Comedy-Sommer: Kurzgeschichte – Keine Erholung in Bottenhusen

„Schatz, ich hoffe, du hast an das Öl gedacht?“, fragte mich meine Frau Silvia.
„Wie? Was für ein Öl?“
In diesem Moment schoss es mir ein, ein Blick auf das Instrumentenbrett bestätigte meinen Verdacht: Die Ölstandsanzeige leuchtete glutrot wie eine aufgehende Sonne! „Oh, verdammt! Nicht schon wieder!“
„Da du ja so ein schlaues Kerlchen bist, wirst du gewiss rechtzeitig eine Dose mit Ersatz besorgt haben?“
Natürlich hatte ich kein Ersatzöl dabei, nur wie sollte ich Silvia das erklären, ohne mich wieder ihrem Gespött ausgesetzt zu sehen?
„Ich fahr´ mal rechts ´ran und schaue im Kofferraum nach.“
Silvia und ich waren auf der Autobahn und fuhren Richtung Bottenhusen ans Meer; vor uns lag noch immer eine Wegstrecke von fast 200 Kilometern. Wir brauchten ein paar Tage Ruhe nach dem Stress der letzten Wochen, denn Silvia musste sich um ihre alleinstehende Freundin kümmern, die erkrankt war, und meine Arbeit spannte mich auch mal wieder über alle Massen ein und nun das hier. Die Sonne war bereits untergegangen und die Temperaturen sanken, wie um diese Jahreszeit Anfang Februar noch zu erwarten, deutlich unter den Gefrierpunkt.
Wider Erwarten fand ich tatsächlich noch eine Dose Motoröl, doch ich konnte es drehen und wenden wie ich wollte, ich hatte sie nach der letzten Auffüllung einfach zu entsorgen vergessen, nicht einmal ein Tröpfchen Öl fand sich mehr in ihr.
„Das sieht aber gar nicht gut aus, da hat mein Mann wohl mal wieder gepennt!“
Ich zuckte zusammen, denn Silvia stand neben mir.
„Äh, ja, ich dachte, die wäre noch voll.“
„Rede nicht so einen Unsinn, du hast das also vor der Fahrt nicht kontrolliert!?“
Ich schüttelte betreten den Kopf.
„Hab´ ich´s mir doch gedacht. Und dabei ist uns das schon mehr als einmal passiert. Ich möchte manchmal wissen, was in Deinem Schädel vor sich geht? Manchmal glaube ich, der ist nur dazu da, damit die Strohfüllung nicht lose herumhängt. Du machst Dich jetzt auf den Weg und besorgst Öl!“
Ich hasste es, wenn meine Frau recht behielt, also stapfte ich los. Die nächste Raststätte konnte ich glücklicherweise bereits sehen. Für mehr als das Dreifache des normalen Preises erstand ich eine Dose Öl und machte mich wieder auf den Rückweg. Der Eiszapfen an meiner Nase kratzte bereits an meinem Kinn, als ich an unserem Wagen ankam und nachfüllte.
„So, dann kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen, genug Öl ist nachgefüllt.“
„Das wurde auch höchste Zeit, mir ist nämlich kalt geworden. Was hast du denn da an der Nase?“
Mit einem Knacken brach sie den Eiszapfen ab.
„Au, verdammt, das tat weh!“
„Geschieht dir recht und jetzt fahr´ endlich weiter!“
Die Vorfreude auf das Wochenende schien Silvia allerdings schnell wieder zu beruhigen, denn kurze Zeit später kuschelte sie sich an meinen Arm.
„Ach Flo, ich bin so froh, dass wir ein wenig ausspannen können.“
„Die beiden Tage werden uns gut tun.“
„Wir werden keinen Stress aufkommen lassen und nur an uns beide denken, gehen viel am Strand spazieren und abends machen wir es uns richtig kuschelig.“
Kaum, dass sie die Worte ausgesprochen hatte, verlangsamte sich der Verkehr zusehends und nach wenigen Kilometer stauten sich die Fahrzeuge endgültig.
