Früher war alles besser – Der apochromatische Anachronismus, 1. Teil

Privat fotografiere ich immer noch am liebsten auf Diafilm. Wenn jemand überhaupt bemerkt, was ich da zum Knipsen in den Händen halte, ernte ich meist verständnislose Kommentare. „So was hatte mein Opa auch mal“ ist noch eine freundlich Version. „Ob denn das digitale Zeitalter völlig an mir vorbeigezogen ist?“

Diese Zeiss-Ikon habe ich aus dem Naschlass einer Ärztefamilie. Der Herr Doktor ist damit in den 10er und 20iger Jahren des letzten Jahrhunderts durch Bayern gewandert und hat seine Eindrücke vom Leben in Stadt und Land auf Glasplatten belichtet.

Nicht ganz. Denn im beruflichen Umfeld fotografiere ich mittlerweile ausschließlich digital. Digital? Was heißt das eigentlich? Digital, abgeleitet vom lateinischen „Digitus manus“ bedeutet nichts anderes als „Finger“. Und war bei den alten Römern ein Zählmaß. Soll das etwas bedeuten, digital ist das einzige, das wirklich zählt?
Fakt ist: Ob die Aufnahme nun auf Film oder Chip belichtet wird, ist den Photonen reichlich egal. Und dennoch ist es eine ganz andere Vorgehensweise.
Wer auf Film fotografiert, sieht das Ergebnis der Belichtung erst nach der Entwicklung. Das mag in vielen Fällen ein Vorteil der elektronischen Bildaufzeichnung sein. Weil man da das Foto sofort nach der Aufnahme sehen kann. Aber was passiert meist wirklich? Weil es ja nix kostet, wird auf „Teufel komm raus“ solange Datenmüll produziert bis die Speicherkarte voll ist. Die Zeiten, als eine 128 MB-Compact-Flash-Card noch fast 900 Mark gekostet hat, ist ja längst vorbei. Bitte ja nie Freunde um ein paar Fotos, beispielsweise weil Du Dir ein Bild von einem Urlaubsort machen möchtest, den diese schon besucht haben und man selbst mal gern hin möchtest: Du wirst garantiert überschwemmt mit hunderten nichtssagender Fotos. Warum?

Oma und Opa beim Hochzeitsfoto

Weil früher alles besser war. Die Blumen bunter, Tomaten schmeckten nach Tomaten, die Winter waren kälter und die Sommer heißer. Auch wenn gerade dieser Punkt mit der Hitzewelle im Frühjahr 2011 eindrucksvoll widerlegt wurde…
Von Fotos vergangener Tage geht oft eine nicht in Worte zu fassende Faszination aus. Da strahlt Oma mit den Kulleraugen eines Kleinkinds in die Kamera, Urgroßvater sieht aus wie Kaiser Wilhelm höchstpersönlich und präsentiert stolz seine Familie, den Hof und alles was dazugehört. Der Stimmung des Handabzugs auf kartonstarkem, chamoisfarbenem Barytpapier, kann man sich schwer entziehen. Woran liegt das?

Steig mit ein in unsere Zeitmaschine!

Klettern wir also in die Zeitmaschine und reisen zurück in die Zeit, als dieses Foto entstanden ist. Fotoapparate waren groß und kompliziert zu bedienen. Die Verschlusszeiten lagen manchmal auch in praller Sommersonne jenseits der Sekundengrenze. Deshalb wirken die Portraitierten auch meist etwas steif. Der Herr Fotograf reiste wie ein Wanderzirkus von Ort zu Ort, die gesamte Ausrüstung samt Labor auf dem Pferdewagen. Die wenigen Amateure, die sich die Kunst der Photographie leisten konnten und über das nötige Wissen verfügten, waren fast ausschließlich Ärzte. Oder Apotheker, Optiker, Künstler. Sie hatten die alten Meister studiert und wussten über den Bildaufbau genauso gut Bescheid wie über die technischen und chemischen Zusammenhänge. Das neue Medium nutzten sie, um Bilder zu gestalten. Entsprechend wohlüberlegt gingen sie vor, als sie ihre Motive auf die teuren Glasplatten belichteten.

Der Fotograf kommt! Meine Oma und ihre Schwestern bei der Hausmusik (um 1915)

Fassen wir zusammen: Es war teuer, technisch anspruchsvoll und mit viel Schweiß verbunden, bis das Foto „im Kasten“ war.

