Tour de France – 3. Etappe

Sprintankunft

Sprintankunft in Redon. Alles andere wäre eine absolute Überraschung. Wir verlassen die Vendée und nehmen Kurs auf die Bretagne. Hoffentlich kommt es heute zum prognostizierten Show-down zwischen André Greipel und Mark Cavendish. Thor Hushovd, der Norweger, der gestern das Gelbe Trikot übernahm, ist ebenfalls ein Sprinter, der noch ein Wörtchen mitreden könnte. Immerhin: Im vergangen Oktober hat er die Straßenweltmeisterschaft in Melbourne nach einem brutal langen Sprint vor dem Dänen Matti Breschel gewonnen.

Interessant wird heute die Renntaktik. Es gibt nur noch einen Zwischensprint pro Etappe – und der wurde erheblich aufgewertet. Der Erste bekommt 20 Punkte. Das ist fast die Hälfte der 45 Punkte, die es für einen Etappensieg gibt. Ein “Scheiß drauf, ist ein Zwischensprint!”, dürfte den sportlichen Leitern nicht mehr so leicht über die Lippen kommen.

Gibt es eine kleine Ausreißergruppe mit zwei, drei Mann? Oder halten die Sprinterteams den Laden auf Teufel komm raus zusammen?

Ich vermute: Letzteres. Denn das Profil morgen an der Mûr-de-Bretagne wird wellig und da sacken vermutlich die Allrounder oder Ausreißergruppen die Punkte fürs Grüne Trikot ein. Greipel & Co. brauchen die Punkte von heute! Die Ansicht von Tourchef Christian Prudhomme, der vermutet, dass das Rennen nur bis zum Zwischensprint “blockiert” sei, teile ich nicht. Warum sollte man für den kleinen Lohn rackern und den großen Fisch dann von der Angel lassen?

Hach, Redon. Da hab ich noch eine schöne Geschichte auf Lager. Die hat zwar nix mit der Tour zu tun, aber mit Fisch und “Männer unter sich”: Letztes Jahrhundert: Es muss irgendwann Anfang Oktober gewesen sein. Wir tuckerten mit der Diane über die Vilaine. Es war die erste reine Männer-Tour: Mein Onkel, mein Vater und ich. Ziel war La Roche-Bernard. Zwischenstopp in Redon. Ich war Smutje an Bord und die Mannschaft wollte Fisch.
Ich in den nächsten Lebensmittelladen rein. Monsieur im weißen Kittel stand hinter der Frischtheke. Ich so: “Quelles pêches avez vous.” [Meinte Fische, faselte aber ungewollt was von Pfirsichen] Er so: “Uhlala, Monsieur, c’est n’est plus la saison. Allez-y, on va voir le rest.” Kommt um die Theke rum und geht in die Obst Abteilung. “Voilà!” Ich:”No, no, les pêches du pêcheur.” – “Ah, les poissons [die Fische]. C’est le pêcher [Pfirsichbaum] qui donne les pêches et c’est le pêcheur [Fischer] qui pêche [fischt] les poissons.”.
Kein Pech hatte ich dann mit den erstandenen Seezungen. Nur waren die sündhaft teuer – le pêche, die Sünde eben.

Weiter im Text.

Fakten-Check:
Länge: 198 Kilometer. Profil: Flach mit mit einem einzigen Anstieg im letzten Drittel – der Loirebrücke Pont de Saint-Nazaire (4. Kategorie). Wer gewinnt? André Greipel. Heute will er es wissen. Marcel Sieberg wird ihn nach vorne fahren.

Bike-Check:
Auffälligste Neuerung für Sprinter, die elektrisch mit Shimano Di2 schalten: Satellite Shifter. Das sind kleine zusätzliche Elektroschalter, die im Bogen des Lenkers verbaut werden. Damit lässt sich die Kette per Daumendruck Ritzel für Ritzel am Hinterrad abwärts bewegen. Die Finger bleiben so komplett am Lenker. Mark Cavendish nutzt diese Shifter. André Greipel schaltet konventionell per Seilzug mit Campagnolo-Record.

Fromage du Terroir1: Noyal.
Nach zwei Ziegen- ist heute ein Kuhmilchkäse dran. Er kommt aus Noyal-sur-Vilaine – ein paar Flusskilometer auf der Vilaine nördlich vom heutigen Etappenort. Auf der Höhe von Rennes. Es ist ein halbfester Schnittkäse in ovaler Form mit mildem Geschmack. Was trinken? Ein Bonnezeaux. Das ist ein eigentümlicher edelsüßer Weißwein aus dem Loiretal, der nach Pfirsich und Honig duftet.

