Theaterkritk: KARL + ROSA – eine Weltpremiere im Theater Bonn

Erinnerungen

Der marxistisch orientierter Marburger Hochschullehrer Wolfgang Abendroth wies seine Studenten jahrzehntelang auf einen besonderen Widerspruch im Zusammenhang mit der deutschen Novemberrevolution hin: einerseits erklärte sich das damalige Zentralorgan der damaligen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der mehrmals täglich erscheinende „Vorwärts“, im politischen Teil vorn für die Ablösung des Acient Régime auch in Deutschland. Andererseits fanden sich bei den Kleinanzeigen hinten Reklame für die Freikorps als jene konterrevolutionären Kräfte, die die Revolution nicht nur wie die Pest haßten. Sondern strategisch gewaltsam gegen sie arbeiteten.

Eine weitere Facette dieses nicht nur den „Vorwärts“, sondern die politische Führung der bald Mehrheitssozialdemokratie genannten kennzeichnenden geschichtlichen Widerspruch hat Wolf Abenderoth nach seiner Entpflichtung 1979 als historisch aufklärender zorniger Alter so benannti:

Am 13. Januar 1919 hat – nie darf es vergessen werden – Artur Zickler im „Vorwärts“, damals der wichtigsten Tageszeitung jener Mehrheitssozialdemokraten, die sich ihrer während des Krieges mit Hilfe der kaiserlichen Regierung und ihrer Behörden bemächtigt hatten, geschrieben: „Vielhundert Tote in einer Reih – Proletarier! Karl, Rosa, Radek und Kumpanei – es ist keiner dabei, es ist keiner dabei! Proletarier!“ Die Freikorps, von einem „Rat der Volksbeauftragten“ und ihrem militärischen Verantwortlichen Gustav Noske herbeigerufen, um die Berliner Arbeiter „zur Ordnung“ zu bringen, haben diesen Wink in der Weise verstanden, wie es zu erwarten war. Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet.“ii

November 1918

Es mag sein, daß Alfred Döblin (1887-1957) als Autor der ´klassischen Moderne´ in Deutschland noch immer und trotz Rainer Werner Faßbenders Biberkopf-Serie schon wieder unterschätzt wird. Döblins 1939 begonnene und 1950 beendete Romantrilogie jedenfalls ist bis heute alles andere als breit rezipiert, mehr noch: weder in den schulischen Textkanon des Literaturunterrichts eingegangen noch von jenen Professionellen gelesen, bei denen es am ehesten erwartbar wäre: umso wichtiger, daß mit der vierbändigen Dünndruckausgabe der Romantrilogie im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv) eine gediegen edierte und kommentierte Textausgabe von November 1918. Eine deutsche Revolution. Erzählwerk in drei Teilen vorhanden istiii. Dabei wirkt der hier besonders interessierende letzte Teil der 1950 abgeschlossenen Monumentaltrilogie im Vergleich mit dem ersten, noch im antifaschistischen deutsch(sprachig)em Exiliv entstandenen Text so entpolitisiert wie jenseitsorientiert: stand zunächst die erkenntnisleitende Frage nach den gesellschaftlich-geschichtlichen Ursachen faschistischer Machtmachtübergabe, Machtübernahme und Machtausübung seit 1933v im Mittelpunkt, so kommt knapp ein Dutzend Jahre später die Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung 1918/19 als rational unerklärliches und mythisch verklärtes Phänomen in der personalen Sphäre daher.

dtv-Titelblatt (Archiv des Autors)

dtv-Titelblatt (Archiv des Autors)

Dieser, der sowohl politikhistorisch als auch literarästhetisch schwächlichste Teil von November 1918 wurde als Geschichte zwischen Himmel und Hölle nach dem Roman von ALFRED DÖBLIN für die Bühne bearbeitet von ALICE BUDDENBERG und NINA STEINHILDER in den Kammerspielern des Theaters der Bundestadt Bonn am 2. Oktober 2013 welturaufgeführt.

Eindrückliches

Erfreuliches auf den ersten Blick. Die Kammerspiele als Teil des Stadttheaters Bonn, im Zentrum Bad Godesbergs gelegen, fußläufig zur U-Bahn. Das Gebäude trotz seiner äußerlichen Hülle herinnen ansprechend freundlich, hell angestrichen, großzügig begehbar.

