Dannys Postkarte, die Herkunft der Gendersterne und die besten Erfindungen des Jahres – die Links der Woche vom 2.12. bis 8.12.

Jeden Freitag auf “Männer unter sich”: Links, die uns während der Woche untergekommen sind – Sport, Cartoons, Reportagen, Hintergründe zu unseren Artikeln usw. Männliche Themen zum Wochenende, viel Spaß!

Nicht zu fassen: Heute ist erst der 9. Dezember, und trotzdem ist übermorgen schon der dritte Advent. Krass, was für lange Adventszeiten einem der Kalender manchmal beschert. Und trotzdem komm ich dann kurz vor Heiligabend wieder unter Zeitdruck, egal wie lang die Adventszeit war. Ganz ohne Druck hingegen hab ich diese Woche die Links der Woche für euch gesammelt, die besten Geschichten und Videos, die im Internet zu finden waren. weiterlesen…

[Tipps zum Wochenende] Tatort aus Münster, Marathon aus Manhattan

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Video-Link: https://youtu.be/H60xqT4dPYg

Dieses Wochenende haben wir zwei Reiseziele für euch ausgesucht. Für den Tatort am Sonntag solltet ihr euch nach Münster begeben, bzw. um 20 Uhr 15 die ARD einschalten. Der neueste, lässig-entspannte Ermittler-Spaß mit Börne und Thiel steht an, diesmal soll es um Peinlichkeiten aus Börnes Vergangenheit gehen, das klingt doch seeeehr vielversprechend. Wem Münster und die Kabbeleien der beiden Provinz-Fürsten zu eng erscheinen, der kann seinen Blick ins weltstädtische Manhattan wenden. weiterlesen…

Ultralauf 100km Biel 2011

Heiko Müller, ist für “Männer unter sich” schon mal eben kurz von Hamburg auf den Brocken gefahren und hat für uns eine vierteilige Serie über Ultra-Läufe geschrieben. Heute Nacht geht er bei den 100 km von Biel an den Start und bloggt live von der Strecke.

Biel 2011 – Hin und Weg Edition

Biel, immer wieder Biel. Eigentlich heißt es ja: Einmal musst Du nach Biel. 2011 ist jetzt ein viertes Mal. Und wie so oft denke  ich jetzt vorher, dass es auch das letzte Mal sein wird. Es geht  mir nämlich schlecht. So richtig schlecht. Ich habe Schmerzen in beiden Achillesfersen, die Knie tun weh und die Hüfte joddelt in allen Tonlagen. Wenn ich 10 km gelaufen bin kann ich am nächsten Tag keine Treppe hinunter gehen ohne Gefahr zu laufen zu stürzen. Hin und wieder sacke ich einfach „durch“ nachdem ein stechender Schmerz durch die Hüfte schießt. Keine guten Voraussetzungen.

Und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen fühle ich mich auch noch schlapp. So was von Schlapp. Ich möchte einfach nicht mehr laufen. Und das obwohl ich vor Biel nur lächerliche 461km in 2011 trainiert hatte. Bei meinem Debüt in 2006 dachte ich noch fast 1200km seinen wenig. Und nun stehe ich da mit einem Drittel. Und will Biel laufen. Ich bin wirklich unsicher ob Knochen und Fitness diesmal für einen Zieleinlauf reichen werden.

Damit es lustig bis zum Schluß bliebe habe ich dann noch die Hin-und-Weg Edition gebucht. Sprich, es gibt keine Schlafstatt in der Lago Lodge wie all die Jahre zuvor. Nein. Ich werde erst gegen Mittag in Zürich landen und dann mit sehr wenig Vorlauf Biel erreichen. Für 1-2 Stunden Schönheitsschlaf sollte es aber dennoch reichen. Und damit ich unterwegs nicht in’s Trödeln geraten würde, habe ich den Rückflug von Zürich für 20:00 Uhr gebucht. Mit Bahnfahrt, Check-In und Duschen würde es bedeuten ich muss bis 14:00 im Ziel sein.  16Stunden. Ja, ich weiß, das ist kein Laufen mehr. 9:35 auf den km würde auch ich nicht wirklich als Laufen bezeichnen. Aber das ist der Schnitt und wenn man die Pausen an den Verpflegungsstationen abzieht würde es bedeuten, dass ich der echten Bewegungsphase schon so um die 7:30 hoppeln müsste.

OK, das ist also der Plan, wie es wirklich wird könnt Ihr ab dem 17.06.11 22:00 hier in den Kommentaren lesen, die ich – so Technik und Geist es zulassen – live vom Lauf posten werde.

Heiko, 50 Jahre, arbeitet am Tag, läuft nachts, sammelt Uhren, schraubt an Autos und liebt die Familie über alles. Heikos Seite ist schlusslaeufer.de.

Von 0 auf 100: Der Weg zum Ultra-Läufer (Teil IV)

Heiko Müller, der für “Männer unter sich” schon mal eben kurz von Hamburg auf den Brocken gefahren ist, hat für uns eine vierteilige Serie über Ultra-Läufe geschrieben. Teil I lieferte eine Einführung ins Thema, Teil II beschrieb interessante Ultra-Läufe in Europa. In Teil III beschrieb Heiko, wie er sich auf seinen ersten 100-km-Lauf vorbereitet hat. Teil IV erzählt von seinem ersten Mal.

Vor dem Start in Biel stand die Anreise. Bereits im Flieger nach Basel fanden sich einige Läufer. Direkt hinter uns saßen drei Mädels, mit denen ich ins Gespräch kamen. Zwei liefen Staffel und eine lief die 100km. Allerdings in einer anderen Liga. Zielzeit unter 10Std. Hihi… schön wenn man das schafft, für mich war ankommen das Ziel. Sonst nichts.
Im Zug nach Biel der erste leichte Schock: Oberleitungsschaden. Gut, dass es noch eine Verbindung ohne Umsteigen gab. Also Zug gewechselt und heil in Biel angekommen. Die Unterkunft war auch schnell gefunden. Die Zimmer waren noch nicht fertig. Daher erst auf der Wiese vor dem Zimmer chillen, dann noch ein wenig im Bett dösen. Gegen 17:00 dann der Aufbruch Richtung Start. Mit kurzem Halt am Supermarkt – alle hatten noch Hunger – ging’s den 100km entgegen.
Nachdem wir unsere Startunterlagen erhalten hatten kam ein neuer Schock: Kleidertransport zur Laufmitte gab es nicht. Das war erst mal doof. Ich hatte mich mental auf einen Beutel in Kirchberg eingestellt. Der Optionenbeutel. In ihm könnte all das lagern von dem ich dachte, dass ich es eventuell brauchen könnte, mir aber nicht sicher war, es deshalb dort hin transportieren lassen wollte, damit ich dann, wenn ich denn dort ankommen sollte, was ja nicht klar war, also dann, wenn ich dort wäre, dann könnte ich diejenigen Dinge aus dem Optionenbeutel entnehmen, die mir auf den 56km bis dort so schmerzlich gefehlt hatten.
Optionenbeutel war also nicht. Ich musste in den sauren Apfel beißen, entweder würde ich alle Optionen tragen oder ich würde mutig sein müssen. Ich entschied mich für mutig. Alles tragen wäre eh der Untergang gewesen. Also noch mal flugs im Geiste den Lauf durchgegangen: Was braucht man sicher? Eine Windjacke? Ja. Trockene Socken? Nein. Zweites Paar Laufschuhe? Nein. Und so ging das weiter. Ich hatte am Ende besagte Jacke, ein Handy, eine kleine Lampe und eine Kappe. Mehr nicht. Weniger nicht. Alles am Gürtel verstaut. Optionenbeutel werden überbewertet.

