Gammelfleisch auf offenen Zweiventilern

 

von J. Hammerschmidt (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

von J. Hammerschmidt (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

Ich bin neutral, objektiv und tolerant. Nein bin ich nicht. Ich habe keine Vorurteile. Hab ich doch. Ich bin nicht altersrassistisch. Bin ich doch. Ich, arrogant und zynisch? Aber selbstverständlich.

Pedalritter der 70 Plus-Fraktion müssen ihren Titel „Kampfradler“ täglich neu verteidigen und bestätigen. Finanziell solvente Rentner in professionellen Radtrikots, die den Rad-Helm nicht zum Zwecke der Hohlraumversiegelung tragen, sondern, weil es zum Dresscode gehört. Das Rennrad einer Edelmarke mit einem gewichtsreduzierten Sattel des Typs Frühstücksbrettchen unter der Prostata bügeln sie allein oder in Rudeln bei fast jedem Sauwetter mit einem 40-er Schnitt über die Piste.

Sie wissen, dass der Belgische Kreisel kein Rundkurs und ein Inbus kein öffentliches Verkehrsmittel ist. Und bei den Jedermannrennen mischen diese alten Klopphengste nicht selten noch unter dem Top-Ten die Ergebnislisten auf. Ihre Devise, „noch einmal alles geben“, denn der Tod steht zwar noch nicht vor der Tür, aber er sucht sich draußen schon mal einen Parkplatz.

Diese der geriatrischen Degeneration im Full-Speed-Modus davoneilende Seniorentruppe hat es allein ihrer jahrzehntelangen Erfahrung, ihrer ansteckenden Gesundheit und der Missachtung der Strassenverkehrsordnung zu verdanken, dass sie noch lebt.

Es gibt aber noch eine Art von Zweirad-Terroristen, für die der Kauf eines Fahrrades nicht den Verzicht auf das Auto sondern die Anschaffung eines Dachgepäckträgers bedeutet. Bei sonnigem Wetter transportieren sie Ihre Stahlrösser auf dem frischpolierten Autodach zum nächstgelegenen Radler-Mekka, einen Radfernwanderweg oder einer beliebten Naherholungspiste für strampelnde Wochenendausflügler.

Dort behindern sie dann die zügige sportliche Fahrt anderer Biker, die gerne auch mal schneller als 20 km/h fahren möchten: E-Bike-Taliban vom Radsportclub Al Kaida. Vorneweg der Silberrücken mit dem Perückenschaf im Windschatten zockeln sie in einem Tempo gegen den Wind, dass man ihnen während der Fahrt den Schlauch flicken oder mal kurz in den Reifen beißen könnte. Eigentlich haben Renner als Störenfriede in dieser Liga an Sonn-, Familienausflugs- und Feiertagen ja nichts zu suchen, aber der Kontakt mit diesen Sonntagnachmittagsschönwetterkaffetrinkfahrern schult die Reflexe, regt die Adrenalinproduktion an und schärft die Konzentration auf das einkalkulierte irrationale Verhalten der Lenker dieser elektrobetriebenen offenen Zweiventiler. (Manchmal denke ich: Es ist diese Generation Ü70, die meine verzweifelten Energiesparbemühungen im Haushalt wieder durch den Fahrradakku in die Pampa schleudert.)

Ihre Fortbewegungsmittel sind dickrohrige Tiefeinsteiger mit extrem niedrigem Schwerpunkt, von Handling her erfüllen diese Ungetüme so in etwas die Kriterien der passiven Körperverletzung. Beim Halten müssen diese Sportler sofort absteigen und neben dem Rad stehenbleiben. Beim Anfahren möglichst umständlich losrollern, am besten mit einem Fuß auf einem Pedal stehen, mit dem anderen abstoßen um etwas Schwung zu gewinnen und dann mit klappernd-zitterndem Körper während des Rollerns aufsatteln, dabei eine rechts-links-Schlender-Amplitude von mindestens 1.60m erzeugen. Derartige Elektrolauben werden noch mit einem Radio versehen und falls es mal von einem vorausfahrenden unangnehm nach Pipi riechen sollte, dann hat der Bonsailumpi vermutlich gerade ins Lenkerkörbchen gestrullert.

PS: Nachdem ich feststellen mußte, dass diese letztgenannten Typen auf mein Klingeln entweder erschrocken bremsten und von der Piste abkamen, alternativ mein Klingeln ignorierten („jetzt sind wir aber mal vorne“) oder das Hörgerät nicht eingeschaltet hatten, habe ich die Klingel wieder abmontiert.

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6 Antworten zu Gammelfleisch auf offenen Zweiventilern

  1. AvatarRobert sagt:

    Köstlich, Du schreibst mir aus der Seele ;)!

  2. Avatargerdos sagt:

    Ergänzung: Marco Pantani tritt auf der Strecke Alpe dHuez gemessene 403 Watt. Spitzenfahrer erreichten auf dem Anstieg zum Col de Tourmalet 450 Watt.
    http://www.netzathleten.de/Nachrichten/Leistungsfaehigkeit-auf-dem-Rad-am-Berg/Radsport/-8372209234465611776/a

    Ein ambitionbiereter Freizeitbiker tritt in der Dauerlast rd. 220-250 Watt. Jetzt kommts.
    Das E-Bike (Deckname Pedelek) hat heute in Form eines MTB von Haibike z. B. eine max. Leistung von 250 Watt.
    http://www.haibike.de/produkte_detail_de,998,17095,detail.html

    Rechnet man die 220 Watt des Hobbyfahrers dazu, würde er dem Peleton auf dem Weg des Gipfels zum Tourmalet locker davonfahren, während die Verfolger mit dem A..h auf die Uhr gucken können.

    • AvatarRobert sagt:

      Wenn’s nur darum geht, den Berg hinauf zu hecheln, hast Du sicher recht. Aber ich will auch wieder runter – am liebsten auf einem schönen Singletrail.
      Und da ist mir mein schönes, leichtes 26″-MTB dann doch lieber…

  3. AvatarPeter sagt:

    Ich schmeiß mich weg … super geschrieben! 😀

  4. Avatargerdos sagt:

    Sehe gerade, dass es im 3. Abs. Belgischer Kreisel heißen muss.

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