Richard Albrecht: Was Recht ist – Buchbesprechungen

Richard Albrecht rezensiert juristische Neuerscheinungen:

Im Strafrecht setzt sich die Zwangsgewalt des Staates, um den bestehenden öffentlichen und privatrechtlichen Zustand aufrecht zu erhalten, am unmittelbarsten der Freiheit des einzelnen entgegen.“i

Kurz vorzustellen sind drei neue juristische Bücher. Das erste, dünne, wiegt etwa 480 Gramm: es richtet sich (auch) an Nichtjuristen. Das zweite, dicke, ist (nur) für Juristen. Es bringt etwa 1.880 Gramm auf die Waage. Das dritte Buch ist eine elektronische Publikation und wiegt nichts.

Das FAZ-Buch kommt in fünf farbig illustrierten Kapiteln locker und lesbar daher: als didaktisch angelegte Begründung rechtlicher Grundlagen eines Gesellschaftsvertrags. Zivilisierung durch Recht. Freilich im Tierreich. Mit happy ending als „neues geordnetes Zusammenleben“ (oder „new, well-ordered coexistenz“) von leben und leben lassen.

In der zweisprachig erzählten Fabel mit ihren Animal Farm-Anleihen geht es im die Herausforderung herrisch auftretende halbstark-rüpelhafter Ratten im Mäuseparadies unterm Gerichtsgebäude. Und darum, daß und wie diese sich wehren, um schließlich eine gemeinsame neue Ordnung zu schaffen. Gestört hat mich im Vorwort das allein auf der ersten Seite ´n Dutzend Mal bemühte Juristen-Wir. Dieses verantwortet der Geschäftsführer der Rechtsanwaltsgesellschaft KPMG – das Kürzel steht für eine Genossenschaft schweizerischen Rechts – mit Sitz in Frankfurt/Main und Düsseldorf.

Das Beck-Buch könnte unter dem Motto stehen: Alles, was ganzdeutschen Berufsrichtern Recht ist. Es erschien im renommierten juristischen Verlag C.H. Beck und richtet sich speziell an eine besondere volljuristische Staatsdienergruppe: Berufsrichter. Laut Verlagswerbung behandelt es „die in der richterlichen Praxis von Zivil- und Strafrichtern häufigsten Fallgestaltungen“ und „berücksichtigt dabei das Zusammenspiel von materiellem und formellem Recht und zeigt stets praxisgerechte Lösungswege auf.“

Das „Richter-Handbuch für die ordentliche Gerichtsbarkeit“ kommt nach 1000 Seiten Detailtexten mit einem so informativen wie kompakten 30-Seiten-Aufsatz zum Richteramtsrecht zum Ende. Dem folgen 35 Seiten Sachverzeichnis. Nicht nach Seiten. Sondern nach Textabschnitten sortiert. So sollen erschlossen werden: 24 Abschnitte zum Zivilprozess im allgemeinen, dazu 18 zu dessen Sonderbereichen, drei mit 8, 4 und 5 Abschnitten gefüllte Texte zum familiengerichtlichen Verfahren, zur freiwilligen Gerichtsbarkeit und zum Strafprozess sowie ein 11-seitiger Exkurs zum unionsrechtlichen Vorabentscheidungsverfahren.

Stichwortprüfungen zu Validität und Reabilität zeigen: dieses „Richtern, Staatsanwälten, Referendaren und Rechtsanwälten“ zugedachte Handbuch zur „ordentlichen Gerichtsbarkeit“ ist höchstdurchwachsen; es gibt Hinweise zum grundrechtsrelevant-handlungsbezogenem Institut des rechtlichen Gehörs – aber keinen zum Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Als presserechtlich bedeutsam erwähnt wird Schmähkritik als rechtswidrige „Kritik, bei der nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht.“ Dieser Nullaussage entspricht der fehlende Hinweis aufs Schikaneverbot als „rechtswidrige Ausübung eines Rechts, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen.“

Man muß zur Kritik dieses Richterhandbuchs nicht so weit gehen wie der Rezensent, der im Fall Mollath genannten bayrischen Justiz-, Rechts- und Politikskandal systematischen berufsrichterlichen Rechtsbruch in Form eines strategisch „fingierten Freispruchs“ erkannteii; aber erwähnt werden sollte schon noch eine besonders aparte, vom Rezensenten als Verfahrensvertreter am Amtsgericht Euskirchen und am Oberlandesgericht Köln 2001 gerügte Variante einer eidesstattlichen Versicherung, die ein Bonner Rechtsadvokat vier Berufsrichtern unbeanstandet vorlegte: „… belehrt über die falschen Konsequenzen einer eidesstattlichen Versicherung erkläre ich …“iii