„So ein Mist“, meinte ich verärgert.
„Und das alles nur, weil du heute nicht früher von der Arbeit gekommen bist. Nun ist Freitagnachmittag und wir stecken im Heimreiseverkehr.“
„Wieso bin ich nicht früher nach Hause gekommen? Ich war schon im drei zurück und wo warst du? Mehr als eine Stunde musste ich auf dich warten, bis du von deinen Eltern zurückkamst.“
„Und wenn der Herr statt in seinem Hobbyraum zu spielen, inzwischen die gepackten Taschen eingeräumt hätte, hätten wir sofort losfahren können.“
„Das Einpacken hat nicht einmal zehn Minuten gedauert. Das hätte uns auch nicht weiter gebracht.“
„Immerhin zehn Minuten, dann wäre uns der Stau bestimmt erspart geblieben, von der meisterlichen Aktion mit dem Öl mal ganz abgesehen.“
„Bei der Geschwindigkeit kann zumindest kein Stress aufkommen, also genau das, was wir uns wünschen.“
„Wirklich witzig!“
Fast eine ganze quälende Stunde dauerte es, bevor sich der Verkehr gemächlich wieder in Gang setzte.
„Na endlich geht es weiter. Was hältst du davon, wenn wir in einer Raststätte zu Abend essen?“, fragte ich.
„Wir sind ja kaum von der Stelle gekommen und du denkst nur ans Essen, typisch. Fahr erst ´mal, ich habe sowieso noch keinen Hunger.“
Keine 50 Kilometer später drängte Silvia: „Ich muss mal, kannst du den nächsten Rastplatz anfahren? Und wenn ich mir es recht überlege, könnten wir bei der Gelegenheit auch gleich etwas Essen.“
Während ich mir überlegte, welche Todesart wohl am quälendsten sein könnte, fuhr ich den nächsten Rastplatz an. Immerhin sorgte die Pause für eine weitere Entspannung auf den Strassen, sodass wir den Rest der Strecke zügig vorankamen. Ziemlich abgeschlafft erreichten wir fast gegen Mitternacht unsere Apartmentwohnung.
„Wir nehmen jetzt nur das Nötigste mit hoch, den Rest können wir ja morgen ausräumen.“, mit diesen Worten griff ich mir den Waschzeugbeutel und die Tasche mit unserer Bekleidung.
„Ich bin auch müde. Wir schlafen uns erst einmal richtig aus.“
Nur kurz vergewisserten wir uns von der freundlichen Einrichtung und legten uns sofort beruhigt ins Bett.

„Florian, hörst du das?“, Silvia schüttelte mich rüde wach, „wach´ endlich auf die Penner!“.
„Was ist?“, schlaftrunken rappelte ich mich langsam hoch, „wie spät ist es eigentlich?“
„Das ist doch völlig wurscht! Ich glaube, da versucht jemand bei uns einzubrechen! Hörst du nicht das Klopfen?“
Inzwischen hatte ich meine Uhr gefunden, es war halb drei Uhr morgens. Ich hielt den Atem an und lauschte, tatsächlich klopfte es an ein Fenster. Die Geräusche kamen aus der Wohnküche.
„Wir werden sterben! Tu´ doch endlich etwas!“, Silvia packte meine Arme und schüttelte mich durch.
„Blödsinn, wir sind hier im zweiten Stock, wie soll da jemand von außen durch ein Fenster einbrechen?“
„Das ist bestimmt so ein Perverser, der schlafenden Frauen etwas antut! Das willst du doch wohl nicht, oder?“
Ich wollte mich mit dem Gedanken näher vertraut machen, wurde jedoch jäh unterbrochen.
„Du Drecksack! Los beweg dich und schau´ nach!“
Ich schaltete das Licht an und ging in das Wohnzimmer. Es klopfte noch immer in unregelmäßigen Abständen an das Fenster. Die Ursache war aber schnell erkannt: Der Wind hatte aufgefrischt und drückte ein Windspiel gegen die Scheibe. Ich holte den Übeltäter herein.
