Alptraum Weihnachten

„Schatz, hast Du eigentlich schon ein Weihnachtsgeschenk für unseren Sohn besorgt?“
Siedendheiß lief es mir den Rücken hinunter: Ich hatte mich ja in diesem Jahr bereit erklärt, mich um Jonas´ Weihnachtsgeschenk zu kümmern.
„Nein, mein Engelchen, ich werde das aber sofort erledigen“, versuchte ich meine Frau Silvia zu beruhigen.
„Die Geschäfte haben ja morgen noch bis 12:00 Uhr geöffnet und heute ist ja erst der Nachmittag des 23. Dezember, also bleibt dir genügend Zeit, noch etwas Passendes zu finden!“
Den ironischen Unterton versuchte ich zu überhören, während ich mich auf den Weg machte. Für einen kurzen Moment konnte ich nachvollziehen, warum über manche Menschen Weihnachten jedes Jahr aufs Neue völlig unvorbereitet hereinbricht.
Mühsam quälte ich mich mit meinem Wagen durch die kurz vor dem Verkehrskollaps stehenden Straßen. Nun hatte ich schon zum x-ten Mal den Block auf der erfolglosen Suche nach einem Parkplatz umfahren.
„Was wollen diese Idioten auf der Strasse, können die nicht rechtzeitig ihre Weihnachtsgeschenke einkaufen?“, fuhr es aus mir heraus, als ich dann doch noch eine freie Parklücke erspähte. Wie bepackte Lastesel bahnten sich schnaubende und schimpfende Gestalten ihren Weg durch die hastenden Mengen. Meine Laune befand sich irgendwo auf der tiefsten Sohle einer Bergbaumine, während ich endlich den Spielwarenladen betrat. Obwohl es auch hier nicht besser zuging, öffnete sich für mich über den roten Teppich quer durch den ganzen Laden ein freier Blick auf die Augen eines anmutigen Wesens, das mich sofort in seinen Bann zog. Woher kannte ich sie bloß? Die langen schlanken Beine in der hautengen Jeans, die ebenfalls Körper betonende aufgeknöpfte Bluse regten meine Phantasie an. Ja, ich erinnerte mich, das musste Katrin, die ehemals beste Freundin meiner Frau sein. Vor einigen Jahren war sie weggezogen, irgendwann brach auch der Kontakt ab. Die leicht gewellten kastanienbraunen Haare umkosten ihr liebreizendes Gesicht, als sie sich mir mit lasziv schwingenden Hüften näherte. Offensichtlich konnte sie sich an mich nicht mehr erinnern. Um daher das Überraschungsmoment des Wiedersehens in der Hand zu haben, beschloss ich, sie in die Offensive gehen zu lassen und mich weiterhin als fremd auszugeben.
Die vielen Jahre schienen ihrer Schönheit keinen Abbruch getan zu haben, wie ein guter Wein hatte sie offenbar die Reife zur Vervollkommnung genutzt. Ja, das muss sie sein, dachte ich, die Wiedergeburt des Gesichtes, das bereits der Mona Lisa ihr geheimnisvolles Lächeln verliehen hatte! Mit einem Satz war meine Laune erregt in himmlische Höhen gesprungen, während sich meine Beine magisch angezogen unwiderstehlich in Bewegung setzten und unsere Augen immer tiefer ineinander versanken. Die Welt um uns herum schien wie in ein Nirwana abzutauchen.
„Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“, hauchte sie, direkt vor mir stehend entgegen.
„G..ganz gewiss“, stammelte ich.
Begleitet von einem devoten Senken der Augen fragte sie: „Wie kann ich ihnen denn helfen?“
Ich schmolz dahin wie Butter in einer heißen Pfanne. Nur mühsam brachte ich hervor: „Ich suche ein Weihnachtsgeschenk für meinen zehnjährigen Sohn. Ich dachte an eine elektrische Eisenbahn. Was können sie mir denn empfehlen?“
„Ach, wie konnte ich das nur für einen kurzen Moment vergessen? Es ist ja Weihnachten, dann kriechen sie wieder aus ihren Löchern! Diese chauvinistischen Kerle, die der Meinung sind, dass Jungen etwas Technisches geschenkt haben sollten und Mädchen Puppen und Küchenspielzeug, damit sie auf die Hausarbeit vorbereitet werden!“
Ich hatte das Gefühl, aus vollem Lauf von einem Mona Lisa-Gesicht auf einer Betonwand abgebremst zu werden. War eigentlich schon vorhin diese dicke Warze auf ihrer nun hakenförmigen Nase, fragte ich mich.
