„Keiner kann mich verstehen!“ – Ein paar Gedanken zu „Tenet“

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Video-Link: https://youtu.be/xscxntVQ8JE

Der folgende Text war zum Zeitpunkt der Niederschrift vollkommen spoilerfrei. Ob der Autor in der Vergangenheit verräterische Hinweise hinzugefügt hat oder das in der Zukunft noch tun wird, weiß er gerade nicht.

Vor ein paar Tagen war ich im Kino. Endlich mal wieder. Hab mir „Tenet“ angeschaut. Klar. Nolan. Ein „Must“. Und als nach zweieinhalb Stunden das Licht im Saal anging, war ich erst einmal verwirrt. Was hatte ich da eben genau gesehen? Was war da eigentlich passiert? Äh, ja, irgendwas mit Zeitreise. Oder Zeitverschiebung. Oder – wie war das noch mal? – einer Zangenbewegung durch die Zeit oder so. Keine Ahnung, was das eigentlich sein sollte. „Kein wirklich guter Film“ whatsappte ich in meinen erweiterten Bekanntenkreis und ging in die Kneipe, den Film mit ein paar Bier runterspülen. Normalerweise war’s das. Nach dem After-Film-Bier geh ich nach Hause, stream noch ein paar Sachen von meiner endlos langen Nachhol-Liste, geh ins Bett und am nächsten Morgen ist der Film vergessen. Nicht so bei Tenet. Ich bin zwar nach meinem Bier brav nach Hause gegangen, hab aber nix mehr gestreamt, sondern angefangen, über das nachzudenken, was ich im Kino gesehen hatte.

Erst nach der Hälfte des Films hatte ich überhaupt verstanden, worum es ging, verstanden, was Nolan mir erzählen wollte. Dass ich keiner einfachen Blockbuster-Story zusah, sondern einem erzählerisch sehr vielschichtigem Zeiträtsel, in dem sich die Figuren ständig selbst begegnen. Und man kann, wenn man den Film zum ersten Mal anschaut, eigentlich gar nicht wissen, wer gerade wer ist und an welchem Punkt der Zeit er sich eigentlich aufhält. Das erschließt sich einem erst, wenn man den Film bereits gesehen hat und rekonstruiert, was genau passiert ist. Oder, wie ein amerikanischer Kinogänger in einer User-Review auf der IMDB sinngemäß geschrieben hat: Dein Ich in der Gegenwart, das Tenet gerade anschaut, kann ihn gar nicht verstehen. Das kann erst dein zukünftiges Ich, das den Film schon gesehen hat.“

Klingt kompliziert? Ist es ja auch. Der Film ist extrem komplex, verzwickt und vielschichtig. Nicht zuletzt, weil Nolan den Hauptfiguren überhaupt keine Exposition gönnt. Wir erfahren nicht, wer wer ist und was ihn in diese Situation geführt hat, wir sehen Menschen zu, die von einem scheinbar willkürlichen Schicksal zusammengewürfelt wurden und erkennen gleichzeitig mit ihnen das Muster, nachdem das geschehen ist. Und das dauert eben seine Zeit. Letztlich hat Nolan „Form follows Function“ mit radikaler Konsequenz für die Filmsprache beherzigt.

Wobei „Tenet“ auf keinen Fall langweilig ist. Es passiert jede Menge. Die Action ist – wie immer bei Nolan – toll in Szene gesetzt und die Kämpfe sind perfekt choreographiert. Es geht auch ordentlich Material zu Bruch, unter anderem wird eine echte 747 zerdeppert1. Und manche Bilder sind schlichtweg atemberaubend, rückwärts einschlagende Granaten sieht man wirklich nicht alle Tage.

Dass hinter dem Spektakel eine wirklich raffinierte, stimmige und – vor allen Dingen stimmig erzählte – Geschichte steht, das kann man erst später merken. Das soll so sein. Letztlich ist „Tenet“ kein Popcorn-Blockbuster, sondern ein mutiges erzählerisches Experiment, das mit einem Blockbuster-Budget realisiert wurde.

Aber hatte ich denn nun recht, als ich nach dem Film spontan „Kein wirklich guter Film“ tippte? Ich bin mir bis heute, eine Woche nach dem Kinobesuch, nicht sicher. Eigentlich gehöre ich ja zu der Fraktion, für die nach den Schlusstiteln eines Films alles gesagt sein muss, punktum. Andererseits hat mir das Nachdenken über „Tenet“ einigen Spaß bereitet und ich überlege sogar, nochmal reinzugehen. Um zu schauen, ob ich mir alles richtig zusammengereimt hat. Und das ist, glaube ich, auch der Grund, warum der Film bisher an den Kinokassen eher überschaubar performt hat. Das lag nicht an Corona. Es hat sich rumgesprochen, dass man den Film eigentlich zweimal anschauen muss, um die volle Dröhnung abzubekommen. Für den, der die beim ersten Anschauen haben muss, ist „Tenet“ mit Sicherheit kein guter Film. Für die anderen: geht rein. Guter Film.

 

  1. Lt. Nolan, weil CGIs teurer gewesen wären. Das will mir immer noch nicht so ganz in den Schädel.
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3 Antworten zu „Keiner kann mich verstehen!“ – Ein paar Gedanken zu „Tenet“

  1. AvatarStefan R. sagt:

    Ich würde, so noch nicht geschehen, empfehlen, sich Wolfgang M. Schmitts Beitrag zu ‚Tenet‘ zu Gemüte zu führen.

  2. AvatarDave Halmans korrigierte Version sagt:

    Naja, sind halt die üblichen Filmzitate aus 100 Jahren Kino einmal durch den Zeitmixer gewolft. Mich hat das Ding bis auf ein paar nette Bilder gelangweilt.

    Was an dem Film fasziniert ist das er überhaupt aufgeführt wird. Eine lahme Story, aufgepusht von einem fast rewind und ansonsten das übliche.

    Bis auf den Konzertsaal (natürlich Ukraine) wo der Russe sic! den Laden hochgehen lässt. So weit so plump, aber nette Aktion die ganze Nomenklatura mal in die Luft (bzw. zum Teufel) zu jagen. Ist aber wohl eher nicht beabsichtigt und Interpretation meinerseits, fürchte ich.

    Am Ende dann ne Kurbelwelle als heiliger Gral der Vernichtung. Eine Hommage an The Abyss da ist das Ende genau so Sche… .

  3. Pingback:[Tipp der Woche] Rätselhafter Arthouse-Blockbuster - Nolans "Tenet" erscheint auf Blu-ray | Männer unter sich

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