Optionenleer geht es endlich raus aus der Halle, noch 20 Minuten bis zum Start. Ich stelle mich in die Menge, mache noch ein Foto und halte mir die Ohren zu, weil die Beschallung so eingestellt ist, dass die halbe Schweiz mithören kann. Und es wird eh nur noch dieser oder jene verdiente Funktionär erwähnt, oder er sagt sogar selbst was. Und alles auf drei Sprachen. Das einzige was ich zu dieser Zeit hören will, nämlich der Startknall, lässt noch auf sich warten.
Da zählt doch was auf französisch rückwärts? Peng, der Start. Wir laufen. Die ersten Meter einer nicht fassbaren Strecke sind genommen!

Die Nacht kann beginnen! Und Sie beginnt. Durch Biel geht es zügig voran. Es steht reichlich Publikum an der Strecke. Ich muss uns an meinen Plan denken nicht schneller als 7min/km zu laufen. Die Menge ist schneller und so muss ich immer wieder auf die Bremse treten. Ich trabe also mit dem Pulk durch Biel. Die Stimmung an und auf der Straße ist gut.
In den Randbezirken wird es schon dünner mit den Menschen. Haben die all die Berichte nicht gelesen? Oder zieht die Fußball WM die Menschen vom wahren Highlight der Nacht ab? In den Berichten die ich vor Biel las war immer die Rede von Menschen auch im kleinsten Dorf. Naja, dies hier war ja kein kleines Dorf. Sah zwar so aus, war aber Randbezirk. Und von Menschen in jedem Randbezirk stand da auch nichts. Wir halten fest: Randbezirke sind nicht so laufinteressiert wie kleine Dörfer! Aber auch ohne Menschen an der Strecke kann man laufen.
Bei ca. Kilometer 7 kommt der erste Berg, ich gehe wie geplant hinauf. Das erwähnte ich noch nicht, oder? Berge sind eigentlich nicht zum Laufen da. Berghoch kostet es unnötig viel Kraft, bergab zerbröseln die Knie. Berge sind also nicht zum laufen. Nun ist die Schweiz tendenziell bergig. Ganz ohne kann man daher 100km nicht in die Gegend falten. Die Berge (Anstiege wohl besser) die einem dann also vor die Füße springen, wollte ich gehen. Daher: alles ist prima. So ziehe ich meine Bahn.
Ab ca. Kilometer 30 wird es mental ruhiger. Leider stellen sich auch erste Probleme ein. Die Gehpausen werden häufiger. Ich fühle mich noch recht frisch, aber die Mitläufer nicht so. Dennoch bleiben ich beim Team.  Es beginnen Diskussionen. Aber wir  wollten mindestens bis km 56 zusammen bleiben. Also machen wir das auch. Wir waren zu dritt gestartet. Unterschiedliche Trainingsumfänge, Geschlechter und Gewichte waren zusammengewürfelt. Nie hatten wir so lange Strecken zusammen gelaufen. Interessanterweise schien ich, der ich wohl die unsportlichste Figur vom Team hatte, noch am besten mit diesem langen Kanten zurecht zu kommen. Wieder ein Steinchen in der Mauer des Übermuts. Es sind diese kleinen Begebenheiten, die den Sinn für die Realität vernebeln und einen Dinge tun lassen, die man nicht tun sollte. Aber die Geschichten kommen noch. Hier galt es erst mal den ersten 100-km-Lauf nach Hause zu hoppeln.

Bei km 56 hatten wir den ersten aus dem 3er Team zurückgelassen. Er würde alleine und langsam nachkommen. Zu zweit ging es weiter. Es folgt der Hoh-Shi-Min-Pfad. Auch darüber gab es vorab viel zu lesen. Er ist auch schön. Ein Weg am Wasser entlang, mal schmal, mal breiter. In der Morgendämmerung leicht zu laufen. Es geht auch leicht bergab und wir mussten immer wieder bremsen um hier nicht zu flott zu werden. Immer wieder zieht das Tempo an und wir laufen 6:30 min/km. Das wollten wir nicht. Auch wenn es hier geht, wo wird dann die Kraft fehlen? Ja, der Pfad. Also das leichte Gefälle ist sicher schön. Das Wasser auch. Legendär hingegen fand ich das alles nicht. Vielleicht, weil es schon hell war? Sicher sind die Pfade in der Nacht haariger zu laufen, aber wer langsam unterwegs ist, hat hier nichts zu fürchten.
Noch ist es kalt – andere würden sagen kühl, ich fand es kalt – und damit reichten die Abstände der Verpflegungsstelle. Aber gleich würde die Sonne kommen. 27 Grad. Dann sind die Abstände lang, zu lang? Ich werde dann jedenfalls nur mit voller 750ml Flasche von den Verpflegungsstellen los laufen. Sicher ist sicher.
Verpflegung: Wahrscheinlich machten sich noch einige Damen und Herren von den Ständen sorgen um meinen Zustand. Es gab fast immer Wasser, isotonisches Getränk, hypotonisches Getränk, Tee, Bouillon, Cola, Wasser – in dieser Reihenfolge – an jedem Stand. Und bis auf den Tee habe ich auch an jedem Stand – in dieser Reihenfolge – von jedem Getränk einen Becher zu mir genommen. Dazu dann eine bunte Mischung aus Banane, Energieriegeln, Gel, Brot, Apfelsine und Frühstücksflocken (trocken auf die Hand). Auch das immer alles und gemischt. Ich fühlte mich jedes Mal gestärkt, die Blicke aber sagten  immer: Gleich kommt das alles wieder hoch, gleich kommt das alles wieder hoch. Ich konnte die Helfer beruhigen, es blieb immer alles drin! Ich brauchte die Energie. Die Uhr sagt was von 11.000 Kilo Kalorien Verbrauch. Das hab ich wohl auch locker oben wieder reingefüllt! Vielleicht einer der Gründe, warum joggen bei mir nicht zu so dramatischen Gewichtsverlusten führt wie bei einigen anderen? Ich kenne ja Läufer, die können beim Laufen nichts zu sich nehmen. Der Horror für mich. Wenn ich nicht futtere, dann bleib ich nach ein paar km einfach stehen. Mein Stoffwechsel scheint sich nicht von Fettreserven ernähren zu können. Nur der primär Stoffwechsel zählt. Alte eingelagerte Kalorien nimmt die verwöhnte Muskulatur in meinem Fall nicht zu sich. So ist das mit den verwöhnten Körperteilen. Irgendwann heben Sie ab und weigern sich, die einfachsten Dinge zu tun.
Bei km 73 zerfällt der Rest des Teams. Ich bin allein.  Eigentlich kein Problem, ich trainiere in der Regel ja auch allein. Aber wenn man nach so vielen Stunden gemeinsamen Laufens plötzlich allein ist, dann ist das ein komisches Gefühl. Niemand mehr da, mit dem man mal kurz den aktuellen Zustand diskutieren kann. Niemand mehr da, der einen bremst oder zieht. Allein eben. Nun gut, zu ändern war das nicht. Wenn die Kraft weg ist, ist die Kraft weg. Und so zog ich allein in Richtung Schicksalsberg.