„Wie? Ich verstehe nicht, was sie meinen?“
„Sie wissen ganz genau, was ich meine. Wahrscheinlich sitzen sie auch jedes Wochenende bei Bier und Chips vor dem Fernseher und glotzen zu, wenn zweiundzwanzig bunt gekleidete Männer hinter einem Ball herlaufen, während für ihre Frau nur die drei K´s übrig bleiben: Küche, Kirche, Kinder!“
Dabei tippte sie mir mit dem rechten Zeigefinger gegen die Brust, jede Berührung kam mir vor wie ein Stich bis tief ins Herz.
Woher kamen eigentlich so plötzlich diese vielen hässlichen Sommersprossen auf ihrer abstoßend weißen Haut? Und der Finger, der mich durchbohren wollte, wirkte ebenfalls wie ein völlig vertrockneter dürrer Zweig.
„So, guter Mann“, eine unerbittlich klingende Stimme bohrte sich in meine Ohren, „sie werden mir jetzt folgen!“
Nichts war mehr von der Traumfigur zu erkennen, die Kleidung wirkte irgendwie braun und zerlumpt um den breiig wabernden Körper, der sich mit der rechten Hand bei jedem Schritt auf einen knorrigen alten Ast stützte. Willenlos folgten ihr meine Beine. Wo waren nur all die Menschen geblieben?
„Hier sind wir in der richtigen Abteilung. Wonach suchten sie noch für ihren Sohn?“
„Eine elektrische Eisenbahn?“, frage ich kleinlaut.
„Falsche Antwort, sie haben noch immer nichts dazu gelernt. Zweiter Versuch: was wollen sie ihrem Sohn zu Weihnachten schenken?“
„Vielleicht so etwas wie eine … Küche?“
„Sehr gut, sie gehören noch zu den hoffnungsvollen Fällen, sie sind lernfähig. Wenn sie wüssten, mit was für schwierigen Kunden ich es hier manchmal zu tun habe, einfach schrecklich! Also hier habe ich etwas Passendes.“
Aus dem Regal entnahm sie mehrere riesige Kartons, begann sie zu öffnen und den Inhalt aufzubauen. Binnen kürzester Zeit war ich umringt von einem Herd mit Dunstabzugshaube, mehreren komplett mit Töpfen, Pfannen, Geschirr, Backformen, Tellern, Tassen und allem, was sonst noch so in eine Küche gehört gefüllten Schränken.
„Ist doch toll, oder? Von der Größe her genau im Maßstab vom Original an unsere süßen Kleinen angepasst und das Beste: viele Funktionen sind richtig einsetzbar: Auf dem Herd kann man tatsächlich kochen, natürlich wird alles elektronisch überwacht, damit den Kindern nichts passiert. Unter der Spüle ist ein Wasserbehälter, der genug Vorrat bietet, um das Geschirr nach der Benutzung wieder zu reinigen.
„Wirklich klasse! Aber was ist, wenn mal etwas kaputt geht? Wie sieht es dann mit der Reparatur aus?“
Für einen kurzen Moment schaute ich wieder in das Antlitz von Da Vincis Meisterwerk.
„Sie sind wirklich gut! Hätten sie nicht Lust, gemeinsam mit mir hier in der Abteilung zu arbeiten? Ich habe einen guten Draht zum Chef, wir suchen ohnehin noch einen aufgeschlossenen Kundenberater?“, säuselte mir ihre süße Stimme ins Ohr.
„Nein, vielen Dank für das Angebot. Ich bin mit meinem Job zufrieden.“
„Wenn etwas kaputt geht, wird natürlich selbst repariert“, dröhnte es wieder in mich hinein. Sie griff erneut in das Regal, zum Vorschein kam ein Werkzeugkasten.
