Rechtliches Gehör

Richard Albrecht stellt Überlegungen zum Grundrecht auf rechtliches Gehör und zum Fall Gustl Mollath an.

„Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.“ 1

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied zum ersten Mal am 8. Dezember 1959 grundlegend zum Grundrecht des rechtlichen Gehörs2:

„Die Aufgabe der Gerichte, über einen konkreten Lebenssachverhalt ein abschließendes rechtliches Urteil zu fällen, ist in der Regel ohne Anhörung der Beteiligten nicht zu lösen. Darüber hinaus erfordert die Würde der Person, daß über ihr Recht nicht kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt wird … Der einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluß auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können.“

Das ganzdeutsche Oberstgericht meinte zum rechtlichem Gehör am 18. Jänner 20113:

„Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das gerichtliche Verfahren. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können.“

Zuletzt betonte das BVerfG am 17. April 2012 zu dieser Grundrechtsverletzung, die immer auch eine Verletzung der Menschenwürde bedeutet, weil ein „konkreter Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“ (so Verfassungsjurist Günter Düring: 1920-1996)4:

„Die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG hat besonderes Gewicht. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, den Betroffenen von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährleisteten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder wenn sie rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt.“5

Das Grundrecht auf rechtliches Gehör gilt zugleich als prozessuales Elementarrecht: Ausführungen der Prozessbeteiligten sind gerichtlich zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und beim Urteil zu berücksichtigen. Erfolgt das nicht, wie im Skandal-„Fall Mollath“ in Form von Nicht-zur-Kenntnisnahme einer Verteidigungsschrift des Angeklagten, dem dazu auch kein Verteidiger seiner Wahl zur Seite stand, durch den Vorsitzenden Landrichter Otto Brixner geschehen, dann liegt nachhaltige Grundrechtsverletzung des verweigerten rechtlichen Gehörs vor.

Diese hat Brixner als Vorsitzender Landrichter a.D. am 17. Mai 2013 vor dem Untersuchungs-Aussch. des bayrischen Landtags zugegeben.6 Brixner nannte den Wiederaufnahmeantrag von Dr. Gerhard Strate “ein 140-Seiten-Pamphlet“7, in dem er “der schwersten Straftaten beschuldigt” würde, “die ein Richter in Deutschland begehen kann”. Dies veranschaulicht: Brixner weiß, worum es in seinem Fall geht – sowohl um mehrjährigen Gefängnisaufenthalt als auch um den Wegfall seiner Beamtenpension in Höhe von etwa 5.000 € monatlicher Gesamteinkünfte.

Richard Albrecht ist unabhängiger Sozialwissenschaftler, wurde 1976 extern promoviert, 1989 habilitiert, anschließend als Privatdozent beurlaubt, lebt als freier Autor in Bad Münstereifel, vertritt in der empirischen Kultur- und Sozialforschung den Utopian Paradigm-Ansatz (-> Communications, 16 [1991] 3: 283-318), edierte 2002/07 das online-Magazin rechtskultur.de, veröffentlicht/e als Sozialwissenschaftsjournalist regelmäßig unregelmäßig in Aufklärung & Kritik, Auskunft, Hintergrund, Sozialwissenschaftliche Literatur Rundschau, soziologie heute, Zeitschrift für Politik, Zeitschrift für Weltgeschichte, in den Netzmagazinen ein-buch-lesen, filmundbuch, nassrasur, Notizen aus der Unterwelt und poetenladen sowie zuletzt die Bücher Genozidpolitik im 20. Jahrhundert. Drei Bände (2006/08): Völkermord(en) (2006), Armenozid (2007), Hitlergeheimrede 1939 (2008), StaatsRache. Justizkritische Beiträge gegen die Dummheit im deutschen Recht(ssystem) (²2007), Crimes Against Mankind, Humanity, and Civilisation (2007), SUCH LINGE (2008), die Edition FLASCHEN POST (2011) und den Erzählband HELDENTOD. Kurze Texte aus langen Jahren (2011). Bio-Bibliographischer Link -> http://wissenschaftsakademie.net e-Archiv des Autors ->http://eingreifendes-denken.net

  1. Artikel 103(1) des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gg/gesamt.pdf
  2. BVerfG 1 BvR 396/59: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts {BVerfGE}, 9. Band, Nr. 9: 89-109
  3. siehe http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20110118_1bvr244110.html
  4. Zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ 204/03, 3.9.2003: 33)
  5. siehe http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20120417_1bvr307110.html
  6. http://www.sueddeutsche.de/bayern/ermittlungen-gegen-gustl-mollath-eine-hoelle-an-belastungen-1.1675612
  7. Gemeint http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Wiederaufnahmeantrag-2013-02-19.pdf
Markiert mit Grundrechte, Justizskandal, Mollath.Speichern des Permalinks.

Eine Antwort zu Rechtliches Gehör

  1. AvatarThomas Gotthal sagt:

    In der Praxis wissen wir um die Bedeutung des „rechtlichen Gehörs“. Es kommt regelmässig zu kurz. Es wird quasi mit Alibifunktion rudimentär gewährt, während der Richter sich längst schon nebenbei auf die nächste Sache vorbereitet. Eine äußerst widrige Sache, und danke für die Hervorhebung dieses Grundrechts. Ich denke tatsächlich sehr oft über rechtliche Öre nach. Allerdings macht das auch nichts. Weil ich kein Richter bin.

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