Das Sekundärpersonal des Theaters an Kasse, Garderobe und Theke freundlich gegenüber dem Premierenpublikum, das ausnahmslos pünktlich erscheint und neugierig wirkt. Die etwa 460 Plätze ausverkauft und außer wenigen Einzelplätzen vollbesetzt. Das Gesamtprogrammheft zur neuen Spielzeit 1913/14 rechtzeitig verschickt, formal optisch ansprechend gestaltet wie inhaltlich informativ und anregend; auch die Pressekarte wurde rechtzeitig verschickt und kam einen Tag vor der Veranstaltung selbst an.

Es war als sollte das Bundesstadttheater nun neu aufschwingen. Faktische Hauptstadt des neuen ganzdeutschen Staatsgebildes war Bonn nur bis Herbst 1998. Dr. Manfred Beilharz, 1992/97 Intendant am Schauspiel Bonn und nach Selbstdarstellung ein Schüler Brechts, verließ Bonn rechtzeitig. Ihm folgte als neuer (und zugleich erster General-) Intendant des Theaters Bonn im Herbst 1997 jemand, der Theater als „Abendunterhaltung“ (Bertolt Brecht) verkaufen konnte: Klaus Weise. Seit August 2013 amtiert Dr. Bernhard Helmich als neuer Generalintendant des Bonner Theaters.

Archiv des Autors

Archiv des Autors

Und doch irritierte mich als ich, zeitig zur Weltpremiere am 2. Oktober 2013 angereist, ins erste Programmheft der neuen Spielzeit sah, so manches, das mich an zwei Grundeinsichten erinnerte: daß erstens nicht alles, was glänzt, goldig sein muß. Und daß zweitens gut gemeint das Gegenteil von gut sein kann.

Auf den ersten Blick referiert die neue Bonner Dramaturgin in ihrer fünfseitigen Einführung die Formalstruktur von Döblins Romantrilogie richtig. Und verweist auf Schwächen speziell des dritten, „800 Seiten starken letzten Bandes von Döblin Werk, der noch einmal in die Zeit um 1918/19 zurückkehrt, als für einen Augenblick sovieles möglich schien“ als „Grundlage des theatralen Epos, das Hausregisseurin Alice Buddeberg mit ihrem achtköpfigen Bonner Spielensemble entwickelt hat.“vi

Was dann zur „Geschichte über das Sterben“ erklärt wird und zur „eigentlichen Schlacht“, die „im Innern des Menschen tobt“, ist gewiß kein „Holzweg der Holzwege“ (Joseph Dietzgen). Aber doch Ausdruck von als Stärke ausgegebener Schwäche von Karl und Rosa als theatrales Inszenierungsprojekt.

Sieht man von Rosas ergreifenden Büffelhaut-Text aus der Breslauer Haft Ende 1917 ab, entsprechen weitere Programmhefttexte und -zitationen der ideologischen Sicht der neuen Bonner Dramaturgin: anstatt bekannte Existentialisten wie Albert Camus oder Walter Benjamins Angelus Novus oder mehr oder weniger bedeutsame Wochenblattintellektuelle wie Rüdiger Safranski oder Walter Jens auf entsprechender Abstraktionshöhe zu bemühen – wäre es besser gewesen, die Mühen Ebenen abzuschreiten, genauer: sowohl eine der wenigen bedeutsamen Rezensionen der Romantrilogievii als auch eine neuere Studieviii zu ihr produktiv zu nutzen.

So gesehen, wurde für dieses Programmheft nicht schlampig – sondern gar nicht recherchiert.

