Die Ausnahme als Regel und die Regel als Ausnahme … oder wie der ADAC im September 2013 Sigmund Freud verifizierte

Der Allgemeine Deutsche Automobilclub ist mit derzeit gut 18 Millionen Mitgliedern beiderlei Geschlechts eine der größten und stärksten ganzdeutschen Lobbyorganisationen. Im Septemberheft 9/2013 der ADAC-Motorwelt gab´s nicht nur die dort übliche überbordenden Reklameseiten. Sondern auch viel zur „Wahl 2013“, zur Schlaglochrepublik Deutschland (SRD) unterm Stichwort “Baustelle Deutschland“ und ein kurzes „Grußwort“ des langjährigen CDU-Funktionärs Matthias Wissmann als Verbandspräsident der deutschen Automobilindustrie (VDA). Und unterm Titel „Schlampige Fehlersuche“ auch einen dreiseitigen Bericht über Routineinspektionen, die 72 Autowerkstätten an Kraftfahrzeugen vornahmen. Was da herauskam war mehrfach bemerkenswert:

„Fünf versteckte Fehler mussten die Werkstätten finden: zu wenig Kühlflüssigkeit, eine defekte Kofferraumleuchte, zu wenig Luft im Reserverad, ein loses ASB-Kabel und ein verstellter Scheinwerfer.“

Dies waren weder schwere noch verkehrsgefährdende Mängel. Sie hätten freilich gefunden werden sollen. Und sie hätten mit Blick auf die Kunden berechneten Monteursstundensätze zwischen knapp 53 und 117 €/h gefunden werden müssen.

ADAC1 Die ganz unrepräsentative Stichprobe von 360 Fahrzeugmängeln zeigte als Hauptergebnis: nur gut ein Fünftel der ADAC-getesten Werkstätten arbeitete zufriedenstellend und fand alle fünf Mängel. Knapp vier Fünftel der Testbetriebe fanden nicht alle Fehler.

ADAC2Das ADAC-Fallbeispiel erinnerte (mich) an eine Dimension der Kulturtheorie Sigmund Freuds.1 Auch wenn der Psychoaltmeister im Unbehagen i n der Kultur (1930) keines der „Welträtsel“ lösen konnte – einen Aspekt dessen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Goethe), konnte er diskutieren: unter den Stichworten Leidverhinderung und Leidensschutz erinnerte Freud in seiner Kulturtheorie an zumindest zwei Lebenstatbestände: „daß alle menschliche Potenz begrenzt ist und über diese humanökologische Grundeinsicht hinaus an die ’soziale Tatsache‘, daß jeder ganzjährige Karneval ein auch contradictio in adjecto genannter Widerspruch in sich sein muss“ und sowohl Glück immer Ausnahme bleiben muss als auch Leid die Regel; […] angesichts zunehmender Medialkultur mit ihren wenn nicht nur falschen so doch immer schon schiefen Lust- und Glücksversprechen [ist] dieses Grundverhältnis zu betonen: nach wie vor verhalten sich menschliches Glück und menschliches Leid wie das Verhältnis von Ausnahme und Regel, nicht umgekehrt. Wer immer glaubt, zu dieser Regel gäbe es eine Ausnahme, verkennt die Grundbedingung menschlicher Existenz und scheitert, in welchen Formen auch immer.“2

Die Verkehrung von Ausnahme und Regel und/in Regel und Ausnahme im aktuellen ADAC-Fallbeispiel läßt sich verallgemeinern und veranschaulicht etwas Doppeltes: sowohl gewöhnlichen, alltäglichen Kapitalismus mit seinem Geschäftsmodell als auch die Unmöglichkeit, Gesellschaft auf dieser kapitalistischen Grundlage auf Dauer funktional organisieren zu können.

RAlbrechtRichard Albrecht ist Sozialwissenschaftler (Diplom 1971, Promotion 1976, Habilitation 1988). Er lebt seit seiner Beurlaubung als Privatdozent 1989 als unabhängiger Wissenschaftsjournalist, Editor und Autor in Bad Münstereifel. Veröffentlichung von THE UTOPIAN PARADIGM als Forschungskonzept 1991. 2002/07 Herausgeber des Netzmagazins rechtskultur.de. Letzte Buchpublikation HELDENTOD. Kurze Texte aus Langen Jahren 2011. Bio-Bibliographie http://wissenschaftsakademie.net

  1. Richard Albrecht, Leidenssschutz und Leidverhütung. Sigmund Freuds Unbehagen i n der Kultur; in: Kultursoziologie, 6 (1997) I, S. 56-72; ders., Religionskritik und/als Kulturkritik. Sigmund Freuds „Unbehagen i n der Kultur“; Aufklärung und Kritik, 19 (2012) 1, S. 115-123.
  2. Albrecht (2012:120)
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