Der coole Charlie

Jetzt steht er im Hemd da.

Seit Tagen wehre ich mich dagegen, etwas über Charlie Sheen zu schreiben. Weil letztlich nur eine moralinsaure Epistel dabei herauskommen kann, und sowas les ich nicht gern, und daher schreib ich‘s auch nicht gern. Nur Kerle wie Schopenhauer haben gern moralinsaure Episteln geschrieben, aber Schopenhauer hätte auch nach zwei, drei Minuten „Two And A Half Men“ nach 3sat oder arte rübergezappt.
Womit wir beim Thema wären. Fast alle Kerle mögen Charlie Sheen, bzw. die Rolle, die er in „Two And A Half Men“ spielt: Den Werbejingle-Komponisten Charlie Harper, der einen unglaublichen Schlag bei der Damenwelt hat, dem in jeder Situation ein cooler Spruch einfällt, der dazu steht, dass er schon mittags gern ein Bierchen einpfeift…
Charlie Sheen selber ist diesem Charlie Harper ziemlich ähnlich. Auch Sheen hat Schlag bei den Mädels, klopft gern lockere Sprüche und feiern geht er auch gern. Allerdings etwas heftiger als Harper.
Sheen ist alkoholkrank und hat regelmäßig Koks genommen, auch von anderen Drogen war die Rede, er ist mehrfach, wenn er hackedicht war, gegen Frauen gewalttätig geworden, wer’s genau wissen will, kann’s ja auf Sheens Wikipedia-Seite nachlesen.
Vor ein paar Wochen hat er (wieder paar Bier, bißchen Koks) ein Hotelzimmer zerlegt, eine Dame vom Escort-Service hatte sich in den Schrank verzogen, während Charlie die anderen Möbel neu designte. „Macht nix, bei der Arbeit bin ich stocknüchtern“, tönte Charlie, kehrte auf den Set von „Two And A Half Men“ zurück, lieferte ein, zwei Folgen ab und gin auf Entzug. Die Show wurde ausgesetzt, und, nachdem er ein Interview gegeben hat, indem er einige sehr, sehr unschöne Dinge über einen der Producer gesagt hat, vorläufig gecancelt.
Bei Facebook, Twitter und anderswo macht sich gerade die Ansicht breit, Charlie Sheen wäre den Leuten bei Warner’s oder sonstwo nicht „pc“ genug, es wäre eigentlich „vollkommen okay“ was er macht und sagt etc,. Charlie ist einfach ein Kerl, der hart arbeitet, das gute Leben genießt und genug Geld verdient hat, um kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn er ihn denn aufmacht.
Bullshit. Charlie Sheen ist eine arme Sau. Charlie Sheen ist nicht der erste drogen- und/oder alkoholkranke Schauspieler, den ich vergehen sehe. Erinnert sich noch wer an Harald Juhnke? Als er damals mit der Sechzehnjährigen ins Kempinski einzog, Pressekonferenzen im Bademantel gab und erhellende Sätze wie „Ich sauf mich tot wie Dean Martin“ sagte? Da hat die Presse auch berichtet, als gäbe es kein Morgen und einen kranken Mann als „dollen Hecht“ verkauft, um Auflage und Quote zu machen. Sheen ist Juhnke reloaded.
Und ihr, die ihr das so toll und cool findet, was der gute Charlie alles sagt: geht doch mal zu tmz.com, der Klatschseite, die von Sheen und seinen Eskapaden zu leben scheint, lest euch die Interviews durch bzw. hört sie euch gut an. Das ist weder cool noch toll, was Charlie Sheen zu sagen hat. Sondern einfach nur wirrer, an den Haaren herbeigezogener Scheiß.
Charlie Sheen hat keine Autoren mehr, die ihm die Pointen texten. Charlie Sheen trägt nur noch sich selbst zu Markte, und das ist nicht mehr viel. Das ist nur noch traurig.
Deshalb wollte ich diesen Text nicht schreiben. Weil ich Charlie Sheen wirklich mag. Den Charlie Sheen, der Charlie Harper spielt. Nicht den Charlie Sheen, der das spielt, was mal Charlie Sheen war.

Foto by Lachlan Hardy (under Creative Commons License)