Im zweiten Teil dieser dreiteiligen kleinen Serie geht es um die Entwicklung. Nicht die von Filmen, sondern um die Entwicklung der Photographie als elitäres Hobby humanistisch geschulter Professoren zur Fotografie als Hobby für die Massen.

Robert Hill, freier Journalist und Fotograf. Kommt eigentlich aus München, wohnt im Taunus. Mag mechanische Uhren und klassische Kameras. Hat es geschafft, im letzten Jahr mehr Kilometer mit dem Fahrrad als mit dem Auto zu fahren.
www.roberthill.de

 

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16 Antworten zu Früher war alles besser – Der apochromatische Anachronismus, 1. Teil

  1. AvatarFrank sagt:

    Hi Robert!

    Bisschen dünnes Brett das Du da bohrst, oder?

    Diafilm gut und schön. Entwickelst Du den selber oder hast Du ein zuverlässiges Labor, das E6 anbietet (K14 wurde weltweit eingestellt, Kodachrome ist für die Mülltonne)?

    Ich sehe keinen Vorteil mehr in Dias, von denen ich Zigtausende geschossen habe.

    Mit Ruhe und Sorgfalt ein JPEG fotografieren mit einer guten Optik und sorgfältigen Einstellungen an der Kamera, ja, einen Schwarz-Weiß-Film belichten und selber entwickeln? Ja, am besten direkt in 4×5 mit der Laufbodenkamera oder der Monorail, alles gut. Aber Dia? Miese Empfindlichkeit, Staub, Korn, geringe Dichte, nä. Ich nimmer.

    Frank

    • AvatarRobert sagt:

      Hi Frank,
      warte Teil 2 und 3 ab. Und ja, es gibt z.B. Photo Studio 13 oder Martincolor. Die entwickeln immer noch einen tollen E6-Prozess…

      Wenn schon digital, dann bitte raw. Ein jpeg out of cam ist doch nur was für Pfuscher :)…

      Robert

      • AvatarHorst-Walter Schwager sagt:

        Wenn schon digital, dann bitte raw. Ein jpeg out of cam ist doch nur was für Pfuscher

        ??
        ….oder für Leute, die unter Zeitdruck produzieren und bei denen JPEG für 2-3-spaltigen Zeitungsdruck ausreicht. Beispile gestern: Pressetermintermin 15 Uhr, Redaktionsschluß 16:30 (inklusive Text!).

  2. AvatarHolger sagt:

    „Wenn schon digital, dann bitte raw. Ein jpeg out of cam ist doch nur was für Pfuscher“

    Da hast Du recht!
    Grüße Holger

  3. Pingback:Früher war alles besser – Der apochromatische Anachronismus - Leica User Forum

  4. AvatarGert Globas sagt:

    War bis vor Kurzem noch überzeugter „Analog-Anhänger“, habe selbst entwickelt und vergrößert. Aber das Fotografieren mit meiner M9 hat mich bekehrt. Ich schätze die großen Vorteile der Digitalfotografie, wie Weißabgleich, ISO-Einstellung, sofortige Bildkontrolle usw., und habe das Denken beim Fotografieren bis jetzt noch nicht nicht verlernt.
    Auch stehe ich nicht mit sehnsuchtsvollem Blick vor meinem Focomat. Die digitale Bildbearbeitung, maßvoll angewandt, schätze ich.
    Raw für mich, besonders wenn ich mir einbilde, etwas Besonderes zu machen, jpeg für die Verwandtschaft.
    Aber ich bin kein Profi.

  5. AvatarHorst Seidel sagt:

    Hallo Robert,
    mir ist das Ganze Analoge durchaus noch in guter Erinnerung, und ich stimme auch durchaus mit dem Grundtenor der sorgfältigen Bildgestaltung überein.
    Ob jemand nur draufhält oder überlegt was er tut, liegt wohl an jedem selbst.
    Leider fehlen den meisten Digiknipsern heute die fundamentalen Grundkenntnisse der Fotografie.
    und man glaubt ja wohl auch, dass diese unnötig seien.
    War fotografieren nicht mal ein 3,5jähriger Lehrberuf.

    Dies alles hat wohl aber nichts mit dem verwendeten Medium analog oder digital zu tun,
    sondern liegt wohl eher am Zeitgeist, schneller, größer, weiter usw.