Noch 27km und ich stehe am Fuß der Steigung vor Arch. Ich laufe mehr, gehe weniger und komme gut bis zum richtig steilen Stück. Hier gehe ich die gesamte Steigung. Ich merke die Hitze, ich keuche, mir rinnt der Schweiß in Bächen in die Augen, aber ich fühle mich soweit sehr gut.
Im Abstieg laufe ich. Ich hatte von vielen gelesen, die hier rückwärts den Berg hinabgestiegen sind. Ich bin froh, dass mir das erspart bleibt. Und erstaunlicher Weise melden sich auch die Knie nicht. Eine stützende Funktion erfüllen die Muskeln schon lange nicht mehr. Ja, okay, ich gebe es zu, ein wenig schon noch. Immerhin bewege ich mich ja noch aufrecht. So ganz ohne stützende Funktion geht das wohl nicht. Dennoch, das bergab Laufen ist eine Art kontrolliertes Stolpern. Das Gefälle gibt das Tempo an. Bremsen können die Beine nur in einem sehr begrenzten Masse. Und so ist es gut, dass es zwar runter geht, aber eben nicht so steil, dass ich völlig die Kontrolle verliere. Schön ist, dass die Verhinderung des Hinfallens mein Hirn dermaßen beschäftigt, dass Blasen und andere Wehwehchen ein Schattendasein führen.
Meine Kollegen wachen auf, und die eine oder andere SMS trudelt ein. Ich rufe zurück und berichte, dass es gut läuft und freue mich diebisch über den Support. Das war an dieser Stelle wirklich eine hilfreiche Angelegenheit. Halten wir also fest: Biel ist nur laufbar, seit es Handys gibt. Ohne hätte mir hier was gefehlt.
Der lange Uferweg an der Are macht mir dann doch zu schaffen. Eigentlich ist ein Fluß ja eine schöne Sache. Romantisch alle mal. Verleitet zum Träumen. Alles fein. Aber hier und heute? Links am Fluss Felder. Frisch gemäht. Trocken von der Sonne. Staubig um genau zu sein. Die gleiche Sonne die eben noch diesen Staub erzeugt hat, hängt jetzt da oben und zielt einzig und allein auf mich. Sie kommt von links. Die Bäume vom Fluss sind rechts. Nichts steht zwischen mir und der Sonne. Der Fluss sollte eigentlich für leicht feuchtes Klima sorgen. Hat ihm aber keiner gesagt, und so lässt er das. Was bleibt ist Sonne und Staub und ein Weg, der zu dieser fortgeschrittenen Stunde als deutlich zu eintönig und lang bezeichnet werden kann.
Im Hinterkopf grummelt es. Diese Futterstelle. Bei km 90. Km 90. Das müsste doch, warum ist das noch nicht. Da hinter der Biegung? Nein. Der gleiche Weg. Links die Felder. Rechts der Fluss. Oben die Sonne. Na, dann hinter der nächsten Biegung? Nein. Man merkt: Hier ist mentale Stärke von Nöten gewesen. Denn gefühlt dauerte das hier alles viel zu lange.
Ich merkte hier, dass auch bei mir irgendwann Schluss sein wird mit der Kraft. Aber noch läuft kräftemäßig es gut. Bei km 90, den ich um 09:25 erreiche bin ich dann allerdings schon so dösig in der Birne, dass ich nicht mehr rechnen kann. Ich habe bis hier zuletzt immer ca. 41min auf 5km gebraucht. Langsam gell?  An dieser Stelle denke ich das damit 14:00std. Zielzeit nicht mehr möglich sind, dabei könnte ich sogar auf ca. 47min auf 5km abfallen und würde es noch schaffen. Aber wie gesagt, rechnen wird schwer, wenn der Körper erschöpft ist. Ich denke da aber, es wird nichts mit sub 14 und entscheide, dass ich dann auch eine entspannte  lange Gehpause machen kann.
Bei km 95 bemerke ich meinen Fehler, hänge aber auch in der letzten Steigung, die ich so gar nicht mehr im Kopf hatte. Das ist eine ganz, ganz böse Sache. Ich hatte die Strecke quasi auswendig gelernt. Und ich war super sicher, dass nach dem Berg von Arch nichts mehr kommt was einer Steigung ähnlich sieht. Und nun. Ja, nun liegt diese Steigung vor mir. Sie durfte nicht hier sein. Mein Hirn war nicht auf diesen Anblick vorbereitet und so schlägt die Sache voll ins Kontor. Das ist böse. Dem Kopf tut es weh. Gas geben ist hier nicht drin. Ich versuche nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Jetzt wird jeder km angezeigt.

Bei km 99 sehe ich noch eine Chance für die 14-Stunden-Marke. Ich ziehe an auf einen 6min/km Pace. Ca. 300m vor dem Ziel höre ich den Stadion Sprecher. Auch er spricht von der 14-Stunden-Marke, ich ziehe weiter an. Ich laufe jetzt einen 3:40 min/km Pace (sagt meine Polar 625). Mehr geht nicht mehr. Ich komme dann in 14:00:32 ins Ziel. Die 32 Sekunden habe ich an hundert Stellen liegen lassen. Schon am Start, wo ich deutlich nach dem Knall unter dem Startbanner durchlief. Und es ist lächerlich sich über 32 Sekunden zu ärgern.

Aber in dem Moment wo ich um die Ecke Richtung Ziel bog und sah, dass 14:00:xx schon angezeigt wurde und es nicht mit 13 begann, war doch eine Enttäuschung in mir. Komisch eigentlich. Weil ich ja mein Ziel durchzuhalten erreicht hatte. Weil ich vorher gesagt hatte ich wäre auch froh, wenn ich knapp vor Schluss reinkomme. Was ja noch Stunden hin gewesen wäre. Na, in dem Moment war ich sauer. Das hielt in etwa bis zu dem Moment wo ich über die Matte lief. Die Matte. Der Pieps – ich war ja allein, ich konnte ihn daher sehr genau hören. Diesen Pieps. Meinen Pieps. Den 100km-Pieps. Den Pieps, der die Erlösung in sich trug. Pieps. Du bist da. Pieps. Du bist 100km gelaufen. Pieps. Du hast geschafft, was du eigentlich nicht für möglich gehalten hast. Pieps. Jetzt kannst du glücklich sein. Und ich war glücklich. Noch vor 100 Metern war ich sauer über 14Stunden und ein bisschen. Jetzt war das Gefühl vorbei und es war nur noch der Stolz in mir, diese Distanz bewältigt zu haben. Ich war da. Ich hatte es geschafft. Wow.

Und gleichzeitig habe ich da etwas für alle folgenden Läufe mitgenommen. Eine sehr wichtige Lektion, die ich eigentlich hier nicht zu lernen gedacht hatte. Ich hatte mich frei gemacht von der Zeit. Ich denke es war wichtig, dass  ich diese 32 Sekunden zusätzlich auf dem Zettel hatte. Ich habe mich geärgert und kurz danach empfunden, dass es so was von albern ist auf diese Sekunden zu sehen. Denn ging es um eine Zeit? Auch wenn die Zeit gemessen wird. Wenn Sie veröffentlicht wird. Wenn Sie auf der Urkunde steht. War die Zeit der Grund meiner Teilnahme? Wollte ich eine Zeit laufen? Nein. Ich bin nicht gestartet um eine Zeit zu laufen. Ich war gestartet um 100km zu laufen. Ich wollte eine für mich unvorstellbare Strecke bewältigen. Ich kann bis heute nicht sagen, warum ich das wollte. Aber ich kann sagen ich wollte. Und ich wollte nur ankommen. Und das habe ich erreicht. Noch mal Wow!

Heiko, 50 Jahre, arbeitet am Tag, läuft nachts, sammelt Uhren, schraubt an Autos und liebt die Familie über alles. Heikos Seite ist  schlusslaeufer.de.

Von 0 auf 100: Der Weg zum Ultra-Läufer (Teil III)

Heiko Müller, der für “Männer unter sich” schon mal eben kurz von Hamburg auf den Brocken gefahren ist, hat für uns eine vierteilige Serie über Ultra-Läufe geschrieben. Teil I lieferte eine Einführung ins Thema, Teil II beschrieb interessante Ultra-Läufe in Europa. In Teil III beschreibt Heiko, wie er sich auf seinen ersten 100-km-Lauf vorbereitet hat. Teil IV erscheint nächste Woche.

