Seit 1991 werden von einer „sprachkritischen Organisation“ die Unwörter des Jahres gekürt. Unter anderem „Rentnerschwemme“, „Peanuts“ oder „Kollateralschaden“ fanden sich bisher unter den Preisträgern. Gestern wurde nun das Unwort des Jahres 2012 gekürt, die Wahl der Jury fiel auf „Opfer-Abo“. Verwunderlich, nicht wahr? War nicht ganz so oft Gegenstand oder Bestandteil der öffentlichen Diskussion wie „alternativlos“, „Dönermorde“ oder „Humankapital“ (alles ebenfalls Unworte des Jahres). In der Tat wurde „Opfer-Abo“ haargenau einmal gebraucht, und zwar von Jörg Kachelmann in einem SPIEGEL-Interview…
„Das ist das Opfer-Abo, das Frauen haben. Frauen sind immer Opfer, selbst wenn sie Täterinnen wurden. Menschen können aber auch genuin böse sein, auch wenn sie weiblich sind.“, hat Jörg Kachelmann wörtlich gesagt. Eine überspitzte, polarisierende Formulierung, die Kachelmann jedoch begründen kann. Eigentlich kein Grund zur Aufregung. Nichts, worüber irgendwer sich aufgeregt hätte. Meines Wissens hat bis gestern sich niemand über dieses Wort beschwert, niemand hat bis gestern Kachelmann vorgeworfen, das Wort erfunden oder verwendet zu haben, bis gestern wurde (man korrigiere mich, wenn ich mich irre) das Wort in besagtem Interview einmal verwendet und damit war’s das.
Warum wurde „Opfer-Abo“ also Unwort des Jahres? Die Jury begründet so:
„Das Wort ‚Opfer-Abo‘ stellt in diesem Zusammenhang Frauen pauschal und in inakzeptabler Weise unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und somit selbst Täterinnen zu sein.
Das hält die Jury angesichts des dramatischen Tatbestands, dass nur 5-8 % der von sexueller Gewalt betroffenen Frauen tatsächlich die Polizei einschalten und dass es dabei nur bei 3-4 % der Fällen zu einer Anzeige und einem Gerichtsverfahren kommt, für sachlich grob unangemessen.“
Nun, dies ist eine Statistik mit wirklich erschreckenden Zahlen. Aber eine vom Bayerischen Innenministerium beauftragte Studie, die sich unter anderem mit den zur Anzeige gebrachten Fällen befasst, wartet ebenfalls mit beunruhigenden Zahlen auf:
„Die an der Sachbearbeiterbefragung beteiligten polizeilichen Sachbearbeiter schätzen den Anteil der Vortäuschungen und falschen Verdächtigungen an allen Anzeigen gem. § 177 StGB im Durchschnitt auf ein Drittel (33,4%). Beinahe zwei Drittel (63,6%) der von ihnen bearbeiteten und von der Staatsanwaltschaft mit den Begründungen ‚Aussage gegen Aussage‘, ‚keine Aussage des Opfers‘, ‚widersprüchliche Aussage des Opfers‘ und ‚Tatbestand nicht erfüllt‘ gem. § 170 II StPO eingestellten Verfahren halten sie ‚mit hoher Wahrscheinlichkeit‘ (36,5%) oder ‚eher‘ (27,1%) für eine Vortäuschung oder falsche Verdächtigung und nicht für eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung.“
Man sieht: die Unwort-Jury hat Äpfel mit Birnen verglichen. Kachelmann hat mit seiner Formulierung ja überhaupt nicht die unerträglich hohe Zahl von nichtangezeigten Vergewaltigungen in Frage gestellt, er bezog sich ausdrücklich auf die Zahl der zur Anzeige gebrachten Fälle, und hier gibt es tatsächlich einen erschreckend hohen Anteil von Falschbeschuldigungen. Da hat Kachelmann die Tatsachen auf seiner Seite, er hat lediglich überspitzt dargestellt, was – die der Sprachbeugung und Ungenauigkeit absolut unverdächtige – Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen im Tagesanzeiger so formulierte: „Die ‚Unschuldsvermutung‘ wird heute in Deutschland von der ‚Opfervermutung‘ verdrängt.“
Hängen wir die Sache nicht zu hoch, die Unwörter des Jahres werden ein paar Tage lang diskutiert und dann auch wieder vergessen, Jörg Kachelmann wird’s verschmerzen. Allerdings muss sich die Jury fragen lassen, warum sie eine äußerst unbeachtete, m. W. wie gesagt von niemandem zuvor aufgegriffene Wort-Kreation überhaupt erst in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt hat. So bekommt die diesjährige Auswahl ein deutliches Geschmäckle in Richtung Nachtreten auf Jörg Kachelmann.
In der Tat überrascht es überhaupt nicht, dass Alice Schwarzer der Entscheidung bereits heftig applaudiert hat. Frau Schwarzer wäre übrigens mit ihrem „Freispruch 2. Klasse“ mein Favorit für das Unwort des Jahres gewesen. Diese unsägliche Sprachidiotie, die jeglicher Grundlage entbehrt (das deutsche Strafrecht kennt einen Freispruch, sonst nichts), ist nun wirklich in absolut widerlicher Weise mediendeutschlandweit aufgenommen worden, um Jörg Kachelmann, ganz offensichtlich Opfer einer Falschbeschuldigung, erneut und wiederholt zu diskreditieren.
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