Comedy-Sommer: Kurzgeschichte – Der Brunnenkauf

„Schatz, was hältst du davon, wenn wir direkt vor unserer Terrasse im Garten einen kleinen Springbrunnen aufstellen?“
„Sanftes Geplätscher von Wasser an einem sonnigen Abend bei einer guten Flasche Wein und danach… Mein Flo, du hast immer so tolle Ideen! Ich liebe dich!“
„Heute Vormittag liegt nichts bei mir an und Jan kommt erst morgen von der Klassenfahrt zurück. Wir könnten in den Restpostenmarkt fahren, da gibt es gerade Springbrunnen im Angebot.“
„Super, ich räume nur eben die Küche auf, dann können wir gleich los.“
Wenig später saßen wir im Wagen.
„Ach Schatz, da vorne ist ein Supermarkt. Ich brauche nur noch etwas Fleisch. Fahr´ doch bitte dahin.“
„Und du brauchst wirklich nur Fleisch? Du weißt, dass wir noch nach einem Brunnen für unseren Garten schauen wollen?“, fragte ich ungläubig.
„Aber natürlich. Glaubst du, ich würde dich belügen? Niemals!“
Also bog ich auf die Worte meiner Frau vertrauend Richtung Supermarkt ein. Hunderte von Gleichgesinnten bevölkerten bereits mit ihren Autos den Parkplatz, es dauerte eine Weile, bis ich eine Abstellmöglichkeit gefunden hatte.
Silvia steuerte nach dem Aussteigen geradewegs auf die Einkaufswagen zu.
„Gibst du mir mal einen Euro für den Einkaufswagen?“
„Wenn du nur Fleisch kaufen möchtest, wofür brauchst du dann einen Einkaufswagen? Oder willst du ein halbes Schwein mitnehmen?“
Silvia warf mir einen bitterbösen Blick zu.
„Ist ja schon gut!“
Ich suchte in meinem Portemonnaie, doch vergeblich, die gewünschte Münze fand sich nicht.
„Tut mir leid, habe ich nicht, aber drinnen gibt es auch kleine tragbare Einkaufskörbe. Das dürfte dann ja reichen.“
„Du bist so ein Schlauer! Wenn ich dich nicht hätte, was würde dann bloß aus mir werden?!“
Im Eingang griff ich mir einen Einkaufskorb, Silvia war bereits in die Gemüseabteilung vorgegangen.
„Was suchst du denn hier? Fleisch wirst du ganz bestimmt nicht finden!“
„Sehr komisch. Mir fiel gerade ein, dass uns noch Kartoffeln fehlen. Ich allein muss ja immer an alles denken, das wäre dir natürlich nie eingefallen. Nimm diesen 10-kg-Sack gleich mit.“
„Aber dann ist der Einkaufskorb ja bereits gefüllt.“
„Tja, dann wirst du wohl noch einen zweiten holen müssen.“
Hatte ich es doch geahnt. Noch niemals ist sie in einen Supermarkt gefahren und hat nur ein einziges Teil gekauft. Nach jedem Einkauf war der Einkaufswagen bis zum Bersten gefüllt. Und ich stand hier bereits mit zwei Einkaufskörben, doch das sollte nicht der Rest sein, ebenso spontan kam ihr noch in den Sinn, 2-Liter-Colaflaschen mitzunehmen, jeweils mehrere in den Geschmacksrichtungen classic, cherry und zero. Kurze Zeit später trug ich auch nicht mehr zwei sondern bereits vier Einkaufskörbe, weil sich noch diverse Konservendosen fanden, die wir ebenfalls dringend benötigten, um uns vor dem Verhungern zu bewahren.
„Jetzt haben wir alles. Wir können zur Kasse gehen. Mein Schatz, gleich bist du erlöst.“
„Und was ist mit dem Fleisch?“, ich hatte es kaum ausgesprochen, als ich mir im gleichen Moment am liebsten auf die Lippen gebissen hätte.
„Mein Liebling, du hast ja so recht. Also auf zur Fleischtheke!“
Meine Arme waren inzwischen so lang, dass ich mir locker im Stehen die Kniekehlen kratzen konnte.
„Für eine geordnete Reihenfolge bitte eine Marke ziehen!“, stand auf dem Schild über der Fleischtheke. Die Menschentraube darum herum ließ nichts Gutes erwarten.
