[Gedanken beim Rasieren] Wenn du groß bist…

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Als ich diesen Artikel von den Kollegen von „Art of Manliness“ las, musste ich an meinen Vater denken. Mein Vater war ein Mann, der tief in einem autoritären Denken verwurzelt war, wie das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Standard war. Erst in den 60er Jahren kamen immer mehr Menschen auf die Idee, dass Autorität per se nicht unbedingt was Gutes war.

„Einer muss das Sagen haben“, war das Motto meines Vaters, und derjenige, der in unserer Familie das Sagen hatte, war er. Was am Wochenende unternommen wurde, bestimmte er. Wohin in Urlaub gefahren wurde, bestimmte er. Was im Fernsehen angeguckt wurde, bestimmte er. Natürlich hörte er sich an, was andere Familienmitglieder so dachten und wollten, aber was letztlich gemacht wurde, war seine Entscheidung. „Wenn du groß bist, kannst du die Entscheidungen treffen“, sagte er mit immer, „bis dahin…“

„Bis dahin“ war eine verdammt lange Zeit. Ich begann sehr zeitig, mich auf das Erwachsenensein zu freuen. Das musste toll sein, über alles selbst entscheiden zu dürfen. Ich konnte es kaum abwarten. Und weil mir die Zeit zu lang wurde, fing ich irgendwann an, die Entscheidungen meines Vaters in Frage zu stellen. Darauf zu insistieren, dass auch mal etwas gemacht wurde, was ich wollte. Mich aufzulehnen, meine Kräfte mit denen meines Vaters zu messen, sie in der Auseinandersetzung mit ihm zu trainieren und zu vergrößern. Was man halt damals so tat als heranwachsender Sohn. Als ich mich zum ersten Mal wirklich durchgesetzt hatte, war ich 12 oder 13 Jahre alt. Das war ein unglaubliches Gefühl. Ich war dem Erwachsensein einen riesigen Schritt nähergekommen.

Heute wohne ich in Berlin-Friedenau, einem kleinen, zwischen Wilmersdorf, Schöneberg und Steglitz eingeklemmten Stadtteil. Staunend beobachte ich jeden Tag, dass hier viele Kinder schon der Chef im Ring sind. Die Kleinen bestimmen, wohin der Sonntagsspaziergang geht. Was eingekauft wird. Ob man zu Daniele oder Rosario Pizza essen geht.

Ich finde das wirklich toll, dass die Zeiten von autoritären Sturköppen wie meinem Vater hoffentlich endgültig vorbei sind. Aber ich frage mich auch, warum diese Kinder aus meiner Nachbarschaft sich noch aufs Erwachsenwerden freuen sollen. Im Prinzip können sie ja nur noch verlieren.

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