Foto Tour: wfbakker2 under CC by SA 2.0
Foto Seezunge: wrw  / pixelio.de

  1. “Comment voulez-vous gouverner un pays qui a deux cent quarante-six variétés de fromage?” – “Wie wollen Sie ein Land regieren, in dem es 146 Käsesorten gibt?”, fragte Charles de Gaulle, der erste Präsident der V. Republik. Das können wir von “Männer unter sich” natürlich auch nicht beantworten, aber wir stellen während die Tour läuft – passend zur Region – jeden Tag einen der kleinen Stinker vor.

Tour de France – 2. Etappe

Iban Mayoz beim Zeitfahren

Mannschaftszeitfahren in Les Essarts – wir sind also weiterhin in der Vendée. Was hat es mit dem Mannschaftszeitfahren auf sich? Walter Goodefrot bringt es auf den Punkt: “Das ist ein Scheißrennen.” Defekte, Stürze, Fahrer die zu früh abgehängt werden. Beim Contre-la-montre par équipes wird die Tour zwar nicht gewonnen, aber durch irgendein Pech ruck-zuck verloren.

Team Milram beim Training

Ruck-zuck zerschlugen sich die Hoffnungen von Linus Gerdemann 2009 in Montpellier, als seine Milram-Mannschaft gleich zwei Mal zu Boden ging. Vor dem team time trial hatte er noch auf einen Platz unter den Top-Ten spekuliert. Nach der Veranstaltung war er über 40 Plätze abgerutscht.

Spekuliert auf den Toursieg hatte 1993 Tony Rominger. Zum Unglück zwei Mannschaftskameraden auf der Passage du Gois gelassen zu haben, kam auch noch Pech mit dem Wetter hinzu. Er startete mit dem geschwächten und dezimierten Team im Regen nach Avranches. Als Induráin in Dinard an den Start ging, war schönster Sonnenschein und die Strecke pupstrocken. Das schlug mit brutalen vier von insgesamt fünf Minuten zu Buche, die der Schweizer am Ende hinter dem Spanier lag.

Zu Buche schlug 1993 auch die Länge der Strecke – über 80 Kilometer! Streckenchef Francois Pescheux war in diesem Jahr gnädig: Es sind “nur” 23 Kilometer geworden. Aber: Schon mal versucht 23 Kilometer an einem Fahrer dran zu bleiben, der eigentlich viel schneller als man selber ist? Geht nicht. Irgendwann muss man reißen lassen. Und das kann übel werden. Denn beim Mannschaftszeitfahren stoppt die Uhr erst, wenn der fünfte Fahrer eines Teams über die Linie fährt. Eine Deckelung der maximalen Zeitabstände gibt es diesmal nicht – denn so groß dürften die heute nicht werden.

Damit mindestens fünf Fahrer gemeinsam über die Linie flitzen, kommt es drauf an, in einer günstigen Formation zu fahren. Beim öffentlich-rechtlichen murmeln sie an dieser Stelle immer was vom Belgischen Kreisel – alle Fahrer leisten gleichviel Führungsarbeit, gehen zügig aus der Spitze raus und reihen sich hinten im Windschatten ein. Die Windrichtung bestimmt dabei die Rotationsrichtung. Den Kreisel werden wir aber in Reinkultur nicht zu sehen bekommen. Denn damit der rollt, müssten die Fahrer in etwa gleich stark sein.

Gleich stark sind die Fahrer bei Leopard-Trek zum Beispiel auf keinen Fall. Besser gesagt: Die Stärken sind anders verteilt. Die Chancen das die Leoparden heute Gelb übernehmen stehen nicht schlecht. Immerhin haben sie mit Fabian Cancellara den Zeitfahrweltmeister von 2006, 7, 9 und 2010 im Boot. Der kann den Gebrüdern Schleck ordentlich Windschatten spendieren. Auch Garmin-Cervélo darf sich mit den beiden Davids, Millar und Zabriskie, Hoffnungen machen.

Ist Mannschaftszeitfahren wirklich ein Scheißrennen? Nee, wir Zuschauer dürfen uns auf spektakuläre Bilder freuen. Endlich sieht man mal die Teams komplett im Rennbetrieb. Allemann in geschmeidigen Rennanzügen. Stylische Helme. Im besten Fall fahren sie wie Uhrwerke auf ihren high-tech Zeitfahrmaschinen.