„Welche Nummer hast du gezogen?“, fragte ich Silvia.
„136“
„Na prima, dann sind ja nur 34 Leute vor uns. Wenn wir so weiter machen, werden wir heute keinen Brunnen mehr aussuchen können. Kannst du das Fleisch nicht bei einem anderen Metzger holen?“
„Nur hier gibt es das beste Fleisch, das hast du selbst gesagt. Und was nützt uns der schönste Brunnen im Garten, wenn wir verhungert davor liegen?“
Ihre Argumentation überzeugte mich immer wieder, ich fügte mich also in mein Schicksal.
Nicht nur, dass meine Arme immer länger wurden, die Last der Körbe ließ meinen Rücken schrumpfen. Ich wartete etwas abseits und stellte fest, dass irgendwann die Körbe auf dem Boden standen. Als ich sie losließ, belohnten dies meine bis wohl zur Unkenntlichkeit zusammengedrückten Bandscheiben mit einem spontanen Wachstum wie ein Springteufel um gefühlt mindestens 20 Zentimeter.
„Nochmal!“, hörte ich eine Kinderstimme, „du kannst aber toll zaubern.“
Ein kleiner Junge hatte mein spontanes Wachstum begeistert beobachtet. Mehr aus Langeweile hob ich die schweren Körbe zum Schrumpfen wieder an und wiederholte die Prozedur. Immer mehr neugierige kleine Augen drehten sich nun zu mir um, es bildete sich eine richtige Kindertraube. Ich ergänzte meine Show nach und nach um weitere Zaubertricks, mit denen ich bereits unseren Jan zum Stauen bringen konnte. Schon sammelten sich die ersten Münzen vor mir. Eine Mitarbeiterin hielt mich offensichtlich für einen von der Marktleitung bestellten Unterhalter und brachte mir zwischenzeitlich Kaffee und Kuchen, für deren Verzehr ich unter dem Murren meiner kleinen Zuschauer meine Vorstellung kurz unterbrach.
„Schau mal Mama, was für ein hässlicher Springteufel“, hörte ich plötzlich ein kleines Mädchen sagen, das mir zusätzlich noch den Stinkefinger zeigte und dabei die Zunge herausstreckte.
Ich wollte mir gerade das kleine Monster zur Brust nehmen, als Silvia wieder auftauchte.
„Wirklich tapfer gewartet, mein kleiner Flo. Nun können wir endlich zur Kasse gehen. Wie ich sehe, hast du die Zeit ja sinnvoll genutzt.“
„Ja, die Kinder waren bis auf ein Monster begeistert von meinen Darbietungen, aber wo ist das Fleisch?“
„Das konntest du vergessen, die hatten nichts Passendes da.“
Ich schüttelte nur den Kopf und sammelte die Münzen auf. Na wenigstens hatte sich das Warten gelohnt, sollten wir noch jemals einen passenden Brunnen finden, wäre die Finanzierung selbst einer Luxusausführung gesichert.
Die gefüllten Behälter wollte ich gerade an einem Einkaufswagen vorbeischieben, als ich unvermittelt gegen eine Wand prallte. Nanu, dachte ich bei mir, die war doch gerade noch nicht da. Während ich einen Weg suchte, um sie zu umgehen, sprach mich die Wand drohend an: „Eh du Zwerch mit Anhang! Vordrängeln zur Kasse is nich. Schön hinten anschtelln!“
Ich blickte steil hinauf zu einem Muskelprotz vom Typ Hulk, der mich aus einem giftgrünen Gesicht mit blutunterlaufenen Augen blitzend anstarrte und mir mit dem Zeigefinger schmerzhaft gegen die Nase flitschte.
„Wie haben sie mich genannt, Anhang?“, fauchte ihn Silvia an.
„Was wills du olle Zicke denn? Sieh´ zu, dass du nach Hause hinner´n Herd komms und deine Bude sauberhäls, klaro?“
Oh, oh, das hätte er nicht sagen dürfen. Wenn Silvia etwas nicht ausstehen konnte, dann war es übles Macho-Gehabe. Mir schwante Schlimmes, sicherheitshalber versteckte ich mich hinter den Einkaufskörben. Sie stellte sich dem Kerl direkt gegenüber, der sie um mindestens einen Kopf überragte. Im nächsten Moment klappte er wie ein Messer zusammen und schrumpfte auf die Hälfte seiner Größe, das zielgerichtet angehobene Knie von Silvia hatte voll ins Geläut getroffen. Die Geräusche, die er dabei von sich gab, wirkten ebenso laut wie das Ausblasen eines Wales. Zwischen ihrem Zeige- und Mittelfinger kniff sie seine Nase ein und drehte sie genüsslich zur Seite.
