Der Tanz um das goldige Weib

Anfang der Siebziger Jahre wohnte ich mit Blick auf den Sportplatz des PSV Recklinghausen und konnte deshalb dem Training der ersten Mädchen-Fußballmannschaft im ganzen Landkreis aus dem Fenster zusehen. Mein Urteil damals: „Das wird nie was. Auch in 100 Jahren nicht.“ Heute, 40 Jahre später, sehe ich aus dem Fenster erfreulicherweise nur Wald, dafür im TV eine weibliche Fußball-Nationalmannschaft und muß feststellen, daß das Weib offensichtlich bildsamer ist, als ich mir damals vorstellen konnte: Das Laufen – seinerzeit ein seltsames Ineinander von Trippeln und Hüpfen –  wurde in den vierzig Jahren richtig erlernt, Stop- und Schußtechniken wurden mit Erfolg geübt, und die Mädchen sind heute immer im Bilde, wo rechts und links, bzw. das eigene und das gegnerische Tor liegt. Das alles kann man würdigen trotz mancher Slapstick-Einlagen, wenn etwa zwei Verteidigerinnen und zwei Angreiferinnen (immer nur paarweise, man kennt’s von anderen Lokalitäten) auf den Ball gehen und dabei so stumpf aufeinanderprallen, daß hinterher alle vier platt auf dem Boden liegen. Auch die Torsteherinnen erheitern mitunter, aber das – ich weiß – darf man einem Geschlecht nicht ankreiden, das zehntausendjahrelang immer nur das Haus, hin und wieder eine Gänseherde,  niemals aber das Fußballtor hat hüten dürfen.

Also, alles ganz ok, und wenn die Mädchen Spaß am Kicken haben, sollen sie kicken. Und wer Spaß am Zuschauen hat, soll sie kicken sehen.

Auf einem ganz anderen Blatt steht aber, daß erstens der DFB das von seinen Männermannschaften im Übermaß verdiente Geld für seine Frauenmannschaften in solcher Fülle zum Fenster hinauswirft, und daß sich zweitens auf einen Schlag die gesamte Qualitätsjournalistentruppe – im Druck, „online“ und „auf Sendung“ – zu einem völlig durchgeknallten Cheerleader-Team formiert und mit giftigsten Ausfällen auf die naheliegende Rückfrage reagiert, ob sie denn nun total bekloppt geworden seien.

Steffen Dobbert, einer der erbarmungswürdigen Männer in der schwer gegenderten Redaktion der ZEIT, legte jüngst brav dar, dass die Missachtung des Frauenfußballs gar nichts mit dem Fußball zu tun habe, sondern sich nur gegen „starke Frauen“ richte. Nein, Herr Dobbert, wenn man nicht ohnehin wild entschlossen ist, sie auch dort zu entdecken, dann sieht man keine „starken Frauen“ auf dem Platz, sondern bestürzend schwache Fußballer. Das ist erstens offensichtlich und zweitens auch empirisch erhärtet: Ihre streng geheimgehaltenen Trainingsspiele gegen Männer verlieren die Weltmeisterelf und die besten Bundesliga-Frauschaften sowohl gegen die zur Schmerbäuchigkeit tendierenden Senioren von Fortuna Seppenrade (Bezirksliga) als auch gegen die Knaben (B-Jugend/U16) des VFB Stuttgart und der Frankfurter Eintracht. Und wenn’s mal gegen aktive Männer aus der 6. Ligaklasse (Verbandsliga: FC Teltow) geht, gibt‘s erwartungsgemäß eine zweistellige Putze.

Der notorische Einwand: Männer und Frauenfußball seien aufgrund der unterschiedlichen konstitutionellen Gegebenheiten auch völlig unterschiedliche Sportarten, ist natürlich dummes Zeug: auch die E-Jugend (8-10 Jahre) spielt bei völlig anderen körperlichen Voraussetzungen dasselbe Spiel, nur taktisch, läuferisch, technisch sehr viel schlechter als die Bundesliga. Was das Zuschauen trotzdem lohnt, ist die Neugier darauf, wieviel Talent sich gerade dort entfaltet. Auch das entfällt bei den 20- bis 30-jährigen Damen.

Ansonsten ist dieses Argument natürlich Teil jener kirchentäglichen Weltverkennung, nach der alle Unterschiede „ungerecht“ und demnach einzuebnen sind: vor allem die zwischen Können und Wollen und „Vielleicht- ein-bißchen-Wollen“. Alles gleichwertig, gemäß dem Weibliche-Lehrkraft-Motto: „Wenn alle mitgemacht und sich gut eingebracht haben, verdienen auch alle eine 1“. Oder Schweinsteigers Gehalt. Oder einen Sitz im Aufsichtsrat.

Frauen bleiben in allen Sportarten – außer im deswegen berüchtigten „Gemischten Tennis-Doppel“ – klugerweise unter sich; auch beim Schach übrigens, obwohl etwaige körperliche Nachteile sich in dieser Sportart allein durch einen höhenverstellbaren Stuhl ausgleichen ließen. Das alles ist nicht sonderlich bemerkenswert: Auch etwas, das man sehr viel schlechter beherrscht, als die jeweiligen Könner, kann ja sehr viel Spaß machen. Darum gibt es Theken-Mannschaften. Nur zwei Dinge sollte man bei der freudvollen Betätigung von Dilettantismus vermeiden: Auf die große Bühne zu streben, denn eine allzu heftige Diskrepanz zwischen Schauplatz und Darbietung ist nun einmal lächerlich. Und zweitens: großmäuliges Sprücheklopfen wie: „3. Plätze sind für Männer. Männer spielen, Frauen siegen.“ Es besagt nun mal nicht viel, wenn unter Lahmen der Halbbeinige König wird, und ansonsten gilt bereits nach je einer peinvollen Halbzeit Deutschland-Kanada und Brasilien-Australien: Männer spielen, Frauen stolpern.

Aber die schmerzliche Peinlichkeit dieser Mißverhältnisse haben wahrscheinlich weniger die fußballspielenden Frauen zu verantworten als vielmehr die Medien. Für unsere Fernseherziehungsanstalten ist die „FIFA-WM 2011“ nur Anlaß für eine weitere Schrittfolge in ihrem rituellen „Tanz um das goldige Weib“, den sie seit 20 Jahren in tranceähnlicher Verzückung stampfen – mit dem Ergebnis einer nicht mehr milden Form des Irreseins.

Daß das jetzt offensichtlich wird, ist immerhin ein achtbares Ergebnis einer Frauen-WM, die ansonsten geeignet ist, alte männliche Tugenden im Umgang mit den Frauen wiederzuerwecken: Schonung und großzügiges Drüberhinwegsehen.

Abbildung: Heike/pixelio.de