Früher war alles besser – Der apochromatische Anachronismus, 3. Teil

Im ersten Teil dieser kleinen Serie haben wir uns mit der Photographie als elitäres Hobby humanistisch geschulter Professoren, Ärzte, Apotheker und Künstler befasst. Im zweiten Abschnitt unserer kleinen Reihe ging es um die Entwicklung. Nicht die von Filmen, sondern um die Entwicklung der Photographie zur Fotografie als Hobby für die Massen. Alle guten Dinge sind drei: Auf Film fotografieren, die Dias dann scannen und selbst ausdrucken: Die Renaissance des Heimlabors!

Mein allererstes Foto habe ich am 21. Mai 1970 gemacht. Es war der 30. Geburtstag meiner Mutter…

Ich habe vor einigen Jahren das Foto-Archiv meines Vaters gescannt. Viele Dias waren schon arg ausgebleicht. Aber mit einem guten Filmscanner und Photoshop konnten die meisten Bilder gerettet werden. Dank moderner Technik sehen sie jetzt sogar besser aus als vor 40 Jahren. Wenn meine Eltern in den 60igern „digital“ fotografiert hätten: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die wahrscheinlich kilometerlangen Lochstreifen heute irgendwie auslesbar wären.

... ihre Voigtländer Vito BL von 1956 habe ich seitdem nicht mehr hergegeben.

Wenn Dir diese Argumente immer noch nicht ausreichen, es einmal mit einer schönen, gerne auch alten, Kleinbildkamera und Film zu versuchen: Mach ruhig das selbe Foto zwei Mal. Einmal mit Deiner kompakten, stylischen Digicam und einmal mit einer Kleinbildkamera, die mal in Mark ungefähr das selbe gekostet hat. Das selbe Motiv, der selbe Ausschnitt. Lass beide Fotos auf die selbe Größe abziehen, sagen wir, 13 mal 18 Zentimeter. Lege die Prints nebeneinander. Den Unterschied siehst Du wahrscheinlich auf den ersten Blick: Hier eine eher künstliche Tiefenschärfe über die gesamte Aufnahme. Und dort das Hauptmotiv zwar scharf, doch mit einem angenehmen Verlauf: Vorder- und Hintergrund verschwinden stufenlos in Unschärfe, das Foto wirkt ungemein plastisch, fast schon dreidimensional. Dass der bewusste Einsatz von Schärfe und vor allem Unschärfe eines der wichtigsten Gestaltungsmittel ist, hat man im allgemeinen Digihype lange Zeit vergessen. Geschuldet ist dieser Umstand der ewigen Hatz nach noch kleineren, schlankeren Kameras. Möglich ist die nur, wenn der Sensor sehr klein ist und das Objektiv eine kurze Brennweite hat. Eine Ausnahme sind in diesem Punkt nur Digitalkameras mit einem Sensor, der mindestens das APS-C-Format hat.

Blende auf, Summicron 90 und ein Diafilm in der Leica: Mehr braucht’s nicht...

Und hier schließt sich der Kreis: Du kannst für relativ wenig Kohle das eine tun, ohne das andere zu lassen. Die Objektive von Nikon oder Canon EOS passen sowohl auf die Gehäuse der digitalen, als auch klassischen Kameragehäuse. Man muss zwar, je nach Modell und Objektivgeneration mit gewissen Komfort-Abstrichen rechnen, aber in vielen Fällen ist die Kombination möglich. Die Kameras dazu findest Du im Second-Hand-Fenster von Fachhändlern und natürlich bei Online-Auktionen. Oft bekommst Du eine gut erhaltene Spiegelreflex aus den Achzigern oder sogar Neunzigern für weniger, als ein neues Taschenbuch kostet. Sucherkameras aus den späten 50igern sind oft sogar noch günstiger und haben ein ganz spezielles Flair. Es muss nicht immer die Leica sein. Aber sogar die ist gebraucht mittlerweile durchaus erschwinglich geworden.

Meine erste „richtige“ Spiegelreflex: Nikon FE von 1980. Eine schöne, klassische Spiegelreflex. Kameras dieser Art gibt es heute für wenig Geld. Ein Versuch damit lohnt sich!