Für die schwächeren Fahrer ist es aber eine Tortur. Für sie ist das Rennen wie das Gummi einer alten Unterhose. Ein paar mal reicht die Elastizität, aber irgendwann kommt der Punkt, wo es den Laden nicht mehr zusammen hält.

Fakten-Check:
Länge: 23 Kilometer. Profil: Flach. Die höchste Welle ist kurz vor dem Ende. Zwischenzeiten werden bei Kilometer 9 in Boulogne und bei Kilometer 16,5 in La Merlatière genommen. Wer gewinnt? HTC. Weltklasse Zeitfahrer Tony Martin fährt ins Gelbe Trikot.

Bike-Check:
Aerodynamik ist heute Trumpf. Bei einigen Zeitfahrmaschinen verschwinden die Bremsen hinter der Gabel. Disc-Laufräder senken den Luftwiderstand. Und: Riesige Kettenblätter. Bei einigen werden die ganz dicken Dinger mit 56 Zähnen montiert.

Fromage du Terroir1: Trois Cornes de Vendée
Ein Ziegenkäse in Dreiecksform mit einer Seitenlänge von etwa 10 Zentimetern. Er erinnert etwas an einen frischen Camembert. Wer keinen Ziegenkäse mag, wird ihn nicht mögen – er kann seine Herkunft nicht verleugnen. Welches Getränk passt? Ein Gros-Plants. Er ist der kleine Bruder des Muscadet. Dieser Weißwein aus dem Gebiet von Nantes. Ist preiswert und schmeckt gut gekühlt.

Fotos: Carsten Sohn

  1. „Comment voulez-vous gouverner un pays qui a deux cent quarante-six variétés de fromage?“ – „Wie wollen Sie ein Land regieren, in dem es 146 Käsesorten gibt?“, fragte Charles de Gaulle, der erste Präsident der V. Republik. Das können wir von „Männer unter sich“ natürlich auch nicht beantworten, aber wir stellen während die Tour läuft – passend zur Region – jeden Tag einen der kleinen Stinker vor.

Tour de France – 1. Etappe

Die Passage de Gois

4,5 Kilometer lang. Zwei Mal am Tag komplett vom Atlantik überflutet. Immer überzogen mit einer Schicht aus salzigem Schlick und Schlamm aus der Baie de Bourgneuf. Auftakt der Tour de France 2011 in der Vendée an der Passage de Gois. Das hat was.

Pathos, die ganz große Geschichte, der Hang zum Historischen, dramatische Bilder, die interessante Kleinigkeit am Rande und die Wucht des Scheiterns. Wenn Christian Prudomme, Monsieur le Directeur du Tour de France, eins kann: Schnittstellen für allerlei Kommunikationen herstellen.

Anno tuc floh der französische Adel vor den Normannen über Sandbänke vom Festland auf die Île de Noirmoutier. Während der Revolution nutzten die Royalisten die PdG als Rückzugsweg. Irgendwann kamen dann Pflastersteine auf den Schlick – hier und da etwas Asphalt. Zwei Mal war sie bereits im Programm der Tour. Beide Male gab es schlimme Stürze – mit Ansagen. Etliche Favoriten flogen dabei früh im Tourverlauf raus. Ausgerechnet hier die erste Etappe einer Tour zu starten – das hat eine unwiderstehliche Dreistigkeit, Herr Prudhomme!

Le Tour

“Sous les pavés, la plage – Unter den Pflastersteinen liegt der Strand.” Das dieses Motto der 68er-Bewegung ausgerechnet in der nationalkonservativen Vendée mit der PdG verwirklicht wurde, ist ein Beleg dafür, dass die Verfasser der Menschheitsgeschichte auch mal für einen kleinen Spaß im Detail zu haben sind.

Weniger Spaß dürfte Abraham Olano am 5. Juli 1993 gehabt haben, als er mit seinem Mannschaftskameraden Arsenio González Gutiérrez auf der rutschigen PdG auf die Nase flog. Olano war sofort aus dem Rennen, González schaffte es noch bis ins Ziel, strich aber am nächsten Tag die Segel.

Die Segel streichen konnte auch sein Kapitän Tony Rominger, der sich den Zeitfahrer Olano in die Mannschaft geholt hatte, um gegen Miguel Induráin anzustinken. Mit nur sechs Fahrern bei Mannschaftszeitfahren von Dinard nach Avranches bekam er nicht nur keine Schnitte, sondern auch noch eine Zeitstrafe eingeschenkt, weil zwei Mannschaftskollegen von Clas-Cajastur sich regelwidrig gegenseitig angeschoben hatten. Kein schöner Tag für den Schweizer.