„Siehst du: weder ein Perverser noch ein sonstiger Einbrecher, einfach nur ein Windspiel, das jemand vergessen hat abzunehmen.“
„Dann bin ich ja beruhigt. Schatz, du bist mein Retter!.“
Der Rest der Nacht verlief ohne weitere Zwischenfälle.

Als ich aufwachte, strahlte die Sonne bereits durch das Fenster. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, es war bereits halb zehn. Ich schaute hinüber zu Silvia. Ihr hübsches Gesicht mit den blonden Haaren war zu mir gekehrt. Sanft streichelte ich ihr über die Wange und rückte näher an sie heran.
„Guten Morgen mein Schatz.“, hauchte ich ihr ins Ohr.
Sie schlug die Augen auf und lächelte mich an.
„Guten Morgen.“
Verführerisch streckte sie mir ihre Lippen entgegen. Als ich sie fast berührte, zuckte Silvia zurück.
„Sag´ mal, wie spät ist es eigentlich? Es ist doch schon taghell!“
„Halb zehn. Aber das ist doch jetzt völlig egal.“
„Was, so spät schon? Los steh´ auf, du gehst als erster ins Bad. Du brauchst ohnehin länger als ich.“
„Wollten wir es uns nicht gemütlich machen und keinen Stress aufkommen lassen?“
„Na klar, aber kuscheln wollten wir abends, außerdem habe ich Hunger. Und du weißt ja, wenn ich Hunger habe, werde ich schnell ungenießbar.“
„Das hat mit Hunger wenig zu tun“, entfleuchte es mir.
Die Antwort kam schnell und unausweichlich, ein kräftiger Knuff traf mich am Arm und überzeugte mich davon, doch besser aufzustehen.
Gut zwanzig Minuten später stand ich gestiefelt und gespornt im Wohnzimmer und wartete auf Silvia. Mehr aus Langeweile begann ich, die in der Raufasertapete eingeschlossenen Holzsplitter zu zählen.
„…998…999…1000, Schatz, wie weit bist du?“
„Jetzt hetz mich doch nicht, ich bin gleich fertig.“
Verdammt noch mal, jetzt hatte ich vergessen, mit welchem Holzspan ich geendet hatte und durfte noch mal von vorn anfangen.
„…1523…1524…1525…“
„Da bin ich. Können wir jetzt endlich los?“
Ganz in der Nähe unseres Apartments befand sich ein Supermarkt mit einem Bäcker. Neben dem Tresen war ein Bereich zum Frühstücken eingerichtet. In der Auslage lachten uns bereits mehrere appetitlich vorbereitete belegte Brötchen entgegen. Ich schaute Silvia an und wusste sofort bescheid. Sie hatte selbst in einer Bäckerei gearbeitet und vorbereitete Brötchen waren ihr ein Gräuel.
„Möchtest du hier wirklich frühstücken?“, fragte sie mich.
„Na klar. Das sieht doch einladend aus.“
„Bereiten sie auch Brötchen frisch zu?“
„Gerne“, nickte uns die junge Verkäuferin freundlich zu, „sie können aus den Belegen auswählen, die auf dem Schild in der Auslage stehen: Ei, Salami, Käse, Zwiebelmett, Salatblatt und Gurken.“
„Dann hätte ich gerne eine Tasse Kaffee.“, bat Silvia.
„Oh, das tut mir leid, der Automat streikt gerade. Ich kann ihnen leider nur Tee anbieten.“
Silvias Gesichtsausdruck verdunkelte sich schon wieder.
„Ich nehme den Tee, außerdem hätte ich gerne ein belegtes Brötchen mit Zwiebelmett.“
„Zwiebelmett ist leider auch aus.“
Langsam begann ich zu wanken, aber ich wagte einen letzten Anlauf.