„Eine weitere Besonderheit an der Küche ist, das sie über eine Steuerungselektronik verfügt, die tatsächlich in unregelmäßigen Abständen Störungen simuliert, die repariert werden müssen. Wie im richtigen Leben halt: Rohrverstopfung, klemmende Schubladen, durchgebrannte Heizspiralen und so weiter. Das lässt sich natürlich nur mit dem passenden Werkzeug als Zubehör reparieren.“
„Sehr praktisch, ich verstehe und sie haben mich überzeugt. Was soll das denn zusammen kosten?“
„Die Jungenküche ‚Happy Boy‘ mit dem Zubehör ist gerade im Sonderangebot, sie haben Glück, nur € 975,00 statt € 1.000,00 und sie werden ihrem Sohn ein unvergessliches Weihnachtsgeschenk bescheren.“
„Das es für unseren Sohn unvergesslich werden wird, glaube ich ihnen sofort, aber neunhundertfünfundsiebzig Euro?“, prustete es aus mir heraus.
Ich hatte es kaum ausgesprochen, als mein Körper von einem brennenden Blitz durchbohrt wurde, der aus ihrem ausgestreckten Zeigefinger hervordonnerte.
„Ja, ja“, wimmerte ich, „das ist wirklich ein einmaliges Angebot. Ich bekomme ohnehin noch Überstunden ausbezahlt, das ist gar kein Problem für mich!“
„Sehen sie, es geht doch. Ich packe Ihnen die Sachen wieder ein und dann gehen wir gemeinsam zur Kasse.
Schwer bepackt wurde ich auf dem Bürgersteig zunächst wie eine Flipperkugel begleitet von Flüchen durch die Menge geschubst. Nur langsam kam ich wieder zur Besinnung. In einem Café gönnte ich mir eine heiße Tasse Tee, als mich plötzlich mein Gewissen plagte.
Wie konnte ich mir nur so einen Unsinn andrehen lassen? Jungenküche „Happy Boy“, wie das schon klingt! Ich sollte weniger Arbeiten, der ganze Stress macht mich schon mürbe. Und diese dämliche feministische Hexe Katrin, die hat doch nur Hass auf Männer, weil sie keinen Richtigen abkriegt. Die soll mich kennenlernen, mir soviel Geld für so einen Schwachsinn aus der Tasche zu ziehen!
Mühsam bahnte ich mir wieder mit dem ganzen Geraffel den Weg zurück zum Spielwarenladen, als sich mir eine völlig zerlumpte Gestalt entgegenstellte.
„Eine milde Gabe für einen Obdachlosen!“
Die Worte prallten mir entgegen. Die fettig herunterhängenden Haare ragten wirr in das zerfurchte Gesicht hinein. Aus dem Mund des Mannes strömte eine üble Alkoholschwade, während sein Lächeln den Blick auf eine braunschwarze Trümmerlandschaft eröffnete, wo ehemals wohl Zähne ihren Platz fanden.
„Eine Milde Gabe für einen Obdachlosen!“, der Ton seiner Worte wurde harscher.
„Gehen sie mir aus dem Weg! Wenn ich ihnen Geld gebe, versaufen sie es ja doch nur.“
„He Jungs, habt ihr das gehört? Da ist wieder so ein Schlauschnacker!“
Plötzlich tauchten drei weitere Gestalten um mich herum auf, die wie Pilze aus dem Boden geschossen zu sein schienen. Ihr heruntergekommenes Aussehen stand dem des Anführers in nichts nach. Aus allen vier Richtungen drangen nun die vom Alkoholdunst getragenen Worte zu mir.
„Unbarmherziger Kapitalist!“, „Geizkragen!“, „Arroganter Pinkel!“
Der üble Geruch drohte mir den Atem zu rauben.
„Also, was wollen sie von mir?“, brachte ich mühsam hervor, „ich habe kaum Geld bei mir. Ich bezahle nur mit Kredit- oder EC-Karte.“
„Hört, hört, ich bezahle nur mit Kredit- oder EC-Karte“, stimmte der Anführer an, dabei fuchtelte er mit dem ganzen Körper wie eine aufgeblasene Diva.
„Also kann ich jetzt bitte gehen? Ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen.“
Wie im Chor schien der Ton der Vier nun verständnisvoller zu werden, „aber kla doch, null Problemo. Wir sin ja auch nur arme Schlucker.“
„Danke für Ihr Verständnis. Ich wünsche Ihnen noch frohe Weihnachten!“ Ich wollte mich wieder in Bewegung setzen, doch die Dunst- und Menschenglocke hielt mich gefangen.