Pläne sind das A und O des Laufens. Auch wenn das simple Rumlaufen sehr viel Spaß bringt, so ist das Pläneschmieden doch ein schöner Denkansatz für die langen Läufe. Gerade wenn ich lange Läufe nachts durch dunkle Wälder mache, dann schmiede ich Pläne. Mag an der Nacht, der Dunkelheit, dem Schlafentzug liegen, die Pläne sind oft so, dass Mitmenschen den Kopf schütteln. So auch der Plan einen 100er zu Laufen.
Biel. Der Klassiker. 100km. Ein Marathon. Dann noch einer. Und dann noch fast ein Halbmarathon. Hintereinander. Nachts und in den Tag hin ein. Mal ehrlich. Das kann doch nur einem wahrhaft verwirrtem Geist einfallen. Beides meine ich. So einen Lauf ins Leben zu rufen. Oder daran teilzunehmen. Beides ist aber erfolgt. Jemand hat sich diesen Lauf ausgedacht. Und das lange vor unserer Zeit. Und jedes Jahr machen mehr mit. Der Wahnsinn hat einen Namen: Biel.

Aber wie kam ich überhaupt auf Biel? Schuld war natürlich wieder das Laufmagazin. Dort wurde über Biel berichtet. Aber es kamen noch andere Aspekte hinzu.
Als Kind war ich Mitglied im lokalen Sportverein. Wir machten das, was man wohl Breitensport nennt. Laufen, Spielen, Turnen, eben all das was den Körper bewegt. Unser Trainer selbst lief. Er lief auch die 100km von Biel. Damals war das eine Zahl. Gewaltig wohl, unerreicht im persönlichen Leben. Aber mehr auch nicht. Einmal brachte er einen Aufkleber mit. Rot. 100km Biel Bienne stand da zu lesen. Er zierte lange Jahre die Mittelstange meines Torpedo 3 Gang Fahrrades. Lange dachte ich der Lauf geht von Biel nach Bienne. Die Geographie der Schweiz ist dem Norddeutschen eben fremd.

Im Februar ist der Lauf zentraler Punkt meiner Gedanken. Konnte ich den Marathon fassen und mir des Zieleinlaufes relativ sicher sein, hier fehlt mir der Vergleich. Nachts kreisen die Gedanken um die hölzerne Brücke nach einem 5tel der Strecke, dem Hoh-chi-Min Pfad nach der Hälfte, der Steigung bis km 80, dem Abstieg danach, dem Schild 99km, dem Ziel. Viele Rennberichte, Bilder und Trainingspläne hab ich aufgesaugt. Es ist als ob ich die Strecke schon gelaufen bin. Bin ich aber nicht!

Wird die Nacht mich fressen? Falle ich nach 6 Jahren ohne Durchschlafen wegen der Kinder, morgens während des Laufes in einen komatösen Schlaf? Halten die Knochen? Arbeiten die Muskeln? Und Mental? Woran soll ich 14-16 Std. denken? Werden andere auch so langsam sein? Oder muss ich allein laufen?
Noch sind es 3 ½ Monate und bereits jetzt sind Kollegen, Freunde und Familie genervt, weil ich entweder laufe oder darüber rede. Ist der gedankliche Stress bis zum Start, nötig um den Lauf zu ertragen?
Ich kann mittlerweile die Überschrift eines Laufberichtes „Vom Werde-Gang zum Lebens-Lauf“ gut verstehen. Biel, die 100km, das verändert den Menschen.

Training ist für Biel wohl wichtiger als für jeden anderen meiner Läufe bisher. Glaube ich jedenfalls. Oder sagen zumindest die Anderen. Genau die Anderen, auf die man bei eigener Unsicherheit gern mal zurück greift. Andere sind Menschen, Berichte, Magazine und sonst was. Aber genau da liegt der Hase im Pfeffer. Diese Summe von Anderen spiegelt auch die Gesamtheit aller Meinungen dieser Welt wieder. Eigentlich hilft es also überhaupt nicht. Gut, man redet, kommuniziert, ist Mitglied der Gesellschaft. So gesehen ist das Fragen Anderer ein wichtiger gesellschaftlicher Aspekt. In Hinblick auf die persönliche Sicherheit führt es aber zu rein gar nichts.
Mut hat mir ein Artikel in der März Ausgabe eines Laufmagazins gemacht, dass man für den Wechsel von Marathon auf Ultramarathon eigentlich nichts weiter machen muss als immer nur lange, langsame Läufe. Nix Tempo Training, nix Intervall, nur immer lange, lange langsam laufen. Na das klang doch auch sehr gut, was nun?

Muß der Kopf mit? Der Kopf ist mit ca. 5-6 Kg. beim erwachsenen Menschen ein arger Ballast. Und das nicht nur als reines Gewicht beim Laufen. Insbesondere die Folgen seiner Inhaltsstoffe – hier im wesentlichen das Gehirn –  machen das Laufen mitunter schwierig. Anhalten, hinsetzen, faul sein… das sind häufig folgen zu intensiver Beachtung der negativen Auswirkungen die vom Kopf ausgehen. Bekannt auch als innerer Schweinehund.
Biel wurde immer deutlicher sichtbar am Horizont. Der innere Schweinehund ist ein steter  Gast. 10,4km misst die sogenannte Nachtrunde. Es galt 3 Runden zu laufen. Die erste war schon langsamer als sonst. War doch etwas viel die Woche? Die Zweite lief noch so gerade. Beim Getränke und Verpflegungstop auf der heimatlichen Veranda, die Dusche nur 3m Luftlinie entfernt, die Außentemperatur bei wohligen -2°C, die Lust beim absoluten Nullpunkt (für den Nichtphysiker -273,16°C).
Da war er dann, der fragende Blick nach innen, soll ich wirklich noch eine dritte Runde laufen. Es ist 23Uhr. Ab unter die Dusche. Rein ins Bett. Wenn kümmert dieses 3te Runde. Ist doch egal. Aber dann ging es doch weiter. Los lauf, raus auf die zähe dritte Runde. Sie umkreist das Heim. Nirgends ist es weiter als 1,5km um nach Hause zu kommen. Ein Kampf von über einer Stunde. Und plötzlich lief nicht mehr ich, sondern es. Es lief und hörte nicht auf die Stimmen. Das Es lief war ein neues Gefühl. Es war irgendwie anders. Anders als Ich. Ich dachte nach. Es lief. Ich hatte Schmerzen. Es lief. Ich konnte nicht mehr. Es lief. Ha, so konnte das weitergehen. Ich müsste dieses Es nur zähmen und so dressieren, dass ich Es jederzeit abrufen könnte. Das würde aber vermutlich nicht so leicht.

Monotonie-Training war angesagt. Alsterrunden. Nicht eine, nicht zwei… nein Acht. Das ist wirklich eine bizarre Erfahrung. Gegen 17:00 parkt man seinen Bistro Panzer – wie meine mobile Futterstation mittlerweile in Läuferkreisen genannt wird – an der Außenalster in Hamburg. Los geht es. 7,5km beträgt die Runde. Leichte Sache das. 50min sind entspannt möglich. Viele sind es noch nicht, die mitlaufen. 17:00 ist zu früh. Erste Runde durch. Heckklappe auf. Kurze Pause. Warmer Tee, Gebäck. Weiter. Es wird voller. Die Nach-der-Arbeit-Läufer formieren sich. Meist mit dem Ziel eine oder manchmal zwei beeindruckend schneller Runden auf den Schotter zu legen. Auch die Damenwelt versammelt sich zunehmend. Die Alsterrunden sind eben doch die Partnerbörse von Hamburg. Einige Damen sind flott. Laufen ist das Ziel. Andere tragen derart dicke Chemieschichten im Gesicht, dass allein dieses Gewicht zu einer Zeitstrafe von mindestens 5min führt. Gesehen werden ist hier das Ziel. Ich für meinen Teil sah eher weg. Ich wollte ja laufen. So verstrichen die Runden. Gegen 22:00 wird es wieder leerer. Die laufenden Schminkköfferchen verlassen die Strecke. In dieser Phase beobachtet man eine leichte Gewichtszunahme unter den Läufern. Es gibt jetzt die schnellen Rehe und die stampfenden Elefanten. Jene suchen wohl den Schutz der Dämmerung. Ich fühle mich den Elefanten zugehörig, jedenfalls trompetet meine Atmung mächtig in die Nacht.
Mitternacht. Ich bin deutlich langsamer geworden. Aber ich laufe noch. In etwa einer Stunde werde ich mein Ziel 8 Runden bzw. nahezu 60km gelaufen zu sein, erreicht haben. Wer denkt es würde um diese Zeit dann wirklich einsam, dem sei gesagt: Nein. An der Außenalster wird immer gelaufen. Und Mitternacht ist kein Garant für freie Wege! So war ich zwar allein unterwegs, aber nie allein auf der Strecke.