    Mir persönlich ist es relativ egal, ich mache mein Ding so wie ich es für mich als befriedigend finde.
    Nur ich habe den Vorteil, ich muss nicht davon Leben………. 🙂

    Gruß
    Horst

  6. AvatarMatthias sagt:

    „Fassen wir zusammen: Es war teuer, technisch anspruchsvoll und mit viel Schweiß verbunden, bis das Foto „im Kasten“ war.“

    ändere ich

    Fassen wir zusammen: Es ist teuer, technisch anspruchsvoll und mit viel Schweiß verbunden, bis das Foto auf dem Drucker liegt.

    Gescheite digitale Kameras kosten heute immer ein Schweinegeld. Die wesentlich kürzeren Produktzyklen verleiten gerade ambitionierte Hobbyfotografen zu nicht unbeträchtlichen Subventionierungen notleidender Kamerahersteller.
    Das technische know-how hat den Schwerpunkt Richtung digitaler Nachbearbeitung verschoben, mit dem sich mancher Schnitzer während der Aufnahme beheben läßt. Das sitzen am Bildschirm ist nichts für mich, aber wer es mag.

    Bezeichnend finde ich, daß Beiträge, die daran erinnern, daß man auch im ‚analogen Zeitalter‘ gute und anspruchsvolle Dias machen konnte, von einigen Zeitgenossen in Frage gestellt wird. Staub? Gibt es auch auf den Sensor. Mit externen Belichtungsmesser gelingen in der Regel die Bilder. Wenn man dann eine Mamiya 7 hat, darin ein Velvia, dann kommen später plastische Bilder an der Wand zum Vorschein, die vor Zeichnung nur so strotzen. Brauch man das immer? Nein. Aber es macht mir Spass. Genauso wie meine Digi.

  7. AvatarThomas Fischer sagt:

    Hallo Robert,

    so ist das halt mit der Technik, es kommt immer darauf an, was daraus oder damit gemacht wird. Ob früher alles besser war, wage ich allerdings zu bezweifeln, die Menschen waren genauso wie heute. Das Leben ist hingegen viel komplizierter geworden, weil wir uns immer mehr von einer Technik abhängig machen, die kaum noch jemand versteht. Heutzutage ist es ja nicht einmal mehr möglich, ein Telefon in Betrieb zu nehmen, ohne irgendwelche Installationen vorzunehmen.

    Gruss
    Thomas

  8. AvatarHorst-Walter Schwager sagt:

    Das ist ein wirklich toller Artikel – sage ich neidlos
    als ebenfalls-Journalist/Photograph. Der dieses Wort
    bewußt weiter so schreibt. Und dem der alte Begriff
    „Lichtbildner“ noch viel besser gefällt. Der Maler benutzt
    Pinsel und Farben, der Bildhauer Hammer und Meißel und wir eben Licht.
    Daß dieses Malen mit Licht Bildgestaltung bedeutet, dem
    eine Idee vorausgehen muß, was man eigentlich mit dem Bild
    sagen will und daß danach erst der ganze Technikkram (u.a.
    Objektivauswahl) kommt – dieses Wissen ist bei Vielen, die
    die Digitaltechnik nur zum „draufhalten“ nutzen, untergegangen.
    Beziehungsweise konnte sich nie entwickeln.

    Einher geht dies übrigens mit eine stark abnehmenden Wertschätzung, besser gesagt Geringschätzung der Photographie im allgemeinen! Wenn man auch mit irgendeiner Knipse ein Ereignis/Motiv „ablichten“ kann, wozu dann noch die Dienste eines professionellen Photographen in Anspruch nehmen? Wieso will der überhaupt Geld für seine Bilder haben? Sind doch bloß Digitalfiles! Unausgesprochenes Motto: „Das kann ich auch…“ Geiz ist geil? Ja: Im Oberstübchen all derer, die sich nie mit dem Wesen dieser Kulturtechnik auseinander gesetzt haben, aber dennoch meinen, munter mitreden zu können.

  9. AvatarRonald sagt:

    Privat …. sammle ich unentwickelte Diafilme.

    Diese Freude, liebe Mitmenschen nicht in ewig langen Diashows quälen zu müssen, ist einfach unbezahlbar. Obendrein erspare ich mir die Entwicklungskosten und die Zeit für das nervige Scannen (alle fragen nach einer DVD).