„Sach ma, hälste uns für total bescheuert?“, raunzte mich der Anführer nun an.
Am liebsten wäre ich dem Kerl an die Gurgel gesprungen, doch die Ausdünstungen und der Schmutz all dieser Gestalten hielten mich davon ab.
„Eh, Alter, ich mach dir ´n Angebot. Inner nächsn Seitenstrasse is´n Geldautomat. Da gehn wir jetz alle hin. Auf´m Weg kannse dir schon ma überlegen, was wir dir wert sind. Du gibs uns die Kohle und siehs uns nie mehr wieder. Das is fair oder?“
Meinen Versuch, nach Hilfe zu schreien, hatten die vier bereits kommen sehen und mich mit einem verrotzt triefenden Tuch vor dem Mund rechtzeitig davon abgehalten. Mein Magen erinnerte sich wieder des Frühstücks und war auf dem besten Wege, es mich noch einmal kosten zu lassen.
Beim Geldautomaten angekommen, wollte ich den Auswahlknopf für € 100,00 drücken.
„Na, na, na“, schüttelte der Anführer den Kopf, „dat meinse doch nich wirklich erns? Schentlemän wie wir haben ja wohl mehr verdient und wo wir jetz so gute Freunde sind. Komm ich helf dir.“ In Windeseile packte er meinen Finger und drückte auf die 500-Euro Taste.
In Gedanken sah ich meinen Kontostand bereits in tiefroter Farbe in die tiefsten Tiefen sinken. Wie sollte ich das meiner Frau erklären? Noch ehe ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte, waren die Penner mit meinem Geld genauso spurlos verschwunden, wie sie erschienen waren. Zumindest darüber erleichtert, sog ich erst einmal die frische Luft in mich ein.
Was für ein Tag, diese Kerle hatten mir gerade noch gefehlt. Ich hatte nur noch einen Wunsch: so schnell wie möglich das Geschenk wieder umtauschen und dann nach Hause unter die Dusche. Meine Laune befand sich wieder auf dem gleichen Niveau wie zuvor, als ich den Spielwarenladen erneut betrat.
Qualvoll drängte ich mich nun durch die Menschenmenge auf der Suche nach der Verkäuferin. Schweißgebadet fand ich sie schließlich wieder in der Abteilung, in der sie mir das Geschenk angedreht hatte. Sie befand sich gerade im Gespräch mit einem Mann.
„Sie möchten ihrem Sohn eine elektrische Eisenbahn schenken? Aber gern, das ist gar kein Problem…“

„Wie lautet ihr Name?“
„Päch, Florian.“
„Buchstabieren sie ihren Nachnamen!“
„P Ä C H.“
Ich fand mich auf einer Polizeiwache wieder, mir gegenüber saß Kommissarin Hartmann. Noch nie hatte ich ein derart penibel eingerichtetes Büro gesehen. Jedes Einrichtungsstück, angefangen vom Kugelschreiber auf dem Schreibtisch über die Blumen auf dem Fensterbrett, die Aktenordner im Schrank bis hin zu dem Bild an der Wand hatte seinen Platz, der auf den Millimeter genau ausgemessen und ausgewinkelt zu sein schien.
„Wann geboren?“
„Am 15.06.1965.“
Das Bild an der Wand stellte wohl die Replik eines Werkes von Piet Mondrian dar und fügte sich mit seinen geraden schwarzen Linien zwischen den rechteckigen bunten Feldern passgenau in die Gesamteinrichtung ein.
„Wohnhaft?“
„Grenzstrasse 99, Hollemoor.“
Das kantige Gesicht von Kommissarin Hartmann zeichnete sich durch einen schmalen geraden Mund und blonde Haare aus, die mit Sicherheit alle exakt die gleiche Länge von fünf Millimetern hatten. Die stahlblauen Augen musterten mich bei jeder Frage auf´s neue herablassend kalt.
„Herr Päch, was sagen sie nun zu den Anschuldigungen gegen sie?“
„Frau Hartmann“, versuchte ich es in einem ironischen Tonfall, „diese Frau ist doch nicht ganz dicht. Verkauft mir…“
„Nicht in diesem Tonfall, Herr Päch, ich kann auch ganz anders!“
„Wir sind doch unter uns, das ist alles nur ein dummes Missverständnis.“, versuchte ich es nun mehr auf die joviale Art.