Kann Konsum das Training ersetzen? Einige Laufgurus machen einen das ja glauben. Pulver hier, Shirt dort, Uhr am Arm…. Und auch ich beruhige so meine Seele. Die Uhr mit Speed Sensor ersetzt/unterstützt das Körpergefühl. Der neue Laufschuh ist noch so rechtzeitig da, dass er einige km an die Füße kann bevor am 09.06.2006 um 22:00 der Knall, eine ca. 100.000-fache Belastung der ausgeklügelten Dämpfungselemente startet. Da bleibt die Frage: Schuh oder Körper, wer gibt eher auf. Der Winterschlussverkauf brachte auch noch hyper-Schweiß-leitende hochatmungs-aktive ultraleicht-reflektierende Sportfasern. So eine Jacke allein ersetzt schon einige hundert Trainingskilometer.
Ja, so Konsum gestärkt kann ja nichts mehr schiefgehen. An der Ausrüstung ist nicht zu meckern. Restrisiko ist nur noch der Körper.

Der Hamburg Marathon. Kurz vorher zog eine leichte Erkältung auf. Halskratzen und ein Anflug fiebriger Beine. War aber nur kurz und zum Wettkampf wieder weg. Dennoch sollte das beim Wettkampf nicht vergessen werden. Also flott losgelaufen den Marathon, 4 Stunden und das eigene Wohlbefinden im Blick. 10km, 57:49 lief doch, 20 km 1:55:18 (zweite 10km 57:29) na geht doch, 30km 2:56:52 (dritte 10km 1:01:34) na geht doch BERGAB, 40km 4:07:32 (vierte 10km 1:10:40)… Zielzeit 4:23:06.
Nun folgte noch der Teil: Nach Hause laufen. Vom Ziel sind das knappe 16km. Ich holte also Rucksack, etwas zu Essen und weiter ging es. Das allerdings hatte mich Laufen nicht mehr viel zu tun. Die Rast im Ziel (waren nur 10min) hatte mir den Saft entzogen. Ich war jetzt schlapp. Warum noch laufen? Medaille hatte ich doch schon. Und es gab ja auch nicht mehr alle paar km was zu trinken. Ich hatte jetzt alles dabei, musste selber tragen. Nicht schön das. Aber ich wollte diesen Test ja. Uns so lief, ging, schlich, kämpfte ich mich Richtung Heimat. Zäh. Super zäh. Das war jetzt selbst beim Laufen keine Freude mehr. Hier war also weder Loslaufspaß noch Laufspaß zu finden. Es war ein Kampf. Aber ein positiver. Ich lernte, dass ich auch nach einer hohen Belastung, einer Belastung an deren Ende eigentlich alles am Ende ist, noch Kraft hatte um weiterzumachen. Das würde mir in Biel eine gewisse Sicherheit bieten. Es ging noch was, wenn nichts mehr gehen sollte.
Jetzt dürfen die 100 km von Biel aber auch kommen. Noch einen Monat warten? Warten war noch nie meine Stärke.

Heiko, 50 Jahre, arbeitet am Tag, läuft nachts, sammelt Uhren, schraubt an Autos und liebt die Familie über alles. Heikos Seite ist  schlusslaeufer.de.

 

Von 0 auf 100: Der Weg zum Ultra-Läufer (Teil II)

Heiko Müller, der für “Männer unter sich” schon mal eben kurz von Hamburg auf den Brocken gefahren ist, hat für uns eine vierteilige Serie über Ultra-Läufe geschrieben. Teil I (gestern) lieferte eine Einführung ins Thema, Teil II (heute) beschreibt interessante Ultra-Läufe in Europa. In den Teilen III und IV (nächste Woche) beschreibt Heiko Vorbereitung und Durchführung seines ersten 100-km-Laufs.

Welchen Ultra soll ich laufen?

Gute Frage. Sehr gute Frage. Und wirklich nicht leicht zu beantworten. Zunächst ja auch sehr verwunderlich. Wer ist schon so verrückt, einen Ultra zu laufen? Mehr als 50km am Stück? Das sind doch nicht viele, denkt man. Und für die paar Verrückte müssen doch 1-2 Event reichen. Mehr schafft doch eh keiner pro Jahr.
Weit gefehlt. Wer infiziert ist, der läuft auch 2,3,4 … viele Ultras pro Jahr. Und so kommt es, dass es jede Menge interessanter Veranstaltungen in dem Bereich gibt. Nein, es sind keine, wo zwanzigtausend am Start stehen und nein, die Medien sind meist auch nicht vor Ort. Vielleicht mal einer, der für eine lokale Zeitung schreibt, oder in seltenen Fällen sogar für eine Überregionale. Ultras sind nicht für die Masse, sie sind für die Klasse. Eine Klasse für sich.

Aber zurück zur Frage, welchen bzw. welche Art. Zu Unterscheiden sind Rundenläufe und Punkt-zu-Punkt-Läufe. Die ersten finden häufig in Stadien, auf kurzen Rundkursen oder ähnlichem statt. Vorteil hier ist, dass man keine Sorgen mit der Verpflegung hat. Man kann Kleidung deponieren, und wenn Support durch Freunde stattfindet, wissen die immer, wo man ist. Auf der nächsten Runde und man kommt gleich wieder.

Die Punkt zu Punkt Veranstaltungen sind meist große, einmal zu durchlaufende Runden oder aber wirklich so, dass der Anfangs- und Endort nicht identisch sind. Das bekommt man in der Regel nur hin, in dem die Strecke quer durch die „Gegend“ führt, man nennt Sie demzufolge gern auch Landschaftsläufe.

Für Rundenläufe in Stadien habe ich persönlich nichts übrig, so kann ich dazu auch keinen empfehlen. Einen Rundenlauf aber, einen, der auch noch ein bisschen exotisch ist, einen, der einem bei den bloßen Zahlen schon den kalten Schweiß auf die Stirn treibt, einen solchen kann ich empfehlen. Den Mt. Everest Treppenmarathon. Wenn man den vollständig schafft (in 24 Stunden) hat man einen Doppelmarathon gelaufen und ist von den Höhenmetern einmal auf den Mt. Everest gestiegen und wieder hinab. Ein wahrlich beeindruckender Gedanke. Mir war das Erreichen der 100 Runden bisher nicht vergönnt. Aber der Kilimanscharo ist auch nett  und so bin ich mit meinen 70 Runden und 6000 Höhenmetern auf knapp 60km auch ein glücklicher Mensch. Nur wer einmal dabei war – es sind nur 60 Teilnehmer zugelassen – kann ermessen, welch tolles Wir-Gefühl sich unter den Läufern aufbaut. Man sieht sich pro Runde 2 mal, klatscht ab, spricht sich Mut zu oder trifft sich im Verpflegungszelt auf eine Tasse Kaffee mit Nudeln.

