Die Bundestrainer (1): Helmut Schön

Herberger_SchoenIn den letzten Monaten – genauer gesagt seit dem taktisch einigermaßen vergurkten 1:2 gegen Italien bei der letzten EM – ist Bundestrainer Joachim Löw in die Diskussion geraten. »Unfähigkeit, einen Titel zu gewinnen«, wird ihm u. a. gern vorgeworfen. Natürlich hat Löw auch seine Verteidiger (nicht nur Philipp und Jerome), die mit gewichtigen Argumenten für ihn streiten. Für mich (ich bin Fan der Nationalmannschaft seit 1965) ist das Anlass, eine kleine Serie zu schreiben und Löw mit seinen Vorgängern zu vergleichen. Heute die erste Folge: über Helmut Schön.

Der erste Bundestrainer, den ich als Fan der Nationalmannschaft erlebte, war also Helmut Schön, und im Vergleich zu seinen späteren Kollegen war Schön eigentlich gar nicht anwesend. Man mag es kaum glauben, aber zu Schöns Amtszeit hatte Fußball noch den Status einer ganz amüsanten Nebensache, und der Bundestrainer kam in der Öffentlichkeit nur im Umfeld eines wichtigen Länderspiels vor. Unwichtige Länderspiele gegen »kleine Nationen« (die gab‘s ja damals noch) oder Testspiele wurden – es stockt einem der Atem – nicht live übertragen, ja, meistens gab es dann in den Spätnachrichten (»Tagesthemen« standen auch noch nicht auf dem Programm. Wir hatten nichts. NICHTS!) nur eine Meldung wie »In einem Fußball-Länderspiel trennten sich die Bundesrepublik Deutschland und Finnland eins zu Null, das einzige Tor der Partie schoss Gerd Müller. Bundestrainer Helmut Schön sprach von einer fairen Begegnung.«

Spielphilosophie, Taktik und Showmanship waren damals kein Thema. Der Bundestrainer hatte dafür zu sorgen, dass die Mannschaft gewann, fertig.

Wenn Schön im Fernsehen auftrat, kam er zurückhaltend rüber, beinahe schüchtern. Er versteckte sich gern hinter etwas unbeholfenen Floskeln und war damit vermutlich unfreiwillige Inspiration für einen seiner Nachfolger. Man merkte ihm an, dass er sich in einer Sportschule deutlich wohler fühlte als im Studio. Außerdem galt er – vermutlich zu Recht – als konfliktscheuer Zauderer. Bevor er sich mit einem »verdienten Nationalspieler« (O-Ton Schön) anlegte, machte er lieber erst mal gar nichts.

Paradebeispiel dafür war die Abwehrreihe der Nationalmannschaft. Während der Jahrhundertspieler Franz Beckenbauer im Verein längst den aufregendsten, besten Libero der damaligen Zeit spielte, stellte Schön ihn in der Nationalmannschaft stur im Mittelfeld auf, vermutlich, weil er Angst vor einer Auseinandersetzung mit dem etatmäßigen »Ausputzer« Willi Schulz hatte.

Doch Schön war auch nicht doof. Er erkannte, dass er die Spielergeneration der frühen Siebziger Jahre nicht mehr mit den Sekundärtugenden der Herberger-Ära führen konnte, und er ließ einigen seiner Spieler die sehr lange Leine. Und man hatte durchaus das Gefühl, dass die Spieler (vor allen Dingen Beckenbauer) auch bei der Kaderzusammenstellung und der Aufstellung ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hatten. Das Gerücht, Beckenbauer habe beim 74er Turnier nach dem 0:1 gegen die DDR die Nationalelf im Handstreich übernommen, hält sich hartnäckig.

1974

1974

Die Spieler dankten Schön seine Zurückhaltung und Fürsorge mit einem sensationellen Score (wenn man von der verpassten EM-Endrunde 68 und dem unseligen Turnier 78 in Argentinien absieht): 1966 zweiter Platz, 1970, dritter Platz, 1972 (mit einer spielerisch Maßstäbe setzenden Mannschaft) Europameister, 1974 Weltmeister, 1976 zweiter Platz.

So locker er mit den Spielern umging, für sich selbst konnte er das Autoritätsdenken nicht ablegen. 1978 wagte er nicht gegen DFB-Präsi Neuberger aufzumucken, als der dekretierte, Beckenbauer durfte nicht zur WM fahren, weil er ins Ausland, zu Cosmos New York, gewechselt war. Die Harmonie im DFB schien Schön wichtiger zu sein als der Titel, denn ihm musste klar sein, dass die Mannschaft ohne Beckenbauer keine Chance hatte.

So geriet dann Schöns Abschied höchst blamabel: Nicht nur sportlich, ausgerechnet die historische 2:3-Pleite gegen Österreich war Schöns letztes Länderspiel, das Auftreten der deutschen Delegation in der damaligen argentinischen Militärdiktatur ließ insgesamt sehr zu wünschen übrig. Präsident Neuberger rügte die holländischen Spieler, die den Blut-Generälen den Handschlag verweigerten und begrüßte den Alt-Nazi und Waffenhändler Hans-Ulrich Rudel im Mannschaftsquartier. Mannschaftskapitän Vogts verblüffte mit dem Statement, dass in der Diktatur »Ruhe und Ordnung« herrschten und »politische Gefangene nicht zu sehen« seien.

Unbeschadet ist aus diesem Turnier keiner rausgekommen. Fast keiner. Kein Journalist, kein Fan kam auf die Idee, Schön auch nur eine Teilschuld am sportlichen oder menschlichen Versagen der DFB-Delegation zu geben. Kein anderer Trainer nach ihm war ähnlich beliebt beim Publikum, selbst die Lichtgestalt, der Firlefranz nicht. Schließlich: Welcher andere Bundestrainer wurde mit einer unsäglichen Udo-Jürgens-Schnulze verabschiedet?

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Video-Link: http://youtu.be/kwUgPYMzcE0

Und nun das Fazit: Wie war er als Trainer? Ich mach‘s mir einfach: Wirklich einschätzen können das nur seine Spieler. Von einem Bundestrainer erwartete man hierzulande damals in erster Linie nachvollziehbare Personalentscheidungen, und die fielen Schön meist leicht, denn er war mit einer goldenen Generation gesegnet. Beckenbauer spielte immer, und wenn er zwischen Netzer und Overath wählen musste, nahm er den, der gerade nicht verletzt war. Schön prägte eine Ära des Aufbruchs, als der Fußball den Herberger-Mief der 50er Jahre abschüttelte. Er kreierte kein System, wie zum Beispiel die Holländer mit ihrem »Fußball total«, er vertraute auf den Individualismus seiner Spieler. Und er hatte Erfolg, Weltmeister UND Europameister… das hat keiner seiner Nachfolger geschafft. Kunststück. Er hatte die Spieler dafür. Und er hatte Fortune.

 (wird fortgesetzt)

Briefmarke Herberger/Schön:  uploaded by Eintracht4ever ([1]) [Public domain], via Wikimedia Commons
Bild 1974 von Verhoeff, Bert / Anefo [CC-BY-SA-3.0-nl ], via Wikimedia Commons

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5 Antworten zu Die Bundestrainer (1): Helmut Schön

  1. Avatarwaldenhofer sagt:

    Fan (?) der Nationalmannschaft seit 1965 – dann machen Sie doch bitte nächstes Jahr zum 50jährigen Jubiläum Schliß.
    Dann muss man sich diesen unerträglichen Schund nicht emhr länger anhören. Aber heutzutage soll ja jeder Depp mit abgebrochener Hauptschulausbildung seine Meinung schreiben.

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