„Dann nehme ich ein Brötchen mit Ei, Salami und Gurken.“
„Also zwei Brötchen? Eines mit Ei und eines mit Salami und Gurken?“
„Nein, ein Brötchen mit Ei, Salami und Gurken.“
„Das kann ich leider nicht in die Kasse eingeben, sie müssten schon zwei Brötchen nehmen.“
„Nein, vielen Dank. Die Bestellung hier ist mir zu kompliziert.“
„Ich habe dir doch gleich gesagt, lass´ uns weitergehen!“, giftete mich Silvia an.
Warum musste sie immer recht behalten? Mir passierte so etwas nie.
Gut einen Kilometer weiter fanden wir schließlich ein Café, in dem wir nicht nur freundlich bedient sondern auch mit einem schmackhaften Frühstück versorgt wurden.
„Das Rührei ist wirklich…“, Silvia hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als eine Schlagbohrmaschine wohl aus einem Nebenraum die Unterhaltung zunichte machte. Ich wartete einen Moment, bis wieder Stille eintrat und versuchte ihr zu antworten: „Ja, das Rührei…“. Wieder setzte das Ohren betäubende Kreischen ein.
Wir versuchten noch ein paar Anläufe, doch gleichgültig, wer mit dem Reden begann, es wurde jäh von dem Dröhnen unterbrochen. Ich schaute mich um, ob irgendwo eine versteckte Kamera zu entdecken sei oder ein Moderator plötzlich hinter dem Tresen hervorspringen würde, aber nichts dergleichen geschah. Durch Handzeichen machte ich Silvia schließlich klar, dass es besser wäre, ein Gespräch nach dem Verlassen des Cafés zu führen.
Durch das schmackhafte Frühstück gestärkt aber in der Hörfähigkeit spürbar eingeschränkt, machten wir uns anschließend auf den Weg zum Strand.
Der Wind hatte sich wieder gelegt, das fast klare Wasser ging zum Horizont hin ruhig in ein beruhigendes Türkisblau über. Noch in Fußreichweite erhob sich eine kleine Steilküste aus dem Meer.
„Ist das nicht herrlich hier? Die klare Luft, der Duft und das leise Rauschen des Meeres, das Kreischen der Möwen?“, schwärmerisch wandte ich mich Silvia zu. Sie schaute mich zwar an, antwortete aber nicht.
„Ist das nicht herrlich hier?“, fragte sie mich ungefähr eine Minute später.
„Das sagte ich bereits Schatz, hast du mir nicht zugehört?“
„Nein, habe ich nicht.“
Ich beschloss, von nun an mehr Zeit dem Schießen von Fotos zu widmen. So gingen wir schweigend in Richtung Steilküste.
„Du redest aber wenig! Haben wir uns denn gar nichts mehr zu sagen?“, fragte mich unvermittelt Silvia.
„Wenn ich das Gefühl hätte, dass du mir zuhörst, würde ich mehr reden.“
„Paperlapapp, du willst doch gar nicht mit mir reden.“
Ich gab es auf und versuchte eine neue Richtung.
„Ich möchte gerne noch ein Stück zur Steilküste gehen. Kommst du mit?“
„Nein, lass mal. Mir schmerzen bereits die Füße. Aber du kannst gerne noch ein Stückchen gehen.“
„Gut, da oben ist eine Bank, da kannst du dich ja hinsetzen und warten. Ich bleibe nicht lange weg.“
„Endlich mal eine prima Idee von dir, dort warte ich auf dich.“
Ich ging ca. hundert Meter weiter, machte ein paar Fotos und kehrte wieder um. Zu meinem Erstaunen saß Silvia nicht auf der Bank. Ich sah sie weder in der einen noch in der anderen Richtung der Strasse. Was sollte ich nun tun? Nach einem Moment des Wartens vermutete ich, sie könnte wegen der schmerzenden Füße bereits vorgegangen sein, da ich zu Fuß schneller war als sie. Ich entschloss mich daher zum Rückweg, sah mich aber regelmäßig um, um sicher zu gehen. An unserem Appartement angekommen stand auch dort keine Silvia. Abermals machte ich mich auf den Weg, lief alle Stationen des Vormittags nochmals ab, kehrte mit schmerzenden Füssen zum Wagen zurück und beschloss, nochmals zur Bank zu fahren, wo Silvia auf mich warten wollte. Und tatsächlich, dort stand sie mit wütendem Gesicht.