Wenn Du Dich ein wenig mit der „Retro-Technik“ befasst, kommst Du damit erstaunlich schnell zu ansprechenden Ergebnissen. Auch wenn Du noch nie eine M-Leica in den Händen hattest, fühlst Du Dich schnell vertraut. Wunderbar ausgewogen, angenehm und satt liegt sie in der Hand, nicht zu leicht und nicht zu schwer. Die Blenden rasten spürbar sauber ein, der geschmeidige Fokussierring und der leise, mechanische Verschluss sprechen vor allem diejenigen an, die lieber einen Chronometer mit Handaufzug Schweizer Herkunft, als eine Digitaluhr aus Fernost am Handgelenk tragen. Sich lieber mit einem edlen Dachs und Rasiercreme einschäumen als zur Dose greifen. Und dann mit einem Fatboy oder Wacker rasieren…
Ergo: Es lohnt sich durchaus, mal wieder die gute alte Kleinbildkamera aus dem Wohnzimmerschrank zu holen. Und wenn Du es nur machst, weil Du das Gefühl genießen willst, wieder mal auf ein Kuvert mit entwickelten Dias im Briefkasten zu warten…
Mit der Leica MP beim Oldtimer Grand Prix am Nürburgring.Ansel Adams, wohl der beste Fotograf, der jemals mit einem Packesel durch den Yosemite -Nationalpark gelatscht ist, hat es einst sehr präzise benannt: Das Negativ (bzw. Dia) ist die Komposition. Die Vergrößerung ist die Aufführung. Genauso wie die beste Sinfonie bei einem uninspirierten Orchester zum Gedudel wird, wird auch ein Abzug aus dem Großlabor nie das exakt wiedergeben, was der Fotograf mit dem Bild aussagen will. Bis vor wenigen Jahren war deshalb ein eigenes Labor der Traum jedes Hobbyfotografen. Heute brauchst Du keine Dunkelkammer mehr. Der PC, ein guter Scanner und ein hochwertiger Fotodrucker schließen den Kreis: Das Beste aus zwei Welten.

Robert Hill, freier Journalist und Fotograf. Kommt eigentlich aus München, wohnt im Taunus. Mag mechanische Uhren und klassische Kameras. Hat es geschafft, im letzten Jahr mehr Kilometer mit dem Fahrrad als mit dem Auto zu fahren.
www.roberthill.de

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12 Antworten zu Früher war alles besser – Der apochromatische Anachronismus, 3. Teil

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  2. AvatarFrank sagt:

    Tja.

    Diafilme gebe ich nur noch meinen Fotoschülern, dass die lernen, vernünftig zu belichten. Mit einer D3 und 1.4er Glas (24, 50, 85) kann ich Deine Katze genau in denm Stil fotografieren und Du kannst mir nachher nicht sagen ob das digital oder analog ist.

    Eine Kompaktknipse mit D3-Sensor und vernüftig durchkorrigiertem 1.4/35mm das wärs. Dafür kauf ich mir aber sicher keine M9.

    Herzliche Grüße

    Dein

    Frank

    • AvatarRobert sagt:

      Lieber Frank,

      wenn Du mir den Tiger noch mal so fotografieren kannst, meine Frau setzt Dir ein Denkmal. Garantiert. Aber das ist ein anderes Thema.

      Dass dieser Schärfeverlauf mit einer Digital-Kamera möglich ist, die mindestens einen APS-C-Sensor hat, steht ja im Text.

      Die von Dir gewünschte Kompakt-Knipse gibt es (fast). Schau Dir mal die Samsung NX 100 an. Gibt’s bei Amazon recht günstig. Hat einen APS-C-Sensor der bis ca. ISO 800 sehr gut, bis 1.600 ordentlich funktioniert.

      Das mitgleieferte Kitobjektiv hat sogar Linsen mit ED-Glas, bildet für die Preisklasse sehr gut ab. Und mit Adaptern kannst Du alle Deine Nikon-Objektive draufsetzen.

      Kostenpunkt: Wenn Du Dich beeilst, € 259,00 inkl. 20-50 Zoom

      • AvatarKlaus Schneider sagt:

        Habe mir die NX100 bestellt. Gleich mit 2/30 Keks. Ich bin gespannt.
        Ich denke m43 ist gleichwertig, aber mit weniger Freistellpotenzial und bei den Objektiven teurer.

  3. AvatarHelmut Stettin sagt:

    Hallo Robert,
    sicher kann man nostalgisch schwärmen. Ich halte alle Plädoyers für den Film, egal ob Dia- oder Negativfilm, für Schwärmerei. Wenn ich unbedingt Filmkorn brauche, um mich von den digitalen Fotografen abzuheben, kann ich das auch in die Datei einpflegen. Eines ist unbestreitbar- die für die Leica gebauten Objektive sind excelllent, jedoch für den alltäglichen Gebrauch im Profi-Alltag kaum bezahlbar, also bleibe ich bei meinen bewährten ( seit 35 Jahren) Nikon und später Sigma- Objektiven. Lieber Gruß
    der Helmut

  4. AvatarRolf sagt:

    Robert,
    nachdem ich digital mit der Canon fotografiere und sich einige Objektive für dieses System angesammelt hatten kaufte ich irgendwann für 150 Euro ein Canon EOS 3 Gehäuse in neuem Zustand.
    Als alter Leica R8/R9 „gebeutelter“ eine Offenbarung!
    Mittlerweile habe ich mich auch von meiner R 6.2 getrennt und statt dessen mir noch ein (fast) neues EOS 3 Gehäuse zugelegt.
    Es wird nicht das letzte sein bei den Preisen.
    Meine Canon Vergrößerungen an der Wand können sich durchaus mit den Leica Bildern messen.
    Ein Kühlschrank voll HP 5, Delta 100, Fuji Neopan ACROS, Neopan 400 und 1600,
    ein paar Gebinde Sulfit, Metol und Borax – was braucht man mehr?