„Au, hör auf damit, du tus´ mir weh!“, schrie er.
„Was sagtest du gerade zu mir? Eine olle Zicke, die hinter den heimischen Herd gehört?“, dabei drehte sie seine Nase noch ein Stück weiter.
„Ich hab´ das nich´ so gemeint, ´tschuldigung. Aber hör´ endlich auf“, winselte er vor Schmerzen.
Die in der Warteschlange vor ihm Stehenden drehten sich nach und nach um.
„Müssen wir nun hinter dir stehen bleiben oder können wir vorbeigehen?“
„Kein Problem, geht ruhich weiter, ich hab´ sowieso noch ´was vergessen.“
„Geht doch! Warum nicht gleich so? Immer diese Wichtigtuer! Na, mein Schatz, hast du gesehen, wie man mit solchen Leuten umgeht? Sind doch ohnehin alles nur Weicheier!“, erklärte Silvia mit stolz geschwellter Brust, „Komm Florian, wir können vorbei.“
Merkwürdig, gerade noch musste ich zu ihm aufschauen, jetzt konnte ich auf den Winzling hinunterblicken, dachte ich, als ich die Körbe an der Trauergestalt vorbei schob.
„Sag mal, dass er sich dir gegenüber wie ein Macho benommen hat, konntest du nicht verknusen, aber dass er mich als Zwerg tituliert und mich geflitscht hat, das war in Ordnung?“
„Stell´ dich bloß nicht so pingelig an. Wer hat denn diesen Möchtegern aus dem Weg geräumt und sich eben nicht hinter den Einkaufskörben versteckt, du oder ich?“
„Bin ich dir denn gar nichts wert?“
„Wollen wir hier und jetzt eine stundenlange Grundsatzdiskussion über unsere Ehe führen oder endlich mal das Angehen, weshalb wie losgefahren sind?“
Silvia stellte sich mir direkt gegenüber.
„Ich finde auch, dass wir uns um den Brunnen kümmern sollten.“
Bis vor die Kassen hatten sich inzwischen alle Wartenden zu uns umgedreht.
„Wir machen auch Platz.“
„Gehen sie bitte durch.“
„Da fällt mir gerade ein, ich habe auch noch etwas vergessen!“
Mit solchen Worten wurden wir ehrfurchtsvoll immer weiter Richtung Kasse durchgewinkt. Wenige Minuten später konnten wir den gesamten Einkauf im Wagen verstauen. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
„Und jetzt geht´s auf zum Sonderpostenmarkt!“, sagte ich freudig.
„Nein halt, mir fällt da noch etwas ein, ein wenig Kuchen für nachher zum Tee wäre nicht schlecht, außerdem brauchen wir noch eine Fernsehzeitung.“
„Heute könnte ich auf den Kuchen verzichten.“
„Du bist doch immer der erste, der sich beklagt, wenn es keinen Kuchen zum Tee gibt! Jetzt will ich dir etwas Gutes tun und das ist auch nicht recht? Wie soll man es euch Männern bloß recht machen? Außerdem ist der Zeitschriftenladen direkt neben dem Bäcker, das kann ich in einem Abwasch erledigen.“
„Also ich kann mich auf dein Wort verlassen, du bist sofort wieder zurück?“
„Ganz gewiss mein Schatz, ich schwöre, bei allem, was mir heilig ist!“
„Gut, ich warte dann im Wagen. Die paar Minuten werde ich schon überleben. Bis gleich, aber beeil dich!“
Ich setzte mich in den Wagen und dachte nach. Sie hatte mir bei allem, was ihr heilig war geschworen, nur Kuchen und eine Fernsehzeitung zu kaufen. Aber was war ihr eigentlich heilig? Während ich noch darüber meine Gedanken schweifen ließ, schaltete ich das Radio ein. Aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des Radiosenders gab es eine Sondersendung mit 10 mal 10 Rocksongs, gerade tönte auf Platz 95 von Queen „The show must go on“ aus den Lautsprechern. Geil! Genau meine Mucke, ich vergaß schwärmend mithörend völlig die Zeit. Als die Reihenfolge bei den letzten dreissig ankam, wunderte ich mich erst, dass Silvia noch immer nicht zurückgekommen war.
