[Wo Mann gewesen sein muss] Quartett wird Wirklichkeit – das Automuseum Prototyp in Hamburg

Als kleiner Junge war ich autoverrückt. Ich hab stundenlang Autoquartett gespielt (ich konnte alle Karten auswendig herbeten, exakte Hubraum-Angaben waren meine Spezialität), drückte mir an Autohäusern die Nase platt und träumte davon, selbst einmal einen Sportwagen zu fahren. Als ich dann jedoch mit 18 meinen Führerschein gemacht hatte, erwies sich das Autofahren als deutlich unglamouröser als angenommen. Ich verlor das Interesse, meine Sportwagenpläne wurden eingemottet. Aber als ich in diesem Frühjahr das Automuseum Prototyp in Hamburg betrat und die Sportwagen da stehen sah, diese archaischen Rennsemmeln, diese Träume in Aerodynmik, diese für den Geschwindigkeitsrausch gebauten Geschosse, da war’s um mich geschehen. Plötzlich war ich wieder der kleine, begeisterte Quartett-Spieler. Sogar die Hubraumgröße des E-Type fiel mir wieder ein.

Was nicht zuletzt daran lag, dass ich einige Fahrzeuge zum ersten Mal in meinem Leben sah. Und das ist ein riesiger Unterschied, wenn man die Dinger nur vom Fernsehen, aus Zeitschriften oder eben von Quartettkarten kennt. Man begreift überhaupt erst, was Motorsport eigentlich ist bzw. war, wenn man zum Beispiel vor Michael Schumachers erstem Formel-1-Wagen steht…

…einem Jordan. Okay, im Rennen ist er mit diesem Wagen nur 500 Meter gefahren, dann hatte das Auto einen deftigen Kupplungsschaden, aber trotzdem… In so kleinen Blechzigarren rasen die mit über 300 Sachen über den Asphalt. Wahnsinn.

Und wenn man vor so einem Wahnsinn an Windschlüpfrigkeit steht, schaltet das Gehirn erst einmal ein paar Sekunden lang auf Autopilot. Dann denkt man an diese todesmutigen Kerle, die in diesen zum Teil selbstgezimmerten Konstruktionen ohne Helm oder Gurt oder sonstwas gegeneinander Rennen gefahren sind oder sich gegenseitig Geschwindigkeitsrekorde abgejagt haben.

Schwerpunkt des Museums „Prototyp“ sind Sportwagen der Nachkriegszeit, und das ist verdammt gut so. Die Teile sind noch nicht so weit von einem weg, dass man sie als Oldtimer belächelt. Im Gegenteil, man erkennt, welche Entwicklungen der Automobilsport und der Automobilsport gemacht hat, wie sie einander befruchtet haben, und warum viele Autos mittlerweile so sind, wie sie sind. Und man stellt mit einiger Wehmut fest, wie viel weniger Charme die heutigen Autos haben im Vergleich zu Wagen, die vor dreißig oder vierzig Jahren entworfen und gebaut worden sind.

Meist überwiegt aber freudiges, angenehm fassungsloses Staunen, wenn man vor Auto gewordenen Träumen wie diesem steht: einem BMW Turbo, als Prototyp Anfang der 70er Jahre entstanden. Überhaupt nur zwei Exemplare dieses Wagens, der im Stehen schneller ist als 95 Prozent der heutigen Automobilproduktion bei Höchstgeschwindigkeit, wurden gebaut. Und vor einem dieser raren Exemplare steht man gerade.

Im Basement des Museums schließlich kann man eine Ausstellung über Motorsport-Legende Graf Berghe von Trips anschauen, die allein schon den Besuch des „Prototyp“ gelohnt hätte. Ich dachte, ich kenn mich einigermaßen über den Typen aus, aber es gab so viel zu gucken und zu lernen, dass ich auch hier aus dem Staunen nicht heraus kam.

Fazit: Nicht nur für ehemalige Quartettspieler ist dieses fantastische Museum ein Muss. Wär einen Hamburg-Besuch plant, sollte einige Stunden für diesen fantastischen Laden einplanen. Wer keinen Hamburg-Besuch plant, sollte schleunigst damit anfangen, um dieses Museum besuchen zu können. Viel Spaß!

Automuseum „Prototyp“
Shanghaiallee 7
20457 Hamburg
http://www.prototyp-hamburg.de

Das Museum ist von Dienstag bis Sonntag von 10:00 bis 18:00 geöffnet. Der Eintritt kostet 10 Euro.

Der E-Type aus meinem ersten Auto-Quartett hatte übrigens 4235 Kubikzentimeter. Ja, das war noch ein Sechszylinder, den Zwölfzylinder (5343 ccm) haben sie erst ab 1971 gebaut. Ja, ich hab vorher Quartett gespielt. Ja, so ein alter Sack bin ich.

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2 Antworten zu [Wo Mann gewesen sein muss] Quartett wird Wirklichkeit – das Automuseum Prototyp in Hamburg

  1. AvatarJyrgen N sagt:

    Quartett gespielt habe auch ich nicht ganz so alter Sack; mein Rennwagenquartett war vom Anfang der Siebziger und enthielt von Jenatzys Elektrowagen von 1899 über den Auto-Union-Rennwagen mit 16 Zylindern bis zu Porsche 917 und den damals aktuellen Formel-Rennwagen (noch ohne viele Spoiler) vieles, was meine Formästhetik bei Autos geprägt hat.

    Die (damals) futuristischen Formen eines C111 oder eines BMW Turbo (die ja zum guten Teil im M1 wieder auferstanden ist) waren noch nicht dabei, aber auch die haben mich später beeindruckt.

  2. Pingback:10 gute Gründe, am 27. April nach Hamburg zu fahren | Männer unter sich

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