    Das Filmeinlegen in eine Leica M3 oder IIIa und das Zelebrieren der Belichtung sind mir Therapie genug 😉

  10. AvatarHeiko sagt:

    … ja die guten analogen Zeiten. Velvia50 war mein liebster. Und auch heute nehme ich mir manchmal noch den Yashica Mat und mache etwas in 6×6 auf Dia. Schon anders.

    Ich merke bei jeder Digitalen, dass ich weniger Zeit vor dem Foto auf Standort, Brennweite etc. verwende. Einfach mal ein paar machen. Ansehen, auswählen… geht ja nachher noch.

    Für mich habe ich jetzt gerade (http://www.the-impossible-project.com sei Dank) ab und zu wieder mit einer alten Balgen Polaroid (107er Film, 220Kamera) unterwegs. Das macht im Vergleich zu Digi dann mal wieder richtig Laune.

  11. AvatarFrank sagt:

    RAW? Schieße ich als Backup mit und für andere Zielformate. Die Kunst besteht m.E. darin, das JPEG direkt richtig hinzubekommen. Dazu ist mindestens so viel Sorgfalt notwendig wie früher für Dias, die auch bereits auf 1/3LW sehr deutlich reagieren.

    RAW ist für Pfuscher und Nichtskönner, die regelmäßig Bilder beim Belichten so versauen, dass sie sich nur noch auf diesem Umweg retten lassen. RAW ist das Netz und der doppelte Boden, den man als Profi braucht, auch wenn man sich vielleicht nur alle 50.000 Auslösungen mal richtig verhaut.

    Um meinen Schülern klarzumachen, warum eine präzise Messung und Belichtung notwendig ist, schicke ich sie mit Diafilm los.

    Das wichtigste, nämlich das korrekte Einmessen / Einstellen des Weißabgleichs und der Belichtungskorrektur für die Bildanmutung in verschiedenen Situationen, lernen sie dadurch nicht. Das kann man nur mit eine guten Digitalkamera lernen, die das tut, was sie laut Spezifikation tun soll, z.B. die Nikon D3(s).

    Von digitalen Krücken wie der D70 und die D7000, die nicht immer spezifikationsgemäß arbeiten, braucht man die RAWs, um auch ein korrekt belichtetes und weißabgeglichenes Bild zu „retten“.

    Mit Diafilm habe ich zwei Weißabgleiche, die der Hersteller mir vorgibt. Was für eine „Freiheit“! Haha!

    Das Geheimnis des magischen Bildes ist a) das magische Licht, b) der Fotograf, der das Licht sehen kann und c) die magische Optik, wie das Nikkor 1.4/24G zu Beispiel:

    http://farm3.static.flickr.com/2787/4521291377_6b216bcf64_o.jpg

    Mit Film oder nicht Film hat das gar nichts zu tun.

    Film ist pure Lust an der Nostalgie (bis auf Schwarzweiß natürlich) und sonst gar nichts.

    Frank

    • AvatarRobert sagt:

      Frank,
      tu doch nicht so, als wenn Du den Unterschied im Dynamikumfang von jpeg und raw nicht kennst…
      Im beruflichen Umfeld fotografiere ich ja auch zu 100% digital. Mir geht’s in der kleinen Trilogie rein um den Spaß an der Freud’…

      Liebe Grüße und allen herzlichen Dank für Eure Kommentare!

      Robert

  12. AvatarFrank sagt:

    Dias schauen? Wie peinlich ist denn das und war es schon immer? Nicht gegen Herrn Martin undf andere und deren AV-Abende, ich meine hier Tante Ernas Mallorcaurlaub.

    Bildpräsentation bitte immer auf Papier, dann aber auch richtig ab 20×30 aufwärts und in einem richtig guten Labor wie dem hier: http://fc-prints.de

    Dann erledigt sich die „Länge“ der Diaschau nämlich auch von alleine, wenn der Quäler mehr als ein Euro pro Schuss zahlen muss, bevor er jemand damit quälen kann.

    Frank

  13. AvatarFrank sagt:

    Was ich richtig vermisse ist der Polaroid 55 als Blattware für meine Sinar. Der war einer der Gründe mir die Sinar überhaupt zu kaufen. Heute mache ich Lebensmittelbilder und andere Produktfotos damit. Auch geil, aber:

    Ich wollte mich mit Sinar/P55 in die Fußgängerzone stellen und Straßenporträts machen.

    Hoffentlich bringt Impossible irgendwann den P55. Das ist der einzige Polafilm, der mich wirklich interessiert.

    Frank

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