Bei den Landschaftsläufen sieht die Welt schon anders aus. Da wären Empfehlungen ohne Ende auszusprechen. Einer der ältesten Ultras, der seit über 50 Jahren ausgetragen wird, einer, den sogar viele kennen, ist Biel. Die 100km von Biel. Der Ultra schlechthin. Und weil er so einmalig ist, werde ich in Teil 3 und 4 der Serie beschreiben, wie ich Biel das erste mal unter die EVA Sohle genommen habe und hier nüscht weiter sagen.

Bekannt und berüchtigt ist natürlich auch der Rennsteig. Wellige 72km durch Thüringen. Landschaftlich reizvoll. Mit dem legendären Schleim als Wegzehrung. Einer der Läufe, der noch auf meiner Liste steht und irgendwann in der Zukunft mal mein sein wird.

Dann noch die kleineren Sachen. Sehr familiär ist der Fidelitas Nachtlauf in Karlsruhe. Wie viele Ultras geht er durch die Nacht. Bemerkenswert hierbei ist, das man auf den 80km im Mittel jeweils nach 4km Futter gereicht bekommt. Was für so einen langen Lauf alles andere als normal ist. Die Strecke ist schön gelegen und geht hinreichend auf und ab. Wandern am Ende ist kein Problem, die Zeitvorgaben sind so, dass auch Ultrawanderer dort starten können.

Und winzig und nur auf Einladung sind dann z.B. Läufe wie der HILL (Hildesheimer idyllischer Landschafts Lauf) und der KILL (Kein idyllischer Landschafts Lauf). Der erste ein 50iger der tagsüber als orientierungslauf mit Karte durch die Hildesheimer Berge geht. Der zweite ist nahezu identisch. Nur Nachts. Im November und nicht 50km sondern 50Meilen. Bei richtigem Wetter eine echte Herausforderung. Wer es beim Kill nicht schafft bekommt nur die Hälfte seiner „Hundemarke“, welche hier die Medaille ersetzt. Die andere Hälfte bekommt das Skelett des Veranstalters um den Hals gehängt.

In der Schweiz wäre noch der K78, der Swissalpine zu erwähnen. Mit 78km quer durch die Berge eine anspruchsvolle Veranstaltung, die Trittsicherheit erfordert und durch die Wetterwechsel im Gebirge eine gute Vorbereitung notwendig macht.

Und nein, dass sind nicht alle. Es gibt den LüHa Fun Run von Lübeck nach Hamburg, den Rodgau 50iger, zahlreiche 6,12 und 24std Läufe… wer noch mehr sucht kann bei der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung noch jede Menge Informationen finden.

Heiko, 50 Jahre, arbeitet am Tag, läuft nachts, sammelt Uhren, schraubt an Autos und liebt die Familie über alles. Heikos Seite ist schlusslaeufer.de.

Von 0 auf 100: Der Weg zum Ultra-Läufer (Teil I)

Heiko Müller, der für „Männer unter sich“ schon mal eben kurz von Hamburg auf den Brocken gefahren ist, hat für uns eine vierteilige Serie über Ultra-Läufe geschrieben. Teil I liefert eine Einführung ins Thema, Teil II (morgen) beschreibt interessante Läufe in Europa. In den Teilen III und IV (nächste Woche) beschreibt Heiko Vorbereitung und Durchführung seines ersten 100-km-Laufs.

Ultralauf? Außerhalb der Laufszene ist der Begriff Ultralauf nicht so häufig anzutreffen. Und auch innerhalb wird hier und da nachgefragt. Eine schnöde Definition sagt: Alles länger als Marathon ist Ultra. Eingebürgert hat sich so etwas wie, jenseits der 50km ist Ultra.

Jenseits der 50km? Für den Hobby Jogger oder Couch Potatoe sind 42,195km bereits eine lange Strecke. Und glaubt man den einschlägigen Magazinen, so ist ein Marathon bereits eine Sache auf die man sich lange und intensiv vorbereiten muss.
Ist ein Marathon lang? Muss man ewig trainieren um lange Strecken laufen zu können? Ich sehe schon die Mediziner wie Sie die Pumpgun durchladen und  mich aus dem Verkehr ziehen wollen, aber ich persönlich meine: Nein man muss nicht ewig lange trainieren um lange Strecken laufen zu können. Insbesondere nicht für Ultras. Warum?
Nun, beim Marathon ist es so, dass jeder – auch die, die noch nie einen gelaufen sind – mittlerweile Ideen haben wie lange man für einen Marathon brauchen sollte. Sub 4 (std.) ist ja fast schon Pflicht um Ernst genommen zu werden. Viele wollen Sub 3:30 erreichen, Sub 3 sind schon weniger. Aber es geht um Zeit. Am Stammtisch gilt ein Zieleinlauf beim Marathon nicht mehr viel. Macht doch Hinz und Kunz. Es kommt auf die Zeit an.
Das ist der Teufelskreis. Die meisten von uns würden wohl sagen: 42,195km Wandern, ja, das ginge wohl. Dauert, aber geht. Ein bisschen schneller und man ist schon Jogger. Das läuft dann auf Zeiten jenseits der 5, 6 Stunden hinaus. Na und? Wer nicht gerade in Guiness Buch der Rekorde will, nicht vom eigenen Ehrgeiz zerfressen wird, der kann auch mit so einer Zeit glücklich sein und sagen, ich habe es geschafft.

Jetzt zum Ultra. Wer der Hatz um Zeiten entgehen will, wer beim Laufen einfach nur an das Laufen denken will, wer lange Landschaften an sich vorbei ziehen sehen will, wer unter pre seniler Bettflucht leidet und Nachts eh kein Auge zubekommt, der sollte Ultraläufe machen.
Kaum jemand aus dem Bekanntenkreis wird eine über 100km gelaufene Zeit einsortieren können. Es wird nur ein entsetztes Staunen hervorrufen, wenn man von seinem ersten 100er erzählt. Niemand wird die Leistung anzweifeln, wenn man 50Meilen, nachts, im November, durch die Hildesheimer Berge gelaufen ist.
Ultra ist laufen um des Laufens willen. OK. Es gibt auch dort Menschen, die sich die Zeiten notieren. Aber es gibt auch Menschen, die sich elektrisch rasieren. Jeder wie er mag.

Halten wir also fest: Ultras sind lang und machen Spaß, die Berichte darüber rücken einen in den Mittelpunkt und haben einen nicht unerheblichen Wow-Faktor. Demzufolge will jetzt jeder Leser dieser Zeilen auch mal einen Ultra laufen und fragt sich nun:
Wie trainiert man den nun für einen Ultra? Das ist leichter als das Training für einen Marathon. Dort gibt es Tabellen, Tempoläufe, Ausdauerläufe, Intervalle, Steigerungen…. Wenn man sich Tipps für Ultras sucht, dann steht dat: Einfach so oft wie möglich lange laufen. Schlurfschritt eher als echtes Laufen. Bloß die Pfoten nicht so sehr heben. 100km, Schrittlänge vielleicht 80cm, wir sind ja im Ultraschlurfschritt, das macht 125.000 Schritte bis ins Ziel. Hebt man den Fuß pro Schritt nur 2cm höher, und wiegt der  Schuh ca. 250gr, dann habe ich am Ende die 250gr  2,5km in die Höhe gehoben. Oder was beeindruckender und aus physikalischer Sicht gleichwertig ist: 525kg einen Meter hoch.  Die im Alter ohnehin eintretende Fußheberschwäche wirkt sich hier positiv auf die Leistungsfähigkeit des Ultras aus.
Zu beachten ist hierbei, dass der Körper sehr schnell die Vorteile des flachen Schlappschrittes erkennt. Sobald er das gemacht hat, sind schnelle Zeiten auf den 10km oder die Marathon Bestzeit Geschichte. Das kann, sollte einen aber nicht stören.
Das langsamere Tempo, die geringere Schrittweite, das geringere Abstoppen bei der Landung führt zu deutlich weniger Belastung in den Gelenken. Mag widersinnig klingen, aber bei einem Ultra in moderatem Tempo sind die Belastungen geringer als bei einem Marathon in scharfen Tempo.