„Wo warst du denn?“, herrschte sie mich an.
„Die gleiche Frage könnte ich dir auch stellen.“
„Ich war nur kurz dort gegenüber auf der Toilette, ansonsten habe ich die ganze Zeit auf dich gewartet.“
„Und ich bin zum zweiten Mal durch den Ort gelaufen, um dich zu suchen.“
„Typisch Mann, keine Geduld. Da habe ich ja noch einmal Glück gehabt, dass du überhaupt nach mir gesucht hast, oder?“
„Ich schlage vor, dass wir einen Kaffee trinken gehen, um uns wieder aufzuwärmen.“
„Deine zweite gute Idee an diesem Tage.“
Der Tee wirkte wie eine kleine Heizung von innen, recht bald kehrte wieder gute Laune ein.
„Deine Eskapade will ich mal wieder vergessen,“ meinte Silvia großzügig, „was hältst du davon, wenn wir uns weiter den Ort anschauen?“
„Schatz, das ist eine großartige Idee von dir!“
So flanierten wir weiter durch die beschaulichen Gässchen. Auf der Höhe eines Friseurs meinte Silvia: „Du könntest dir auch mal wieder die Haare schneiden lassen!“
„Wieso? Die sehen doch noch gut aus.“
„Wenn du einen explodierten Handfeger als gutaussehend betrachtest, würde ich an deiner Stelle natürlich nicht gehen. Ich mache dir einen Vorschlag: Dort drüben ist ein Laden, „Schuhparadies“, entweder wir gehen gemeinsam dorthin oder du zum Friseur und folgst mit anschließend.“
Selten stellt mich meine Frau vor so leichte Entscheidungen. Erfüllt von naiver Euphorie betrat ich den Friseursalon. Ein junger Mann mit Haaren wie ein bunter Hahnenkamm kam mir entgegen, während hämmernde Techno-Beats den Raum erfüllten.
„Was kann ich für dich tun, mein Gutster?“ frage er mich und zappelte wie eine affektive Diva. Sein Gesicht war mit Piercings und undefinierbaren Tätowierungen übersät, Gene Simmons wirkte dagegen wie ein Chorknabe.
„Wie wär´s mit Haareschneiden?“
„Hach, du bist aber ein Spaßvogel. Setz dich doch. Ich fülle uns erst einmal ein Gläschen Prosecco.“
„Vielen Dank, ich hätte aber gerne ein eigenes Glas.“
Er knuffte mich am Oberarm und lachte schallend. „Wie niedlich! Du hast völlig recht, so können wir besser anstossen.“
Hoffentlich würde er nicht auch noch handgreiflich werden, langsam überkam mich ein beklemmendes Gefühl.
„Stößchen!“, mit diesem Wort drückte er mir ein gefülltes Sektglas in die Hand.
„Prost!“
„Ach ich liebe Männer, die Charakter zeigen und du bist ein ganz tolles Exemplar. Aus deinen Haaren werde ich was gaaanz Tolles machen!“
Er griff mit seinen Händen durch meine Haare, bog sie nach allen Richtungen und kam ins Schwärmen.
„Hier ein bisschen kürzer, dort ein wenig Farbe und du wirst richtig schnuckelig.“
„Muss das sein? Eigentlich war ich mit meiner Frisur total zufrieden.“
„Hach, das wäre jammerschade, wenn so ein Süßer wie du total langweilig aussieht. Ich mach das schon. Noch ein Prosecco?“
„Nein danke. Aber bitte die Frisur so, dass meine Frau mich noch wiedererkennt.“
Etwa eine Stunde mochte vergangen sein, als ich den Laden wieder verließ. Um etliche Euros ärmer aber plötzlich reich an Beachtung, drehten sich die vorbeigehenden Menschen nach mir um. Als ich den Schuhladen betrat, stand Silvia gerade an der Kasse, neben ihr, ich konnte es kaum glauben, eine mit Schuhkartons beladene Palette. Nein, das konnte nicht wahr sein, diese ganzen Schuhe hatte sie nicht gekauft!
