Überleben im Dschungel der Großstadt: Albtraum in Penisform

Ein Albtraum wird wahr

Der Kings Bratwurststand auf dem S-Bahnhof Frankfurter Allee hat ein offenkundiges Problem mit seiner Wurst. Obwohl der Bahnhof hinsichtlich der Passagierzahlen vor Kraft kaum gehen kann, da sich hier die wichtige Linie der U 5 und die auf dem Ostring verkehrenden S-Bahn-Linien kreuzen, haben die Würste in diesem Büdchen offenbar eine relativ lange Liegezeit, was man ihnen schon von weitem deutlich ansieht. Gefühlte Millionen Menschen laufen jeden Tag daran vorbei und wollen dort keine Wurst kaufen, obwohl die Werbetransparente immer größer und schriller werden.

Woran liegt das? Nun, das Kings steht ganz klar vor dem Dilemma,

1. bereits fertig gegrillte – aber nicht direkt am Optimalpunkt verkaufte – Würste konsequent wegzuschmeißen,

2. die fertig gegrillten Würste erstmal stoisch weiterzugrillen und wenn es nicht mehr geht irgendwie notdürftig warmzuhalten, bis sich einer erbarmt oder

3. gar nicht auf Halde, sondern „auf Sicht“ zu grillen und die Kunden damit im Falle eines Ansturms warten zu lassen bis die Wurst fertig ist.

Das Kings entscheidet sich für Variante 2 – eine nur kurzfristig ökonomische Lösung, die darin besteht, dem Kunden auch noch jede bis zum Erbrechen missbrauchte Wurst zum vollen Preis zu verkaufen. Das ist deshalb nur kurzfristig ökonomisch gedacht, da man zwar zunächst den Verlust einer weggeschmissenen Wurst gänzlich vermeidet, ergo kurzfristig den kalkulierten Gewinn einfährt, aber dadurch keinen einzigen Wurst-Kunden langfristig bindet, was sich auf Dauer negativ auf den Umsatz auswirkt, wenn man eine ausreichende Anzahl Kunden verärgert hat. Ein Eigentor sozusagen.

Die Bratwurst zu beschreiben ohne dabei ausfallend zu werden ist sehr schwierig. Wäre dies hier ein reguläres Weblog, so entstünde links am Rand eine Begriffswolke mit Schlagwörtern wie unterirdisch, widerwärtig, Zumutung, No-Go, Kriegserklärung und spastisches Würgen.

Versuchen wir es daher ganz sachlich: Die Bratwurst liegt ja wie schon festgestellt ganz offenkundig überdurchschnittlich lange auf ihrem Grill, wobei die absurde Situation entsteht, dass je weniger Bratwürste verkauft werden desto länger sie da liegt, was wiederum dazu führt, dass sie noch länger liegt, so dass sie keiner will und sie dann noch länger da liegt, was wiederum dazu führt, dass noch mehr Kunden wegbleiben.
Ein Teufelskreis. Bis mal eine arme Sau kommt und sich so eine Bratwurst andrehen lässt.

Mit der Bratwurst passiert nach Überschreitung des idealen Garpunkts folgendes: Die schwarz-braun verfärbte Haut wird gleichzeitig hart und trocken, nimmt eine fast lederartige rissige Konsistenz an und löst sich dabei von dem zusammengeschmolzenen Inneren bis auf etwa zwei bis drei Millimeter ab, wobei sich in dem dadurch entstehenden Zwischenraum ein seltsamer braungetönter fädenziehender Sud mit Kohlearoma bildet, der mit dem tendenziell völlig geschmackslosen Inneren der Wurst (man setzt bei der Rohmasse ganz offenkundig auf einen höheren Salz/Fett- und eher geringeren Fleischanteil) eine sehr üble Mischung bildet, die irritierend sauer-salzig daherkommt.

Die Tatsache, dass die Wurst irgendwann weit nach dem Idealzeitpunkt auf eine kühlere Stelle des Grills gelegt wird, wonach sie lau serviert wird, potenziert das Desaster zusätzlich.

Ganz plastisch gesagt: Es ist ein Albtraum in Penisform.

Einmal erhielt ich eine noch nicht ganz fertig gebratene Wurst – Variante „Kräuter“, innen noch kalt und roh, die mich erahnen ließ wie das ideal gebratene Endwerk planmäßig schmecken soll.

Das allerdings ist schnell erzählt: Nach nichts.

Die Geschmacksvariation „Kräuter“ ist im Ergebnis nur optisch eine Innovation – hat sie doch grüne Punkte im Brät, geschmacklich bleibt sie in jeder Beziehung so fad wie das Normalprodukt. Sie schmeckt schlicht nach nichts, macht in Konsistenz und Geschmack sogar eher einen haarsträubend synthetischen Gesamteindruck – keine Spur von würzigem frischem Bratwurstaroma, man kann sich ersatzweise auch einen Brocken zimmerwarmes Fonduefett mit etwas getrockneter Petersilie in den Mund stecken und darauf rumlutschen, das dürfte dem wahrscheinlich sehr nahe kommen.

Auch die Variation „Käse“ blieb, da sie sich natürlich schon ärgerlich lange auf dem Rost befand und dadurch ihren „Käse“ mittlerweile durch ihre Lederhautritzen in den Grill entsorgt hat, unfassbar fad und nichtssagend – im Ergebnis eigentlich nur sinnlos fettig. Vielleicht ist der „Käse“ ja auch als eine Art Paste im Grill wirklich besser aufgehoben als in einem menschlichen Magen – das wird sicher seinen Sinn haben.

Ehrlich, ich habe es gut gemeint und im Laufe der Zeit wirklich alle Bratwurst-Varianten in dieser Bude durchprobiert – aber mit der Erfahrung langjähriger Feldversuche auf dem weitreichendem Sektor kulinarischer Terrorcamps stelle ich nüchtern fest: So eine schlechte Wurst ist mir bisher noch nicht untergekommen und es erscheint mir hinreichend wahrscheinlich, dass es auch nicht mehr schlechter geht. Hier stimmen weder Grundprodukt noch Zubereitung.

Der maßstabsetzende Tiefpunkt der Berliner Wurstkultur befindet sich also derzeit hier auf dem S-Bahnhof Frankfurter Allee.

In der Serie “Überleben im Dschungel der Großstadt” begibt sich mike-o-rama für uns in die Wildnis Berlins und testet ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit Imbiss-Buden, Fast-Food-Restaurants, Supermärkte und Orte, die nie ein zurechnungsfähiger Mensch gesehen hat. Seine Berichte erscheinen auch auf dem Bewertungsportal qype.de.

Foto: www.JenaFoto24.de / pixelio.de