Der Paradigmenwechsel

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Wer die Suchfunktion der Nassrasurforen nutzt und mal so zehn, fünfzehn Jahre in der Zeit zurückgeht, wird eine verblüffende Entdeckung machen: Damals war die Welt der Rasierseifen eine ziemlich andere als heute. Damals galten die britischen Klassiker wie Trumper, DR Harris, Truefitt & Hill und Co. waren einmal das Maß aller Dinge, die Referenzklasse unter den Rasierseifen, und das – damals – vollkommen zu Recht. Diese Seifen produzierten einen voluminösen, üppigen Schaum, und die Düfte waren State-of-the-Art, was die Oldschool-Richtung anbelangt. Rasierseifen von kleineren Herstellern, die manufaktur-mäßig hergestellt wurden, kamen damals nicht über den Geheimtippstatus hinaus. Man probierte sie mal, um dann doch wieder zu den Klassikern zurückzukehren und ihre Vorzüge zu loben.

Diese Situation hat sich komplett gedreht. Weltweit haben die Seifen kleinerer, handwerklich arbeitender Hersteller („artisan soaps“) gewaltig aufgeholt und den englischen Traditionshäusern den Rang abgelaufen. Die Seifen der englischen Hersteller genießen mittlerweile in den Foren nicht mehr den besten Ruf: der Schaum lässt bei einigen Herstellern doch einiges zu wünschen übrig, wie man gelegentlich liest.

Woran liegt’s? Was ist passiert? Eigentlich gar nichts, außer, dass ein Missverständnis offenbar wurde. Ganz automatisch hatte man angenommen, dass die britischen Rasur-Dinos ihre Seifen im Keller ihrer noblen Londoner Stammhäuser handwerklich zusammenrühren lassen. Das traf von jeher aber nur auf DR Harris zu, die – nach meinen Recherchen – ihre Seifen tatsächlich noch selbst herstellen. Trumper und Co. lassen Ihre Seifen im Auftrag industriell produzieren, was bei den Rasiercremes immer noch ziemlich gut funktioniert, bei den Rasierseifen – wie man sagt – auf Grund eines Produzentenwechsels  zu der oben erwähnten mangelnden Schaumqualität geführt hat.

Während die Traditionsmarken sich also auf ihren Lorbeeren ausgeruht und begonnen haben, ihren Namen statt Qualität zu vermarkten, haben die Seifenmanufakturen nicht nur aufgeholt sondern die Traditionalisten überholt. Die Qualität der Manufaktur-Seifen wurde stabilisiert und verbessert, die Vertriebswege wurden optimiert, und man hat – im Gegensatz zu den Traditionsunternehmen, die in Ehrfurcht vor sich selbst erstarrt zu sein scheinen – neue, markante Düfte designt, die eine echte Alternative nicht zur zu den Traditionsfirmen sondern auch zum Einheitsbrei der modernen Designer-Düfte sind.

Diese Entwicklung hat in einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne stattgefunden. Man darf gespannt sein, was als nächstes kommt, denn der Brexit wird es den britischen Firmen nicht einfacher machen, ihre sowieso schon schwindenden Marktanteile im Ausland zu halten. Werden die Traditionsfirmen endlich aus den Puschen kommen, oder ist der Paradigmenwechsel endgültig?

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3 Antworten zu Der Paradigmenwechsel

  1. AvatarFrank sagt:

    Sehr interressanter Beitrag!
    Kann ich so auch nur unterstreichen. Zumindest für die englischen Hartseifen.
    Ich habe vor kurzem einen Puck Penhaligon`s Blenheim Bouquet RS nach 5 gescheiterten Versuchen zur Handseife degradiert. Die Schaumerzeugung ist einfach mühselig und unbefriedigend, die Schaumqualität lässt stark zu wünschen übrig und einiges vermissen.
    Da hat man(n) sich doch sehr schnell an Artisan Seifen gewöhnt und zum neuen Standard erklärt.

  2. Avatarsankhase sagt:

    Es gibt etliche Artisan Soap Hersteller die den tradionellen Hersteller weit überlegen sind. Ein paar Beispiele:
    Phoenix and Beau
    Wickham Soap Co.
    Oatcake Soap / Dead Sea Shave
    OSP Shaving Soap

  3. AvatarFrank sagt:

    Bei den reinen Duftwässern verhält es sich jedoch m.E. etwas anders.
    Ein Geo F. Trumper Wellington z.B. rangiert bei mir immer noch auf Platz eins meiner liebsten Düfte.
    Natürlich, edel und rein/klar, dazu preislich erschwinglich.
    Ich meine hier die gute Qualität förmlich erschuppern zu können.

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