Silvia drehte sich um und wusste im ersten Moment nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Mir erging es beim Anblick der Schuhkartons genauso.
„Sag mal, du Buntspecht, bist du in mehrere Farbeimer gleichzeitig gefallen? Und was soll der Hahnenkamm? Oder soll das ein implantierter Pinsel sein?“
Die Frau an der Ladentheke drehte sich bereits grinsend weg.
„Der nette Friseurmeister von gegenüber meinte, das würde mir gut stehen.“
„Ich glaube, bei dir hat etwas anderes gestanden, als du dich dazu hast überreden lassen. Wahrscheinlich hatte die Friseuse dicke Titten in einem weiten Dekolletee.“
„Nein, ganz bestimmt nicht, du kannst dich ja selbst davon überzeugen. Aber das hier, das sind doch wohl nicht alle Schuhe, die du gekauft hast?“
„Oh doch mein Schatz. Die sind hier modisch auf dem neuesten Stand! Und das Beste: auch noch spottbillig! Wenn du fünf Paar kaufst, kriegst du ein weiteres gratis dazu. Da konnte ich nicht „nein“ sagen.“
„Aber du hast doch schon so viele Schuhe Zuhause.“
„Aber kein Paar, das wirklich zu meinen Klamotten passt. Du bist ja immer so geizig, lässt mich nie alleine los und deshalb habe ich nie ´was zum Anziehen. Oh, Flo, lass´ sie mir bitte.“
Beim Anblick der riesigen Menge an Schuhkartons beschloss ich, zukünftig auch den Schuhkauf zu begleiten. Diese Strapaze erschien mir erträglicher als die hochnotpeinlichen Diskussionen mit unserem Bankberater. In Gedanken sah ich mich schon wieder in seinem Büro sitzen, wie er mir wie schon so oft mit strenger Miene den Sinn eines Dispokredites einschließlich seiner Limitierung erklärte.
Silvia trat ganz nah an mich heran und flüsterte mir ins Ohr: „Wenn ich alle Schuhe behalten darf, darfst du heute Abend mit mir machen, was du willst.“
Ihre Hand glitt langsam in meine Hosentasche.
„Huuu, ich glaube, da tut sich ´was!“, hauchte sie hinterher.
Wer kann einem solchen Angebot schon widerstehen? Und was bedeutet schon Geld? Ha! Alles doch nur schnöder Mammon!
Mühsam verstauten wir die Schuhkartons in den Wagen.
„Jetzt will ich mir doch noch einmal deinen tollen Friseur anschauen.“
„Kein Problem, du wirst sehen, da gibt es überhaupt keine Friseuse.“
Als wir vor dem Schaufenster des Friseurladens standen, klappte mein Unterkiefer herunter.