Werbepostkarte des Stadttheaters Bonn (Archiv des Autors)

Werbepostkarte des Stadttheaters Bonn (Archiv des Autors)

Weltpremiere

Unmittelbar während des höflichen Klatschens wurden auf dem Weg zur U-Bahn Stichworte ins noch analoge Diktiergerät gesprochen. Einige folgen, stichwortig notiert:

125´ teils verkopfertes Sprechtheater; wenig gelunge Slaps, mehr aufgesetzter Klamauk. – Die Rosarolla einzig alleinbesetzt. Rosa als zerrissene Person vorn, Karl als Schreihals blaß hinten. Triadisches Handlungsfeld verklammert durch persönlichkeitsgestörte Rosa. – Rosas Breslauer Haftpsychose manisch-depressiv verfestigt, schizoide Schübe. Doppelte Thematisierung Tod vor Augen und Vergeblichkeit linkspolitischen Kampfs. – Bloße Oberfläche Rosa-Karl-Konflikt. Machtmensch Lenin als hinterbühniger Politdaimon. Rosa als kritische Theoretikerin völlig unbegriffen. – Schluß mit Alles-nur-TheaterSpiel abspannendem Mikro-Teufel: peinlicher Premierengag.

Von allen Einzelheiten abgezogen lassen sich drei Kernkritikpunkte zu Dramaturgie und Inszenierung kurzfassen:

-Was ich von dieser Weltpremiere als gut zweistündige Aufführung ohne Pause sah kam als sprechtheatrige Zumutung daher. Und war geeignet, eine allgemeine Errungenschaft jedes Theaters, den „Genuß, Menschen handelnd zu sehen“,ix zu hintertreiben.

-Noch ärger als schon in der Romanvorlage wurde enthistorisiert. Daß ein unterbelichteter Karl Liebknecht und eine nachhaltig persönlichkeitsgestörte Rosa Luxemburg sich im Januar 1919 in Berlin in wechselnden illegalen Quartieren versteckt hielten blieb ebenso draußen vor wie die Bedrohung durch die konterrevolutionär-gewaltsame Soldateska der Noskegarde.

-Als stärkste Verkehrung empfand ich die Verhöhnung Rosa Luxemburgs als Theoretikerin. In dieser Dimension wirkte das Bühnenstück in seiner offenen Verachtung der Marxistin und ihrer theoretischen Leistungen, etwa der in der Breslauer Haft 1916 erarbeiteten Junius-Broschüre zur Deutung der imperialistischen Ursachen des Ersten Weltkriegs,x theoriefeindlich und antiaufklärerisch in seiner Mißachtung jedes aufklärerischen Impetus: „Wer verändern will, muß Bescheid um das Verändernde wissen. Der Nutzwert […] besteht eben darin, das Eingreifen in die gesellschaftliche Wirklichkeit zu erleichtern.“xiDie daraus folgende Plakatierung der Vergeblichkeit allen theoriegeleiteten praktischen Veränderungshandelns ist offen reaktionär und political theatre at its worst.

 Ausblick

Wie an der Bonner Weltpremiere vom 2. Oktober 2013 verdeutlicht – neue Besen müssen nicht immer gut kehren. Sondern hinterlassen nicht selten zunächst Kehricht.

So gesehen, kann´s für die neue Hausregisseurin am Theater Bonn nach ihrem Karl+Rosa-Projekt nur besser werden bei den im Programmheft angekündigten beiden Inszenierungen von Shakespeares Königsdramen und ihrer geplanten Dramatisierung von Heinrich Bölls bedeutendem Zeitroman Ansichten eines Clowns.xii

RAlbrechtRichard Albrecht ist Sozialwissenschaftler (Diplom 1971, Promotion 1976, Habilitation 1988) und lebt seit seiner Beurlaubung als Privatdozent (1989) als unabhängiger Wissenschaftsjournalist, Editor und Autor in Bad Münstereifel. 1991 Veröffentlichung des Forschungsansatzes THE UTOPIAN PARADIGM. 1994/97 Redaktionsleier der Carl-Zuckmayer-Blätter und Herausgeber Theater- und Kulturwissenschaftliche Studien. 2002/07 Herausgeber des Netzmagazins rechtskultur.de. 2011 erschien als bisher letzte Buchveröffentlichung HELDENTOD. Kurze Texte aus Langen Jahren. Bio-Bibliographie http://wissenschaftsakademie.net