Mit dem Handbuchwissen – fürchte ich – wird dieser und analoger Berufsrichterei aller Farben, Formate und Preisklassen kaum beizukommen sein. Auch deshalb möchte ich abschließend an einen handlungswissenschaftlich bedeutsamen althellenischen Text erinnern. Das Höhlengleichnis berichtet von Menschen, die im Leben „nie etwas anderes als die Schatten gesehen haben, die sie für die wirklichen Dinge halten“iv: ein Schelm, wer dabei an ganzdeutsche Berufsrichter(innen) denkt …

Das e-Buch Gewaltenteilung als Verfassungsprinzip ist das, was die Deutsche Nationalbibliothek eine „elektronische Ressource“ nennt. Sie kann kostenlos über die JGW Universität, von der sie als juristische Doktorarbeit angenommen wurde, heruntergeladen werden.v Udo Hochschild, der Autor dieser, war Gründungsmitglied der Neuen Richtervereinigung und, bis 2007, jahrzehntelang Berufsrichter in Baden-Württemberg und in Sachsen. Seine im Juli 2010 angenommene Arbeit erhielt zwei Jahre später den Promotionsehrenpreises des Vereins Pro Justiz e.V.vi (ob auch diese Arbeit, wie die eines ehemaligen Bundesministers,vii die Bestnote summa cum laude erhielt, ist dem Rezensenten nicht bekannt).

Die Argumente zur Gewaltenteilung als tragender Verfassungsgrundsatz sind gut gemeint. Sie haben freilich einen so grundlegenden wie unaufhebbaren Webfehler. Anstatt richtig von allgemein-konkreter Gewaltentrennung ist falsch von speziell-sonderweltlicher Gewaltenteilung die Rede. Insofern folgt/e der Doktorand einer Vorgabe der Bundeszentrale für Politische Bildungviii. Auch sie kennt bisher keine Gewaltentrennung. Sondern nur Gewaltenteilung. So gesehen, und weil und wenn es um Gewaltentrennung als Verfassungsprinzip geht,ix bringt die Lektüre dieses volljuristischen Textes kaum mehr als die des bpb-Stichworts „Gewaltenteilung“. Der wissenschaftliche Erkenntniswert dieser Dissertation tendiert gegen Nullminus. Auch im bürgerlichen Ganzdeutschland gibt es als Verfassungsgebot „nur Gewaltentrennung. »Gewaltenteilung« hingegen ist (rechts)sprachlicher deutscher Sonderweg.“x

Juliane Schwoch; Hanno Beck, Alles, was Recht ist / A short story about law. Zweisprachige Ausgabe. Frankfurt/Main: FAZ Buch, 109 p., 17,90 €, ISBN 978-3-89981-312-8

Beck´sches Richter-Handbuch. Hg. Walter Seitz; Helmut Büchel; 3., völlig neubearbeitete Auflage. München: C.H. Beck, 2012, XVI/1066 p., 99 €, ISBN 978-3-406-61740-9

Udo Hochschild, Gewaltenteilung als Verfassungsprinzip. Als Ms. gedruckt. Berlin: dissertation.de-Verlag im Internet GmbH, 2010; zugleich Frankfurt, Univ., Diss., 2010 , 199 p., ISBN 978-3-86624-502-0

i Ferdinand Tönnies, Probleme des Verbrechens und der Strafe [1903]. In: ders., Soziologische Schriften (1889-1905). Hg. Rolf Fechner. Wien/München 2008: 200

iv Ferdinand Tönnies, Einführung in die Soziologie. Stuttgart 1931: 310

vii Karl-Theodor Frhr. zu Guttenberg, Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU. Berlin: Duncker & Humblot, 2009

ix Richard Albrecht, „Gewaltenteilung“. Über den deutschen Sonderweg im Recht [2010]: http://www.duckhome.de/tb/archives/8575-GEWALTENTEILUNG.html; ausführlicher, mit französischen und englischen Quellen und Belegen, ders., “nullum crimen sine lege” – “nulla poena sine lege”: “Insult” – On the state of the art in current Germany [2008]: http://ricalb.files.wordpress.com/2010/10/nullum-crimen1.pdf

x Richard Albrecht, Gewaltentrennung – nicht „Gewaltenteilung“ [2013]: http://www.ein-buch-lesen.de/2013/03/gewaltentrennung-nicht-gewaltenteilung.html

RAlbrechtRichard Albrecht ist Sozialwissenschaftler (Diplom 1971, Promotion 1976, Habilitation 1988) und lebt seit seiner Beurlaubung als Privatdozent (1989) als unabhängiger Wissenschaftsjournalist, Editor und Autor in Bad Münstereifel. 1991 Veröffentlichung des Forschungsansatzes THE UTOPIAN PARADIGM. 1994/97 Redaktionsleier der Carl-Zuckmayer-Blätter und Herausgeber Theater- und Kulturwissenschaftliche Studien. 2002/07 Herausgeber des Netzmagazins rechtskultur.de. 2011 erschien als bisher letzte Buchveröffentlichung HELDENTOD. Kurze Texte aus Langen Jahren. Bio-Bibliographie http://wissenschaftsakademie.net

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