„Und du willst mir also erzählen, da gebe es überhaupt keine Friseuse? Sieht die nicht genauso aus, wie ich sie beschrieben habe? Und warum winkt sie dir so freundlich zu und beugt sich dabei noch so demonstrativ nach vorne?“
„Aber Schatz, glaub mir. Der Kerl dahinten, der war´s, der hat mir diese Frisur verpasst. Die Friseuse war überhaupt nicht da, die hatte wahrscheinlich Mittagspause.“
„Der? Dieser Gene Simmons für Weicheier? Mittagspause? Um 16:30? Ich glaube dir gar nichts mehr, deine ewige Lügerei. Du machst mir was vor, wenn du nur den Mund aufmachst. Den schönen Abend kannst du dir knicken. Ich schlafe im Schlafzimmer und du im Wohnzimmer, das kennst du ja zur Genüge schon von Zuhause. Du willst das ja nicht anders!“

Als wir am nächsten Morgen nach Hause fuhren, begann ich mich zu erholen. Die Temperaturen gierten nach neuen Minusrekorden, teilweise bildeten sich bereits an den Innenseiten der Scheiben Eiskristalle. Trotz allem wurde es eine besinnliche Fahrt, Silvia brachte kein einziges Wort heraus und ich genoss es, mich wieder auf meine Arbeit zu freuen. Endlich einmal war es mir gelungen, Sivlia sprachlos zu machen! Nun gut, die Umstände waren etwas unglücklich, aber ich wusste, sie würde sich schon wieder beruhigen. Mit jedem ruhig gefahrenen Kilometer wuchs mein Selbstbewusstsein, meine Brust schwoll an, hoch erhobenen Hauptes blickte ich nach vorn. Auf den letzten Kilometern stimmte ich pfeifend ein fröhliches Lied an.
Und nicht nur das, plötzlich saß mir der Schalk im Nacken.
„Na, mein kleiner süßer Schuhfetischist. Das Wochenende war für Dich ja ein voller Erfolg mit dem ganzen Nachschub.“
Ich wendete mich zu Silvia und hatte das Gefühl, in das grimmige Gesicht eines bösen Geistes zu schauen, doch davon wollte ich mich nicht entmutigen lassen.
„Jetzt kannst du jeden Tag ein anderes paar Schuhe anziehen, das reicht mindestens für ein Jahr.“
„Sag´ mal, merkst du überhaupt noch etwas?“, blaffte sie mich an.
„Ach Schatz, bleib doch mal geschmeidig und sieh die positiven Seiten des Wochenendes.“
„Das würde ich ja gerne, wenn ich einen Mann hätte, auf den ich mich verlassen kann.“
„Du kannst dich auf mich verlassen.“
„Und was ist mit deinem Haarschnitt? Du siehst aus wie ein aufgeblasener bunter Gockel.“
„Du wolltest doch, dass ich zum Friseur gehe.“
„Ich wollte aber nicht, dass du dir von vollbusigen Friseusen die Hormone durcheinander bringen lässt, dass dein Hirn plötzlich auf die Größe eines Gewürzgürkchens schrumpft und zwischen deine Beine rutscht!“
Meine gute Laune schwand dahin wie das Öl in meinem Wagen.
„Verdammt noch mal! Wie oft soll ich dir das noch sagen? Die war vorher überhaupt nicht da! Außerdem rege ich mich auch nicht über die vielen blöden Schuhe auf, die du gekauft hast. Unser Konto wird mit Sicherheit wieder bis zum Anschlag überzogen. Aber das interessiert die feine Dame ja nicht.“
„Blöde Schuhe? Wenn du deinen Hintern mehr bewegen würdest statt im Bastelraum zu sitzen, könnte ich mir noch viel mehr blöde Schuhe leisten und müsste nicht herumlaufen wie ein Penner!“
Ich wollte gerade zum großen Gegenschlag ausholen, als es krachte.
„Scheiße, verdammte!“
Ich hatte nicht mehr auf den Verkehr geachtet und deshalb gar nicht bemerkt, dass die Autos immer langsamer fuhren. Jetzt war ich dem Vordermann in den Kofferraum gefahren.
Wütend kam ein riesiger breitschultriger Athlet auf mich zu: „Wo hast du Depp eigentlich deine Augen?“
Ich sackte immer weiter in mich zusammen. Am liebsten wäre ich in einem Mauseloch verschwunden.
„Na prima. Die Reparatur wird nicht ganz billig“, meinte Silvia, „wie gut, dass ich jetzt genügend Schuhe habe.“

Foto: ich  / pixelio.de

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2 Antworten zu Comedy-Sommer: Kurzgeschichte – Keine Erholung in Bottenhusen

  1. AvatarRobert sagt:

    Aus dem Leben gegriffen… schöner Text, Thomas!

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