„Ein dummes Missverständnis Herr Päch? Mir liegen drei Anzeigen gegen sie vor. Sie haben die Verkäuferin, Frau Katrin Manntreu, auf das Übelste mit den Worten beschimpft, ich zitiere: „notgeile Schlampe, feministische Männerhasserin, falsche vertrocknete Hexe“. Wären da nicht zwei weitere Kunden gewesen, die sie festgehalten haben, müsste ich sogar von dem Versuch eines tätlichen Übergriffs ausgehen. Diese Kunden, die Herren Fred Meyer und Jörg Männel, beschimpften sie für ihre Courage mit den Worten, ich zitiere: „Mistkerle“ und „geile Böcke“. Es gibt jetzt exakt zwei Möglichkeiten für sie: Entweder sie kooperieren oder ich lasse sie vorläufig in Gewahrsam nehmen, weil ich zusätzlich von einer versuchten Körperverletzung ausgehe. Der Staatsanwalt wird dann weiter entscheiden. Da er aber im Moment sehr beschäftigt ist, wird eine Entscheidung frühestens morgen zu erwarten sein. Bis dahin dürfen sie sich dann bei gesiebter Luft über das Weihnachtsfest in einem überschaubaren Raum ganz für sich alleine freuen. Also, entscheiden sie!“
„Ja, ich habe für einen kurzen Moment die Kontrolle über mich verloren, aber die hat mich provoziert und mir diesen teuren Mist verkauft.“
„Und deshalb beleidigen sie eine Verkäuferin? Sind sie nicht in der Lage, klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen, was sie kaufen wollen und was nicht? Ich habe auch den Eindruck, dass sie unter Alkoholeinfluss stehen. Das ganze Büro stinkt schon danach.“
„Doch, ja, eigentlich schon, ich weiß nicht…, aber das mit dem Alkohol waren die vier Penner, die vor dem Spielwarenladen Geld von mir erpresst haben.“
„Jetzt wollen sie mir wohl auch noch erzählen, dass sie von vier Pennern betrunken gemacht worden sind, die dann von ihnen Geld erpresst haben? Warum sollten sie erst vier Leute betrunken machen und dann Geld von ihnen erpressen?“
„Nein nicht so, vor dem Geldautomaten.“
„Wieso vor dem Geldautomaten?“, Kommissarin Hartmann wurde zunehmend ungehalten, „gerade haben sie mir noch erzählt, die vier hätten sie vor dem Spielwarenladen erpresst. Jetzt sprechen sie von einem Geldautomaten.“
„Nein, nein, es war ganz anders…“
„Also, jetzt reicht´s mir. Hier erst einen auf unzurechnungsfähig machen und dann auch noch anderen die Schuld in die Schuhe schieben wollen. Bevor sie meine Intelligenz noch weiter beleidigen, mache ich ihnen einen letzten Vorschlag: sie geben die Tat zu, das wäre positiv für sie. Da sie einen festen Wohnsitz haben, nicht vorbestraft sind und ich keinen Grund für eine Fluchtgefahr sehe, setze ich sie wieder auf freien Fuß.“
„Ja, mir sind diese Worte so ´rausgerutscht.“
„Gut, dann sehen sie zu, dass sie nach Hause kommen, aber Gnade ihnen Gott, wenn sie alkoholisiert Auto fahren. Frohe Weihnachten!“
Mir fehlte die Kraft, mich auf weitere Diskussionen einzulassen und so schleppte mich mit meinen Geschenken zurück zum Parkplatz. Erst in meinem Wagen fühlte ich mich endlich wieder sicher. Die paar Kilometer nach Hause waren nur noch ein Klacks, ich hörte schon das Rauschen des warmen Wassers, um mir unter der Dusche den Schmutz des Tages abzuwaschen.
Wenige Minuten vor meinem Zuhause, meine Laune tendierte bereits wieder in den positiven Bereich, musste ich feststellen, dass mir heute wirklich gar nichts erspart blieb. Vor mir baute sich ein Polizist mit seiner Kelle auf und winkte mich zur Verkehrskontrolle auf den Seitenstreifen.
