Überleben im Dschungel der Großstadt: Im Lesecafé

Romantische Lektüre im Lesecafé

Huhu, hallihallo, da bin ich doch letztens in diesem lustigen Lesecafe gelandet. Zumindest dachte ich, dass es eines ist. Ich hatte Schopenhauers „Aphorismen zur Lebensweisheit“ unter dem Arm und wollte jemanden finden, mit dem ich über das Gleichnis mit den Stachelschweinen und ihre treffende Illustrierung der modernen Gesellschaft und der Interaktion der Menschen untereinander diskutieren könnte.

CP Club – Caesars Palace – komischer Name für ein Lesecafe, dachte ich erst, aber nun gut, vielleicht treffen sich hier die Historiker – wegen Cäsar, römischer Kaiser und Feldherr und so, haha. Egal, einfach mal reingehen, ein wenig interdisziplinärer Gedankenaustausch hat noch nie geschadet, ich bin für alles offen.

Das Reinkommen jedoch war gar nicht so einfach, stand da doch vor dem Eingang dieser Mann, breit wie hoch, musterte meinen Strickpulli mit dem Elch vorne drauf und meinen Büchertornister auf dem Rücken etwas finster, ließ mich dann aber doch eintreten, nachdem ich ihm meinen Ausweis von der StaBi (Staatsbibliothek) gezeigt habe.

Komisch, dachte ich, die Bücher muss man hier wohl selber mitbringen, denn im Innenraum lag kein einziges aus, Regale sah ich auch keine, aber ich habe ja zum Glück daran gedacht, meinen Schopenhauer in der kleinen Reclam-Ausgabe mitzubringen.

Dieses komische eigenwillige rote Licht überall störte zunächst etwas beim Lesen, aber ich habe ja – toi toi toi – immer diese kleine Taschenlampe dabei, die ich vom Wagenbach Verlag geschenkt bekommen habe, damit ich zu Beispiel zuhause in meinem Bettchen unter der Decke noch etwas lesen kann, ohne dass Mama was merkt. Laut war es aber auch und überall saßen Leute, zwischen denen Frauen in Unterwäsche saßen. Das lenkte mich doch etwas vom Lesen ab.

Da saß ich nun und nirgendwo ein Historiker zu sehen. Glücklicherweise haben sich kurze Zeit später Angelique und Vanessa zu mir gesellt. Leider wollten sie nicht mit mir über Schopenhauer diskutieren, sondern wie es mir geht, ob ich mich wohlfühle und ob sie etwas für mich tun können. Das fand ich sehr nett, aber leider hat mich der Debattierclub meiner Schachgruppe auf diese Art der Konversation nicht vorbereitet und ich konnte den Damen inhaltlich nicht weiterhelfen. Ich versuchte es daraufhin mit Nietzsche und Adorno, aber auch das fand keinen Widerhall, die beiden wollten immer nur wissen, was ich so mache, wo ich herkomme und ob ich eine Freundin habe. Als ich es hilfsweise mit Wittgenstein versuchte meinte Vanessa, dass da „letztens so ein Typ da war, der irgendwie so hieß, aber mit dem nix los war. Verklemmt oder so.“ Komisch.

Angelique meinte irgendwann, ich solle Champagner für alle bestellen, aber ich wollte nicht, weil Mama sagt immer, ich darf sowas nicht trinken – wegen meinem Ausschlag. Als ich daraufhin meine Capri Sonne aus dem Tornister holen wollte, meinte Vanessa, dass ich doch lieber etwas bestellen solle. Das mache man hier so.

Also hab ich Bananensaft bestellt. Schmeckt ja auch besser und ist gesund.

Mit Angelique auf dem Schoß, die ihr Hinterteil – wahrscheinlich war es für sie etwas unbequem – dauernd an mir rieb, kam ich dann doch noch ins Gespräch mit einem düsteren Herrn mit schwarzem Hemd und Lederjacke, der neben mir saß: „Na Kleiner, was hat dich denn hierher verschlagen?“

„Ich bin gekommen um zu lesen.“

„Huh…?“

„Ja, das ist wirklich ein lustiges Lesecafe. Aber warum ziehen sich die Frauen hier nicht was an? Und wozu ist diese Stange da in der Mitte gut?“

„Da gibt es gleich wieder Stangentanzen, mein Junge, das ist im Übrigen auch kein Lesecafe, sondern ein Nachtclub.“