    Und so viel zum Thema Katzen:
    http://www.rolfadam.de/cats.htm
    http://www.rolfadam.de/wik.htm

    Gruß aus Köln
    Rolf

    • AvatarKlaus Schneider sagt:

      Die EOS 3 ist eine super Kamera.
      Ich habe zwei davon, nutze aber nur noch eine gelegentlich.
      Den AF der EOS 3 hätte ich gerne in der 5D.

  5. AvatarThomas Fischer sagt:

    Hallo Robert,
    ehrlich gesagt, bin ich mir nach wie vor nicht schlüssig, worauf Du eigentlich hinaus willst. Im ersten Beitrag hast Du Dich über den inflationären Umgang mit den Digitalkameras geäußert, im zweiten über die technische Entwicklung und nun brichst Du eine Lanze für die Verquickung der alten mit der neuen Technologie. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass es letztlich darauf ankommt, was man daraus macht. Selbst bei der Kombination aus alter und neuer Technologie werden die Ergebnisse kaum besser, wenn die grundlegenden Kenntnisse z. B. der Bildgestaltung fehlen.
    Ein schlechter Wein wird auch nicht daduch besser, dass er mit gutem aufgefüllt wird.

    Gruß

    Thomas

    • AvatarRobert sagt:

      Thomas,
      schau Dich mal auf einer größeren Familienfeier um: Ein Drittel der Gäste knipst wie wild mit Digicams oder dem Handy, das zweite Drittel zeigt dem Rest die „Fotos“, die sie grade gemacht haben. Und das Ganze reihum und wild durcheinander. Lediglich ein paar gelangweilte Teenies hocken in der Ecke und schreiben SMS…
      Ich habe nix gegen digitale Fotografie. Nur etwas gegen die inflationäre Herumknipserei.

      Wer es gelernt hat, mit Bedacht zu fotografieren, kann das mit jeder Kamera.

      Man kann ja das eine tun, ohne das andere zu lassen. Beide Systeme haben ihre Berechtigung. Die Gründe „Pro Film“ habe ich in meiner kleinen Trilogie versucht darzulegen.

      Der Rolf hat das schon ganz richtig erkannt…

      Grüße, Robert

  6. AvatarRonald sagt:

    Photographieren ist Malen mit Licht. Film oder Sensor sind die Leinwand. Wenn mir nun jemand sagt, er könne mit einer tollen Software eine Leinwand digital simulieren, hat er das Prinzip Photographie nicht verstanden. Einen Malgrund zu simulieren, ist eine grobe Täuschung der Sinne, die ein geschultes Auge im richtigen Leben nur selten durchgehen lässt. Es bleibt auch ein Unterschied, ein Dia oder eine Datei an die Wand zu werfen, ebenso ist ein Tintenstrahlausdruck (so gut er sein mag) eben kein Print alter Schule. Klar kann man das ganze Leben simulieren, aber es bleibt dann eben nur ein mehr oder minder komplexes Videospiel.

    Mich hat bisher noch kein Digitalphotographen von einem im Chemie-Labor (= Photoshop) zusammengemischten Wein überzeugen können. Warum wohl nicht? 😉

    • AvatarRonald sagt:

      Soll natürlich „Digitalphotograph“ heissen und ich bin auch oft einer, aber wenn´s um „Wein“ geht, trinke ich lieber „analog“ 😉

    • AvatarKlaus Schneider sagt:

      Warum wohl nicht?
      Eine Frage ohne Antwort….

      Ein Ausdruck ist kein Abzug alter Schule. Manchmal schlechter, machmal besser.

      Ich finde es schon gut, wenn jemand überhaupt das digitale Bild zu Papier bring, denn auch hier wird die massenhafte Beliebigkeit von digitalen Aufnahmen durchbrochen. Weil es etwas kostet, Geld und Mühe.

      Ich habe noch bis vor zwei Jahren fast ausschließlich analog fotografiert.
      Die Drucke von digialen Aufnahmen sind viel besser als bezahlbare Abzüge von Analog.

      Bei SW mag das anders sein, wenn man selbst verarbeitet. Das ist dann eine Passion für den der es will und kann.

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