Schreibt sie die Fernsehzeitung selbst? Oder zeigt sie den Frauen in der Bäckerei, wie man den Laden richtig schmeißt?
Ich versuchte mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ein Garten ohne Brunnen auch sehr schön sein könnte und ging besorgt wieder in den Supermarkt. Keine Silvia zu finden, weder bei der Bäckerei, dem Zeitungsstand noch im restlichen Einkaufsbereich. Wo steckte sie bloß?
Ich ging wieder zurück zum Wagen und schaute mich um, immer noch keine Spur von ihr. Also beschloss ich, mich zumindest weiter von der Rockmusik positiv motivieren zu lassen. Ich kurbelte die Scheibe herunter und lehnte mich zurück. Inzwischen spielte auf Platz drei Deep Purple „A strange kind of woman“.
„Kaum lasse ich dich fünf Minuten allein, und schon finde ich dich pennend im Auto wieder!“, riss mich plötzlich Silvias gellende Stimme aus meinem Traum von der eigenen Sturm-und-Drang-Zeit.
Mühsam rappelte ich mich hoch, um in die Realität zurückzukehren.
„Fünf Minuten? Das waren mindestens fünf Stunden! Wo hast du dich überhaupt herumgetrieben?“
„Schön, dass du auch einmal danach fragst. Wahrscheinlich warst du noch froh, dass ich weg war. Viele Sorgen kannst du dir ja nicht gemacht haben, wenn du dich von diesem Lärm voll dröhnen lässt.“
„Ich habe dich überall gesucht, beim Bäcker, dem Zeitungsstand, im Supermarkt, keine Spur von dir! Was hätte ich denn noch machen sollen? Und wo warst du überhaupt?“
„Du bist so phantasielos. Wenn du wenigstens ab und zu mal dein Hirn auch zum Mitdenken nützen würdest! Also, was für ein Laden ist direkt neben dem Supermarkt?“
Ich überlegte kurz.
„Ein Schuhgeschäft?“
„Genau! Und? Hast du dort nachgeschaut?“
„Nein! Warum sollte ich auch? Allein deine Schuhe bevölkern Zuhause mehrere Wandschränke. Außerdem wollten wir uns nach einem Brunnen umschauen, es war ja nie die Rede davon, dass du Schuhe kaufen wolltest!“
„Ich sag´s ja, du bist total unsensibel und hast kein Verständnis für mich! Stattdessen gehst du mir mit deinem ständigen Gerede von dem Brunnen gehörig auf die Nerven.“
„Aber genau deshalb sind wir doch losgefahren!“
„Dass du so kleinlich und unflexibel sein musst!“
„Und überhaupt, wieso hat das denn solange gedauert?“
„Die hatten tolle Jubiläumsangebote.“, begann sie zu schwärmen, „Außerdem habe ich meine alte Freundin wieder getroffen. Du weißt schon, Katrin, die aus dem Spielwarenladen. Gemeinsam haben wir dann anprobiert. Und für jedes zehnte paar Schuhe gab es einen Piccolo Prosecco dazu. Nach drei habe ich dann aber aufgehört, der Alkohol hat mich beschwipst.“
„Waaas? Du hast in aller Seelenruhe dreißig Paar Schuhe gekauft ohne mir bescheid zu sagen?“
„Genau genommen habe ich den vierten Piccolo Katrin geschenkt und mehr als sieben weitere Paare, die mir gefallen haben, konnte ich nicht mehr finden. Ich habe schon besser sortierte Läden gesehen.“
Ich war schockiert.
„Und dann regst du dich auf, wenn ich hier bei guter Rockmusik ins Träumen gerate, was keinen einzigen Cent kostet?“
„Wenn du dich mehr um mich gekümmert hättest, wäre ich sogar mit dir Essen gegangen und hätte auf ein oder vielleicht sogar zwei Paar Schuhe verzichtet.“
Mir fehlten die Worte!
„Außerdem habe ich Hunger und mir tun die Füße weh. Wir laden noch die Schuhe ein und machen uns dann auf den Heimweg!“
Völlig benebelt vom Kaufrausch meiner Frau fuhren wir anschließend nach Hause. Ein Brunnen steht bis heute noch nicht in unserem Garten.

HPS  / pixelio.de

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