In der nächsten Folge geht es um ein paar interessante Ultras in Europa.

Heiko, 50 Jahre, arbeitet am Tag, läuft nachts, sammelt Uhren, schraubt an Autos und liebt die Familie über alles. Heikos Seite ist  schlusslaeufer.de.

Mal schnell mit dem Rad von Hamburg auf den Brocken

Heiko ist von Hamburg auf den Brocken gefahren. Mit dem Rad. An einem Tag. Das hat er schon mal versucht, da hat’s nicht geklappt. Warum, das steht bei schlusslaeufer.de. Diesmal hat’s geklappt. Warum, das steht hier.

Ja, diesmal bin ich angekommen. Ich hatte aus dem letzten Event gelernt. Letztes Mal war es März und kalt, kaum Wind, ich hatte trainiert (regelmässige Fahrten mit dem Rad zur Arbeit), ich war am Elbe-Seiten-Kanal entlang gefahren, mit dicken Satteltaschen..
Diesmal sollte alles anders sein. Ich war vor ca. 1,5 Jahren das letzte Mal auf dem Rad (jedenfalls für mehr als 5km). Wir hatten April und ich wollte zur Walpurgisnacht auf dem Brocken sein. Es war sehr windig, mit der bevorzugten Richtung Süd-Ost. Ich fuhr quer durchs Land und mied den Kanal. Die Satteltaschen waren schlanker.

Aber Bike und Fahrer waren identisch. Damit das Ganze auch als Tagestour in die Annalen eingehen kann, musste ich das maximale aus einem Tag rausholen. Demzufolge war der Start um 00:00. Na, jedenfalls nahe dran. Denn ein bisschen ist immer zu fummeln und so rollte ich um 00:10 vom Grundstück. Die Nacht war kühl, aber nicht kalt, und im Hamburger Häusermeer war der Wind beschaulich.
Das erste Stück der Strecke war leicht. Ich wohne ja schon länger in Hamburg und die Navigation bis zur B5 war ein Kinderspiel. Die B5 hingegen kenne ich nur per Auto und ich war nicht sicher, ob und wo da ein Radweg ist. War aber. Sogar nett an einem Gewässer. Die Bille vielleicht. Na, egal. War ja keine Städtereise mit Kulturprogramm. Einige Jugendliche mit einem bemerkenswerten Alkoholspiegel nutzten den gleichen Weg und machten Bemerkungen, die sich dem Nüchternen nicht erschlossen.

Kurze Zeit später war der Radweg vorbei. Oder zumindest nicht mehr sichtbar. Es gab einen Tunnel, und danach war man in einem Kleingartenverein. Ich hab mir den dann ein wenig angesehen. Wie das GPS nachher zeigte, bin ich sogar im Kreis gefahren. War wohl noch nicht richtig wach. Ich kam so nicht weiter. Also zum Tunnel zurück, anderer Versuch. Navi wollte ich noch nicht anschalten. Es ging dann rechts auf einer Straße weiter. Aber kein Schild wies darauf hin. Radfahrer sind eben Menschen um die man sich nicht kümmern muß.

Bergedorf durchradelte ich in der Phase, in der Menschen aus der Kneipe nach Hause gehen. Anstrengend, dieses Slalomfahren. Dann das kurze Stück nach Geesthacht. Kurz jedenfalls, wenn man im Auto sitzt. Immer wieder dachte ich, ich bin gleich da. War ich aber nicht. Dann endlich der erlösende Schein des Hebewerks. Rüber über die Brücke und runter auf die Elbuferstraße.
Der musste ich nun eine ganze Weile folgen. In der Dunkelheit eigentlich egal, wem oder was man folgt. Man sieht eh nur den Kegel der Radlampe. Wobei das auch ganz nett sein kann. Wenn man z.B. über die Elbe fährt. Es  rauscht unten, und man sieht nichts, das ist dann ein unwirkliches Gefühl. Nun gut, die Elbe war Geschichte, und hier rauschte nichts. Nichts? Doch der Wind. Der fing schon hier an mich zu nerven.
Etappenziel an jetzt Lüneburg. Gar nicht so leicht, nicht auf die Ortsumgehung zu gelangen. Autos sollen ja nicht durch die Stadt. Der Kilometer-Sparer auf dem Rad hingegen wählt den kurzen Weg quer durch die Stadt. Schon allein der 24-Stunden-Tanken wegen. Ein heißer Kaffee mit Milch weckte meine Lebensgeister und gab mir Schwung für die nächsten Kilometer Richtung Uelzen.

Es wurde langsam hell. Ein Vorteil des Monats April gekoppelt mit der Sommerzeit. Erstaunlich wie lange die Sonne so braucht, bis das Licht vollständig an ist. Uelzen brachte einen weiteren Kaffee und einen Schoko-Croissant. Und es zeigten sich erste Bewegungsbehinderungen. Konnte ich zu Beginn der Tour mein rechtes Bein noch locker über die Gepäcktaschen schwingen und so ein gemein hin als elegant bezeichnetes Aufsteigen zelebrieren, musste ich jetzt das Bein umständlich über die Sattelstange fummeln. Dabei musste das Rad zur Seite geneigt werden. Aber mehr war nicht mehr drin. Sah schwer behindert aus, aber ließ sich nicht ändern. Aber ich hatte in Uelzen die 100km geschafft, und das in knapp unter 6 Stunden.
Gifhorn. Ein Ort, wo niemand hin will. Außer ich. Ich war jetzt ein Jünger der B4. Was für eine Bundesstraße. Menschen mit einem Hang zum Lineal haben die Planung übernommen. Ich kenne solche Straßen nur aus dem mittleren Westen der USA. Na, nun auch hier. Gerade. Gerade. Gerade. Mag dem Autofahrer nicht so auffallen, aber mit dem Rad sind fast 80km geradeaus eben… verknüpft mit einem gewissen Vergehen der Zeit. Obwohl ich da noch flott unterwegs war, und der Tacho trotz Gegenwind häufig 25km/h anzeigte.

Braunschweig. 200km. Sub 12 Std. Irre. Ich fing an zu glauben, dass ich den Brocken schaffen würde. Aber noch lagen 100km vor mir. Und das Gelände wurde welliger. Ich musste mich auch mal um meine Füße kümmern. Was sonst nicht meine Art ist. Ich entfernte Schuhe und Socken und sah mir das Elend an. Durch die Klick-Pedale wurde der Fuß immer identisch belastet, und weil er das nicht gewohnt war, reagierte er mit Schmerz. Höllischen Schmerzen. Und so sah ich mich genötigt, zu Chemie zu greifen. Ich rieb die Füße mit Voltaren ein. Und wer mich kennt, weiß dass ich so etwas SEHR ungern tue. Aber hier und jetzt musste es sein. Anders wäre ich wohl wegen Zurschaustellung verzerrter Gesichtszüge an der nächsten Kreuzung verhaftet worden.
Auch mit der Salbe hatte ich noch genügend Fußspaß. Aber mehr noch fing der Wind an, mich zu nerven. Dass ich einige Bergab-Strecken treten musste, um nicht anzuhalten, daran hatte ich mich gewöhnt. Das ich ständig durch ein Meer von Pollen fuhr, störte mich nicht mehr, seit ich den Pollen-Schnee nicht mehr im Scheinwerfer-Kegel ständig beobachten konnte. Was man nicht sieht, ist auch nicht da. Aber dieses Pfeifen am Helm und in den Ohren, fing an, mich zu stören. Und zwar ziemlich. Aber alle Versuche, den Wind weg zu bekommen, funktionierten nicht. Er war an. Blieb an und nervte. Ich hätte Surfer werden sollen.