Kein schöner Tag für einen anderen Schweizer war die Überfahrt der Passage du Gois am 5. Juli 1999. Diesmal erwischte es Alex Zülle. “Wer vorne stürzt, fährt sicherer”, meinte Reporterurgestein Dr. Jürgen Emig. Umgekehrt wird ein Schuh drauss, muss sich ein gewisser Lance Armstrong gedacht haben, der mit der Spitzengruppe über die Passage schlitterte und Zülle geschmeidige sechs von sieben Minuten einschenkte, die am Ende den Toursieg ausmachen sollten.

Mit dem Schuh raus war Armstrong am 2. Juli 2005 – allerdings dauerte es nur eine Schrecksekunde bis er ihn beim Prolog von Fromentine auf die Île de Noirmoutier wieder ins Pedal klicken konnte. Dass David Zabriskie den Prolog vor sechs Jahren gewann, hatte ich schon so gut wie vergessen. Das Bild dieses Rennens: Armstrong überholt den eine Minute vor ihm gestarteten Jan Ullrich.

2005 ging es zwar nicht über die Passage du Gois, sondern über die Brücke zur Île. Sie wird auch diesmal wieder Ausgangspunkt sein. Die Fahrer starten offiziell, neutral in La Barre-de-Monts – genauer gesagt: An der Place de la Gare in Fromentine vorm Hotel de Bretagne. Es geht dann über die D 38 zur Brücke. Und nach einem Rechtsknick auf die Passage du Gois, wo Tourchef Prudhomme das Fähnchen wedelt, um den scharfen Start freizugeben. Sollte die Passage du Gois noch feucht sein – gute Nacht zusammen.

Mit einer Sprintankunft rechne ich nach den ersten 191,5 Kilometern allerdings nicht, denn am Ende warten zwei Berge auf die Fahrer. Von einer alpinen Bergankunft kann man natürlich nicht reden, aber immerhin die letzten 2 Kilometer bis ins Ziel auf dem Mont des Alouettes (4. Kategorie) geht es stramm bergauf.

Fakten-Check:
Länge: 191,5 Kilometer. Profil: Flach mit zwei Anstiegen gegen Ende. Der bissigste zum Schluss 2,2 Kilometer mit 4,7 Prozent. Wer gewinnt? Andy Schleck? Contador? Nee, hier muss ein Fahrer im Berserkerformat das Rennen machen: Fabian Cancellara.

Bike-Check:
Laut RoadBIKE soll Andy Schleck ein Chain Catcher gefehlt haben, als er im vergangenen Jahr bei der 15. Etappe nach Bagnères-de-Luchon Gelb verlor, weil er die Kette aufs Tretlager schaltete. Das sollte in diesem Jahr nicht passieren, denn sein aktueller Sponsor verbaut sie serienmäßig.

Fromage du Terroir1: Bûchette du Pont d’Yeu.
Von der Brücke aus kann man sie sehen: Die Île d’Yeu. Dort wird dieser cremige Ziegenkäse in Form eines Zylinders rund ums Jahr produziert. Er ist mit einer dünnen, grauen Schicht aus Asche und Schimmel überzogen, die im salzigen Klima der Insel besonders gut gedeiht. Beste Saison ist der Frühsommer. Welchen Wein dazu? Einen weißen: Muscadet. Aber sur lie s’il vous plaît. Dann hat er lange Kontakt mit der Hefe gehabt und moussiert noch ein wenig.

Carsten Sohn, Jahrgang 70, arbeitet als Blogger und Tagedieb im Mitzwinkel, dem hintersten Winkel des Internet. In seiner Freizeit betätigt er sich als Hobby-Koch und Fahrrad-Evangelist. Für “Männer unter sich” kommentiert er die Tour de France.

Foto Passage de Gois: pics by brian under Creative Commons CC by 2.0
Foto Fahrer: by Simon Styles (originally posted to Flickr as IMG_3315) [CC-BY-2.0 ], via Wikimedia Commons

  1. „Comment voulez-vous gouverner un pays qui a deux cent quarante-six variétés de fromage?“ – „Wie wollen Sie ein Land regieren, in dem es 146 Käsesorten gibt?“, fragte Charles de Gaulle, der erste Präsident der V. Republik. Das können wir von „Männer unter sich“ natürlich auch nicht beantworten, aber wir stellen während die Tour läuft – passend zur Region – jeden Tag einen der kleinen Stinker vor.