iRichard Albrecht, ´… denkt immer an den ´mittleren Funktionär´: Wolfgang Abendroth (2. Mai 1906 bis 15. September 1985); in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 40 (2004) 4: 465-487, hier Anhang: 483-487; das Abendrothporträt steht (ohne den hier zitierten Anhang) kostenfrei im Netz http://www.grin.com/de/e-book/109653/denkt-immer-an-den-mittleren-funktionaer-wolfgang-abendroth-2
 iiRichard Albrecht, Die Ermordung Rosa Luxemburgs und die Mörderkarriere eines Konterrevolutionärs http://www.trend.infopartisan.net/trd1111/t551111.html
 iiiDas dreiteilige „Erzählwerk“ besteht aus Bürger und Soldaten 1918 (I: 1939), den beiden Teilen Verratenes Volk und Heimkehr der Fronttruppen (II/1 und II/2: 1949) und Karl und Rosa (III: 1950).
 ivRichard Albrecht, Exil-Forschung. Studien zur deutschsprachigen Emigration nach 1933. Frankfurt/Main: Lang 1988, 376 p.
 vRichard Albrecht, Machtübergabe, Machtübernahme und Machausübung im Spiegel des ersten antifaschistischen Exilromans 1933; in: Michigan Germanic Studies, 11 (1985) 1: 16-33.
 viDieser theatralen Binnensicht des Karl+Rosa-Projekts entspricht die Darstellung der acht Schauspieler/innen und ihrer sechzehn Rollen mit dem Vorrang der Darsteller/innen und nicht ihrer Rollen (im Anhang dokumentiert). Das kann auch als Verkehrung gewertet werden.
 viiHans Mayer, Eine deutsche Revolution. Also keine; in: Der Spiegel, 33/1978; 14.81978: 124-128; kostenlose Netzversion http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40607341.html
 viiiUlrich Kittstein, Zwischen Revolution, Gewalt und göttlicher Gnade. Alfred Döblins Romantrilogie November 1918 (1939-50); in: ders.; Regine Zeller (Hg.), „Friede, Freiheit, Brot!“ Romane zur deutschen Novemberrevolution. Amsterdam; New York: Rodopi, 2009: 308-324.
 ixBertolt Brecht, Über die Popularität des Kriminalromans [1938]; in: ders., werkausgabe edition suhrkamp, Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1967, Band 19: 450-457, hier 453.
 xRichard Albrecht, Karl Liebknecht und Genossen. Die „Ausrottung der Armenier“ während des Ersten Weltkrieges und die deutsche politische Linke: in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 41 (2005) 3, 310-328, hier 320-322.
 xiSiegfried Kracauer, Das Ornament der Masse [1927]; zitiert nach ders., Essays. Nachwort Karsten Witte. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1977: 77.
xiiRichard Albrecht, Heinrich Bölls Erzählung Keine Träne um Schmeck und ihr soziologisches Umfeld; in: soziologie heute, 5 (2012)
 
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Eine Antwort zu Theaterkritk: KARL + ROSA – eine Weltpremiere im Theater Bonn

  1. Avatarrichard albrecht sagt:

    Nochmal zu „Rosa+Karl“
    Kurze Nachschrift

    Gern nehme ich die gestrige ARTE-Sendung des so aufklärenden wie unterhaltsamen Farbfilms (und Kunstwerks) „Rosa Luxemburg“ (Drehbuch & Regie Margarethe v. Trotha, 1986, 123 Minuten), den ich wohl nicht zum ersten Mal, aber erstmalig auf einem großen Flachbildschirm sah, zum Anlaß, auf ein Buch und einen Aufsatz anregend aufmerksam machen: mein Autorenkollege Frederik Hetmann [Hans-Christian Kirsch] (1934-2006) veröffentlichte im Beltz-Verlag 1976 „Rosa L. Die Geschichte der Rosa Luxemburg und ihrer Zeit“ (als Taschenbuch Frankfurt/Main: Fischer, 1979, 308 p.); und wer immer, auch im Vergleich, besonders an „Rosa+Karl“ interessiert ist, sei auf Anneliese Laschitzkas Aufsatz „Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Ein biographischer Vergleich“ verwiesen (in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS, 11. Jg. 2001, Heft 11/2001, pp. 18-15).

    Mit freundlichem Gruß aus Bad Münstereifel,
    Richard Albrecht, 13. März 2014

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