ich mir auch verwundert die Augen gerieben. Gomez? Okay, kann man machen, wenn er einen guten Tag erwischt. Gomez hat einen schlechten Tag erwischt. Podolski? Typischer Löw-Einfall: Spieler durch absolutes Vertrauen stärken, sie auch in schwierigen Situationen bringen, damit sie zu ihrer Leistung zurückfinden und sich richtig reinhängen. Nun ja, Podolski war durch einen derart komplexen Gedankengang („Ich geb dir was, dafür gibst du mir was zurück“) wohl schlichtweg überfordert. Und dann noch Kroos. Löw hat ihn gegen Pirlo gestellt, weil er den für den gefährlichsten Italiener hielt. Auch diesen Gedankengang kann ich nachvollziehen, obwohl er mit dieser Aufstellung und Taktik die eigentliche Stärke der deutschen Mannschaft geschwächt hat: die Offensive. Man hat’s nach der Pause gesehen: als Löw die Startaufstellung korrigiert hatte, lief es gleich deutlich besser.
Aber immer noch nicht gut.
Was auffällt: in den Turnieren unter Löws Verantwortung (08, 10, 12)  spielt die Mannschaft zum Teil mitreißend und begeisternd nach vorn, bis es im Halbfinale oder Finale ans Eingemachte geht. Dann wird plötzlich defensiv und zaghaft agiert. Was niemand außerhalb des Kreises um die Nationalmannschaft wissen kann: Kriegt da Löw regelmäßig Angst vor der eigenen Courage oder sind die Spieler dem Druck solcher Spiele (noch?) nicht gewachsen?
Löw zum Sündenbock zu machen, ist letztendlich zu billig. Ein Trainer kann nur so gut sein, wie seine Spieler, und selbst wenn er sich an der Taktiktafel vercoacht: es sind die Spieler, die auf dem Platz stehen, und zu Weltklassespielern gehört eben auch, dass denen auf dem Platz was einfällt, wenn die vorgegebene Marschroute sich als irrig erweist (soll ja gelegentlich vorkommen).
Dieses Mal war im Prinzip der Ausgang der Partie bereits nach dem Absingen der Hymnen vorhersehbar: die Italiener schmetterten ihr Lied mit einer Inbrunst, mit der man sich die großen Bühnen dieser Welt erobert. Unsere wirkten daneben wie ein Knabenchor, dessen Mitglieder nur Lippenbewegungen machen, aus Angst auch nur ein falsches Tönchen zu produzieren.
Wir haben eine Generation von Nationalspielern, die von einigen schon als „golden“ bezeichnet wurde. Das war voreilig. Zu einer wirklich goldenen Generation von Spielern gehört der absolute Erfolgswille. Den kann man lernen. Die 74er Weltmeister haben es im 70er Halbfinale getan. Die 90er Weltmeister im Finale 86. Die heutige Generation hatte jetzt dreimal Gelegenheit (08,10,12, wie gesagt) für diesen entscheidenden Lernprozess. Langsam kriege ich Zweifel, ob sie bis 2014 die Kurve kriegen.

2. Das Video des Tages

Vor diesem Turnier sind Spanien und Italien das letzte Mal 1988 bei einer Europameisterschaft aufeinander getroffen. Die Italiener (wer sonst?) gewannen mit 1:0. Hier die entscheidende Aktion von Vialli:

http://youtu.be/A3W4bK9vTPY

3. Die Linksaußen des Tages

Ein großes Thema dieser EM war die Auswahl der TV-Bilder durch die UEFA. Am Donnerstag gab es wieder so einen Vorfall
Als Kind eines „Gastarbeiters“ weiß man manchmal nicht, für wen man jubeln soll. schöner Artikel in der Tageswoche.
Heißt es eigentlich Konservativismus oder Konservatismus? Die „5 Freunde im Abseits“ entscheiden sich für variante Zwo und sehen den Bundestrainer darin gefangen.
Im Sportsaal arbeitet man sich am Unterschied zwischen „echten“ und Event-Fans ab.
Und dann haben wir noch zwei lesenswerte EM-Fazits, eins vom Kaisergrantler und eins von FernglasFCB.
Und was Trainer Baade zum Italienspiel und zu Löw schreibt, kann ich Silbe für Silbe unterschreiben.
Arndt Zeigler hat einen sehr lesenswerten „offenen Brief“ geschrieben, ihn allerdings auf Facebook veröffentlicht, wo ihn wohl nur Facebookmitglieder lesen können.

Täglich zu klicken: Das Videotagebuch von Köster und Kirschneck bei den 11 Freunden, Kai Pahls Turnierbegleitung bei Alles außer Sport und die unverzichtbaren Taktikanalysen von Spielverlagerung. Wer will, kann noch bei Zonal Marking gegenchecken.

4. Der tippspielfreie Tagestipp  

Spanien – Italien 1:2

5. Das Zitat des Tages

„Er ist ein Begnadeter. Er ist wie Mozart, der ein Requiem für die Deutschen komponiert. Es fehlt nur noch, dass er Wasser in Wein verwandelt.“

Die „Gazzetta dello Sport“ über Andrea Pirlo.

Foto Cup Henri Delaunay von Piotr Drabik (Flickr: Puchar Henri Delaunaya) [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons

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