Ein Kollege näherte sich meinem Fahrzeug, während ich bereits das Seitenfenster herunterfuhr.
„Haben sie Alkohol…“, mitten in der Frage drehte er sich zu einem weiteren Kollegen an einem Streifenwagen um, „du, Willi, der Pokal für den Promillekiller geht in diesem Jahr an uns. Hier quellen die Alkoholschwaden schon dick aus dem Wagen.“
Mein Kopf fiel auf das Lenkrad. Was hatte ich eigentlich verbrochen?
Offensichtlich verstand der uniformierte Kollege meine Reaktion falsch, denn ich hörte den Nachsatz: „Willi, ich glaub´ der muss erst mal in die Ausnüchterungszelle. Der Kerl ist so besoffen, dass er schon einschläft.“
„Ich bin nicht besoffen, ich habe überhaupt nichts getrunken“, versuchte ich mich zu wehren.
„Und ich bin der Frosch mit den goldenen Locken“, bekam ich zur Antwort, „aussteigen und hier in das Röhrchen pusten!“
Ich blies in das Messgerät und wie zu erwarten, zeigte es nicht den geringsten Alkoholgehalt an.
„Das gibt´s doch gar nicht“, sagte Willi, „der Kerl stinkt wie eine ganze Fuselfabrik und das Gerät zeigt nichts an! Warten sie, ich hole das andere.“
Doch auch der zweite Test fiel unverändert aus.
„Sagen sie mal, wieso stinken sie eigentlich so nach Alkohol, wenn sie nichts getrunken haben?“
„Ich bin von vier…“, wollte ich mit meiner Geschichte wieder ansetzen, doch besann ich mich im letzten Moment noch anders, „ich bin über vier Kartons mit Weizenkorn gestolpert.“
„Was einem alles so passieren kann“, stellte Willi fest, „dann zeigen sie mir bitte noch ihren Führerschein und die Wagenpapiere.“
„Schatz, wo warst du denn solange?“, fragte mich Silvia besorgt.
„Immer die gleiche Hetze vor Weihnachten, du kennst das ja Engelchen. Der Verkehrskollaps, die vielen genervten Leute, da ist kein richtiges Durchkommen.“
„Schön, dass du für Jonas die Weihnachtsgeschenke besorgt hast, und so viele, da wird er sich bestimmt freuen.“ Plötzlich rümpfte sie die Nase.
„Sag mal, hast du dich mit deinen Saufkumpanen getroffen? Du stinkst wie ein Fass gefüllt mit billigem Fusel.“
Nein, nicht schon wieder, dachte ich, nimmt das denn nie ein Ende?
„Ich habe mit meinen Freunden keinen Zug durch die Gemeinde gemacht. Ich habe wegen der ganzen Geschenke mehrere Kartons mit Weizenkorn übersehen und bin darüber gestolpert.“
„Hauch mich mal an!“
Bereitwillig hauchte ich ihr ins Gesicht. „Gut, ich will dir mal glauben.“
Der Heiligabend am nächsten Tag startete ruhig. Für das Schmücken des Baumes mit Kerzen, Kugeln und Lametta, der Platzierung der Geschenke nahm ich mir besonders viel Zeit. Diesmal sollte alles perfekt werden. Der Duft von frisch gebackenen Plätzchen untermalt von weihnachtlichen Liedern aus dem Radio, all das wirkte nach den Turbulenzen des gestrigen Tages wie Balsam für meine geschundene Seele.
Als Jonas während der Bescherung mit strahlenden Augen seine riesigen Pakete bewunderte, erwachten Erinnerungen an meine frühen Weihnachtsfeiern, ich wünschte mich nochmals zurück in die eigene unbeschwerte Kindheit, mir standen die Tränen in den Augen.
„Oh, geil! Papa, Mama, schaut mal, ein richtiger Werkzeugkasten!“
„Eine tolle Idee, Flo!“. Es ging mir durch und durch, wenn sie diesen Kosenamen benutzte und so gab ich ihr einen liebevollen Kuss. Genauso hingebungsvoll umarmte sie mich. Mit sehnsuchtsvollen Augen schaute sie mich an, immer enger schmiegten sich unsere Körper aneinander.
