Wie die Pfeife eines Mannes – Noch ein Beitrag zur Grass-Debatte

Pfeifenraucher Günter Grass

„Es könnte im Blog durchaus mal wieder über Politik gestritten werden. Und mich interessiert, was Günter Grass regelmäßig dazu antreibt, erst eine kontroverse Debatte anzufachen und sich anschließend darüber zu beklagen, dass man ihn als Brandstifter denunziere. Ihr seid doch beide Pfeiferaucher …“.

Mit etwa diesen Worten forderte Chris Kurbjuhn jüngst meine Expertise auf dem Gebiet der Pibologie heraus – einer noch jungen Wissenschaft, als deren Begründer ich mich bezeichnen darf. Anlass für meine Forschungstätigkeit war die Frage, warum die über Jahrhunderte entwickelte Kultur des Pfeiferauchens offensichtlich im Niedergang begriffen ist?

Eine vorläufige Hypothese besagt, dass gewisse Verschratungs-Tendenzen zur kulturellen Isolierung des Pfeiferaucher-Milieus führen. Der Schrat ist ein Sonderling. Selbstbezogen geht er seinen Gedanken und Leidenschaften nach. Mitunter dilletiert er in fachfremden Gebieten und erregt damit öffentliche Aufmerksamkeit. Er ist aber nicht diskursfähig. Solche Exponenten des Pfeifenkults bieten den jüngeren Generationen, soweit sie genussorientierte Lebensstile pflegen, vermutlich keine Anknüpfungspunkte. Oder mit einer systemischen Volte gefragt: Kann man sich einen Pfeiferaucher vorstellen, der Ecstasy einwirft und Red Bull trinkt?

Aber damit sind wir noch nicht bei Günter Grass. Wissenschaft gibt keine schnellen Antworten. Sie muss den Gegenstand ihres Interesses gründlich beforschen, dazu ein begriffliches Instrumentarium entwickeln und empirisch begründen. Diesem Anspruch gemäß soll eine Typenkunde das Forschungsfeld „Pfeiferaucher“ gliedern. Was sind das für Männer, die Pfeife rauchen, welcher Gestus ist ihnen eigen, wie positionieren sie sich intellektuell?

Pfeifenraucher Mark Twain

Nehmen wir z.B. Mark Twain. Unbefangen, gewitzt und bisweilen ein wenig großmäulig sieht er sich in der Welt um, schleudert ihr in Kolumnen (seltener: Gedichten) seine Sicht der Dinge entgegen. Das Publikum reagiert gespalten, und wenn die Zensur eingreift, dann will das Getöse erst recht nicht verstummen. Mark Twain illustriert in meiner Typen-Kategorisierung den „Steamer“. Einem Mississippi-Dampfboot gleich bewegt er sich unbeirrt in den öffentlichen Gewässern der Gesellschafts- und Moralkritik. Als Raucher bevorzugt er die kurzlebige Maiskolben-Pfeife.

Ist auch Günter Grass ein „Steamer“? Gegenfrage: wie nähme sich moralische Schwere auf einem Raddampfer aus? Außerdem hat Mark Twain auf Kritik nicht gekränkt reagiert sondern sich über seine Gegner lustig gemacht!

Dem vorbezeichneten Typus eng verwandt ist der „Pfiffikus“. Auch er ein Künstler der Feder, der Zeichenfeder nämlich. Das könnte zu Grass passen. Der Grundton des „Piffikus“ ist Humor und leiser Spott. Er ist distinguiert und gerade deshalb auch den Albernheiten des englischen Humors zugeneigt. Englisch ist auch seine Pfeifensammlung. Und damit ist auch diese Kategorie nicht für Günter Grass passend, sehr wohl aber für Loriot.

Der Typus des „Qualmers“ zeigt hinter blauen Wolken ein ernstes Gesicht. Zwischen seinen mahlenden Kiefern zerbirst gelegentlich ein Pfeifenmundstück. Wenn er die Pfeife im Gespräch aus dem Mund nimmt, dann spießt er damit politische Argumente und seine Widersacher auf. Angriffe weist er schroff und beleidigt zurück. Diesem Pfeifenraucher-Typ ist gewiss Herbert Wehner zuzuordnen, ebenso Peter Struck, beide Sozialdemokraten wie Günter Grass.

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Video-Link: http://youtu.be/MBemQh96qYc

Wenn wir jedoch genauer hinsehen, dann fällt auf, dass Grass seine Gegner nicht aufspießt, sondern auf sie eindrischt. Als Beleg für die pibologische Entsprechung führe ich ein Interview mit Rolf van Dick an. Man beachte, dass Grass seine Pfeife am Mundstück erfasst und mit dem Pfeifenkopf keulengleich herumfuchtelt. Das wird nicht lange gutgehen. Irgendwann macht er seine Pfeife kaputt und wird demjenigen die Schuld für das Malheur geben, den er damit getroffen hat.

Ein Mann, der seine Pfeife mutwillig riskiert und darüber gar nicht erst zum Rauchen kommt – ich denke, dass ich bei der Fortschreibung meiner wissenschaftlichen Studien Günter Grass als Sonderfall in eine Fußnote verbannen werde.

Autor Enrico Troebst ist freiberuflich in der Erwachsenenbildung tätig und schreibt am September-Blog – Wenn man nicht mehr vierzig ist. Hier auf “Männer unter sich” ist sein Stammplatz die “Smoker’s Corner”.

Foto Grass: Florian K. under CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Abbildung Mark Twain: James Carroll Beckwith [Public domain], durch Wikimedia Commons

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