„Nachtclub? Sowas gibt es in Berlin? Ich hab auf Arte mal eine Dokumentation über Hamburg gesehen, aber nie gleichartiges über Berlin.“

Immer für ein gutes Buch zu haben

„Puh, ja, wobei, lass es mich mal so sagen: Berlin ist ja in Sachen Nachtclubs eher eine Trockenpflaume, da gebe ich dir Recht. Da gibt es reihenweise heruntergekommene Bars in finsteren schummrigen Ecken der eher weniger privilegierten Kieze in Wedding oder Moabit – betrieben von fiesen Verbrechervisagen -, in denen man nichts, aber auch gar nichts anfassen möchte und wo nur selten jemand auf den schmierigen Tables danct, sondern sich die fürchterlich überschminkten Damen – vorwiegend aus Osteuropa hierher verbracht – wahlweise gelangweilt oder verschüchtert auf den verkeimten Barhockern lümmeln und halbherzig – weil zu offensichtlich gezwungen – nicht einmal versuchen, so etwas wie prickelnde Erotik aufkommen zu lassen und man bis in die kleinste Haarspitze überall fast greifbar den Druck des Luden in ihrem Nacken spürt- kein Leuchten in den Augen, kein Lächeln – einfach nur abgestorbene Träume auf zwei Beinen – echt mal: Wer so etwas anziehend findet hat kein Herz.“

„Oha, ein schöner Schachtelsatz, haben Sie Lust, bei unserem Debattierclub mitzumachen?“

„Haha, nee lass man, Junge. Aus dem Debattieralter bin ich raus.“

„Na gut. Aber was Sie so erzählt haben über Wedding und Moabit: Hier ist das doch nicht so, oder?“

„Nee, hier ist das wohl ein wenig anders, das ganze Konzept scheint ein anderes zu sein. Die Damen sind alle offenbar freiwillig hier, verdienen gut, sprechen ausgezeichnet deutsch und haben sichtbar Spaß an der Sache – stilvolle Entspannung macht sich breit, sag ich nur.“

Angelique warf ein: „Ich kann für dich tanzen wenn du magst, ein schöner Privat Dance im Separee.“

„Komm Kleiner, ich geb dir einen aus, du siehst aus als ob du schon lange auf etwas wartest, was deinen Gordischen Knoten zum Platzen bringt.“

Nach dem Aufenthalt im Separee, während dem mir Angelique alle ihre Körperteile aus der Nähe vorgeführt hat, machte sich eine ungewohnte Ruhe und Zufriedenheit in mir breit, Schopenhauer war plötzlich ganz weit weg und auch die Historiker vermisste ich nicht mehr. Irgendwas war passiert.

Der düstere Mann mit der Lederjacke holte mich jedoch jäh aus meinen Träumen:

„So weit – so gut. Ich sehe du bist entspannt. Nun, ich sag ja: Der äußerliche Eindruck von dem Laden ist echt abschreckend – heruntergekommener unsanierter Altbau und sieht auf den ersten Blick aus wie so eine üble Kaschemme in Wedding oder Moabit, aber hier drinnen erste Sahne. Vom Feinsten. Trinken wir einen Champagner?“

„Äh was kostet der denn?“

„Naja, 150 Euro meine ich, aber den kannst du immer auch problemlos ablehnen, hier zwingt dich keiner und die Stimmung rauscht auch nicht in den Keller deswegen. Aber du hast Recht: Ich für meinen Teil würde die 150 auch lieber in der Unterwäsche deiner talentierten Angelique versenken. Die sind gut angelegt.

Vanessa, kommste mal rüber zu mir? Mit zweien von euch ist der Junge am Anfang doch etwas überfordert.“

Am nächsten Tag, kurz vor meinem 30. Geburtstag, bin ich bei Mama ausgezogen.

In der Serie “Überleben im Dschungel der Großstadt” begibt sich mike-o-rama für uns in die Wildnis Berlins und testet ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit Imbiss-Buden, Fast-Food-Restaurants, Supermärkte und Orte, die nie ein zurechnungsfähiger Mensch gesehen hat. Seine Berichte erscheinen auch auf dem Bewertungsportal qype.de.

Fotos: tokamuwi/pixelio.de

Markiert mit Berlin, Friedrichshain, Nachtclub.Speichern des Permalinks.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Bitte nicht wundern: nach dem Absenden verschwindet Dein Kommentar einfach und wird erst nach Freischaltung durch uns sichtbar -- also nicht mehrfach absenden!