Sie biss mir ins Ohrläppchen, wie elektrisierend durchdrang mich ihre zitternde Stimme: „Wollen wir uns gleich auf´s Fell vor dem offenen Kamin legen und viele schmutzige Dinge tun…?“
„Mama, wieso hat mir der Weihnachtsmann eigentlich eine Küche geschenkt?“
„Eine Küche?“

„Ja, schau mal, die ganzen Schränke, das Geschirr und so!“
„Florian, was hast Du Dir denn dabei gedacht?“
„Wieso fragst du eigentlich Papa, ich denke die Geschenke bringt der Weihnachtsmann?“
Obwohl bereits zehn Jahre alt, glaubte unser Sohn noch immer fest an die Existenz des Weihnachtsmannes. Bereits zu Nikolaus baute er einen kleinen Tisch auf. Neben seinen Wunschzettel stellte er eine Schale mit Nüssen und einen Becher Saft. Da er am nächsten Morgen einen geleerten Becher mit wahllos verteilten Nussschalen aber nicht mehr seinen Wunschzettel vorfand, bestärkte ihn das bislang in seinem Glauben, obwohl die Erzählungen seiner Schulfreunde schon ganz Anderes verhießen.
„Los, Florian, erklär du es ihm, schließlich hast du ja die Geschenke besorgt!“
„Ja, Jonas, schau mal, das mit dem Weihnachtsmann ist so eine Sache…“
„Haben meine Freunde in der Schule doch recht, dass es ihn nicht gibt?“, seine Augen blickten plötzlich ganz traurig.
Mir schnürte es die Kehle zu, aber es blieb keine andere Wahl.
„Sie haben recht, Jonas.“
„Und wer isst dann die Nüsse und trinkt den Saft?“
„Das haben wir gemacht, weil du so fest an den Weihnachtsmann geglaubt hast.“
„Maamaaa“, weinend lief er in die Arme meiner Frau, „wenn es schon keinen Weihnachtsmann gibt, dann will ich auch keine blöde Küche haben“, schluchzte er.
„Weißt du Jonas“, versuchte ich es noch einmal, „die Hexe in dem Laden, ich meine die Verkäuferin meinte, wir leben nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert und Jungen sollen ruhig auch Hausarbeit lernen…“
„Was ist das denn für ein Blödsinn?“, mischte sich meine Frau wieder ein.
„Das ist eine richtige Küche, extra für Jungen, sie heißt „Happy Boy“.“
“Sag mal, tickst du noch ganz richtig? „Happy Boy“?! Wie sich das anhört! Soll unser Sohn schwul werden? Wahrscheinlich hast du dich von der Tussi um den Finger wickeln lassen, weil sie so dicke Titten hatte? Sieh, was du damit angerichtet hast: Unser Sohn hat den Glauben an den Weihnachtsmann verloren und du schenkst ihm obendrein noch eine Küche, die bestimmt ein Vermögen gekostet hat, eine wahre Meisterleistung, Florian!“
„Mama, was sind dicke Titten?“
„Frag deinen Vater, Jonas, der kennt sich damit am besten aus!“
Am liebsten hätte ich mich in einem Mauseloch verkrochen, just in diesem Moment klingelte es an der Tür.
„Wer ist das denn?“
„Ach ja, ich habe vergessen zu sagen, dass ich eine alte Freundin von mir wieder ausfindig gemacht habe. Weil sie erst vor kurzem hierher gezogen ist, wollte ich nicht, dass sie zu Weihnachten allein ist und habe sie zum Essen eingeladen.“
Als Silvia die Tür öffnete, traute ich meinen Augen nicht.
„Die Hexe!“, schrie ich heraus.
„Der Spinner!“, kam es zurück. Das war zu viel für mich, schreiend rannte ich in mein Büro und schloss die Tür hinter mir ab. Aus der Ferne hörte ich ein unschuldiges Lied: „Oh, du fröhliche…“

Thomas Fischer ist freier Versicherungsmakler und entdeckte im letzten Jahr auf Empfehlung seiner Frau die Freude am Schreiben. Ursprünglich am Niederrhein geboren, verschlug es ihn der Liebe wegen in die kleinste Sprachinsel der Welt, ins Saterland. Er ist seit 33 Jahren begeisterter Flugmodellbauer.

Abbildung: Stefan Bayer  / pixelio.de

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