Dann Martierszoll (oder so), einer der wenigen Orte, durch die ich bei der Erstauflage auch gekommen war. Alte innerdeutsche Grenze. Diesmal mit Foto. Aber sonst ist das eine wirklich vergessene Welt. Vieles steht leer. Will wohl keiner dort wohnen. Und auch ich wollte da weg. Aber primär, weil ich woanders hin wollte. Ich konnte den Brocken jetzt sehen. Dunstig zwar, aber ich hatte ihn im Blick.
Ich fuhr jetzt Garmin-geführt. Komische Wegführung. Aber ich bin ja technikgläubig. Die Straße hieß irgendwas mit roter Mühle. Erinnerungen an die DDR? Asphalt hatte diese Straße nicht. Hätte ich Fußgänger-Navigation benutzen sollen? Was ist das? Eine Furt? Ich hätte spucken können. Zurück radeln kam nicht in Frage, sagten mein Hintern, die Muskeln und mein Kopf. Also durch. Steine am Grund. Schlüpfrig. Um den Voll-Wasser-Kontakt zu vermeiden: Füße runter und die Lage stabilisieren. Ah, das kalte Wasser nimmt den Schmerz. Aber was würde dann kommen, Blasen? Egal, es war wie es war. Ich fuhr liquid cooled weiter. Wieder führte mich das Navi auf einen Feldweg. Autobahn? Genau. Bis an eben selbige führte der Weg, und das Navi meinte, es gäbe eine Brücke. Gab es aber nicht. Hier war mit Sturheit nichts mehr zu machen. Ich musste wenden. Zum Glück nicht noch mal durch die Furt.

Werningerode. In einem Laden einer sehr alten Frau (der Laden hat von 4:30 bis 21:00 durchgehend auf, das hält wohl am Leben) gab es einen Kakao, und auf die Frage ob dieser Weg wohl wirklich auch nach Schierke führte (was das Navi meinte), gab es ein Ja. Ich hätte weder der alten Frau noch dem Navi trauen sollen. Im Prinzip hatte beide recht. Und es war wohl auch der kürzeste Weg. Was ich ja eingestellt hatte. Aber es ging über Elbingerode, und so machte ich mehr Höhenmeter als geplant. Mit dem Auto kein Thema, aber mit müden Beinen eine fiese Sache. Na, selber Schuld und nicht mehr zu ändern.
Über eine Art Höhenstraße kam ich nach Drei Ahnen Hohne und machte noch mal Pause. Es würde von nun an immer weiter bergan gehen. Schierke erreichte ich noch mit einem Lächeln, aber bereits mit mächtig taubem Gesäß. Dort waren Tausende zum Hexenstanz auf den Straßen, und zum ersten Mal war das Umrunden von Fußgänger schwieriger als das Erzeugen von Vortrieb. Dann Schilder, dass die Brockenstraße gesperrt sei. Das konnte nur ein Aprilscherz sein. Ich fragte einen Ranger, und der meinte, nein, heute und morgen ist die noch offen und dann gesperrt. Glück gehabt. Ich schlich weiter.
Bei 700 Höhenmetern wäre die Reise beinahe zu Ende gewesen. Ich wollte wieder aufsteigen, aber ein fürchterlicher Krampf im linken Arm zwang mich zu Hexentanz-tauglich stoßartigen Lautäußerungen und Einweisungs-tauglichen Bewegungsabläufen. Das ging ein paar Minuten so weiter, dann hatte ich das im Griff und radelte weiter. 4km/h war jetzt mein Tempo. Aber egal. Ich würde ankommen. Mir kam eine Gruppe Radler entgegen. Einer war gestürzt. Das Gesicht sah sehr, sehr schlecht aus. Tampons in der Nase. Ich denke da hätte man auch mal einen Rettungswagen kommen lassen können. Für mein Abfahrt Richtung Bad Harzburg nahm ich mir vor, vorsichtig zu sein.

Irgendwann fuhr ich an einem Radler vorbei, der Pause machte. Der hat mich weiter oben dann überholt. Er schob sein Rad. Da kann man mal sehen, WIE langsam ich am Ende war. Aber ich sah in dem Moment schon den Gipfel, und hier zählte nur noch das Ankommen.
Kurz ein paar Fotos am Gipfelstein. Aber die Kälte zog sofort durch alle Schichten. Daher schnell das Rad angebunden und ins Restaurant. Der Plan war, dort lecker zu essen und sich aufzuwärmen. Klasse, der Goethesaal war zu. Wollen die keinen Umsatz machen? Es ist Walpurgisnacht. Also in die Turmklause. Immerhin offen. Eigentlich nur für Hotelgäste, aber heute auch für andere. Allerdings nur noch bis 22:00 also keine Viertelstunde mehr. Heißer Kakao und eine Apfeltorte. Fertig. Ein paar „Ich hab’s geschafft“-SMS und wieder raus in die Kälte.
Walpurgis ist nur um Mitternacht. Und bis dann wollte ich oben sein. Vielleicht ist der Wartesaal der Brockenbahn offen? Nein. Auch zu. Also windgeschützte Stelle gesucht. Eine Biertisch-Bank rüber getragen. Dünner Schlafsack. Notbiwaksack drüber. Auf die Biertisch Bank (natürlich eigentlich zu schmal für mich), und Wecker auf Mitternacht gestellt. Bis Mitternacht schön gepennt. Dann ein kurzer Blick: Keine Menschen. Also ein wenig den Sternenhimmel bekuckt und innerlich walpurgt. Wecker auf 01:00 und ein bisschen weiter genickert.

Um 01:00 dann noch ein paar trockene Sachen angezogen und runter nach Bad Harzburg. Bereits wenige Meter nach dem Losrollen verließ das Gefühl meine Hände. Das war so was von kalt und bergab war ich locker 40km/h schnell. Plus dem jetzt sehr starkem Wind. Na, nach dem Abbiegen an die Strecke neben der Brockenbahn sollte es windstiller werden.
Neulich hatte ich mich noch über den Rückbau der schönen Holzbohlen geärgert, jetzt war es okay. Ich konnte auf der Waldautobahn herrlichen rollen. Die Panzer-Rüttel-Platten haben mir dann fast das Rad zerlegt. Bodensprung rechts ab Richtung Torfhaus. Das Rütteln geht weiter. Dann unten am Wasserregal entlang. Wurzelpfad. 01:30 morgens und mit deutlichem Schlafdefizit eine durchaus spannende Sache.
Dann vom Torfhaus runter Richtung Bad Harzburg. Breite Straße. Das Rad rollt. Ich weiß, da ist ein Blitzer. 60km/h ist erlaubt. Ich fahre 70km/h. Zu langsam für ein Foto. Schade. Um 02:00 ist der Bahnhof erreicht. Um 6:42 fährt mein Zug. Wartesaal ist wieder zu. Schade. Ein Beet mit Rindenmulch ist trocken und wird für die nächsten 3 Stunden mein Bett.

Fazit: Eine herrliche Fahrt. Das taube Gefühl in Schultern, Händen und im Schritt wird nachlassen, ich weiß das. Und ich habe es geschafft.
Wieder eine gehirnfreie Idee, die in die Tat umgesetzt wurde.

Heiko, 50 Jahre, arbeitet am Tag, läuft nachts, sammelt Uhren, schraubt an Autos und liebt die Familie über alles. Heikos Seite ist  schlusslaeufer.de.