Italien, mal wieder…

Heute spielt die deutsche Fußballnationalmannschaft gegen Italien. Mal wieder. Obwohl es heute ein Freundschaftsspiel um die goldene Ananas ist, denkt man natürlich an die großen Duelle beider Mannschaften, als es um alles und ans Eingemachte ging. Das Halbfinale 2006.  Das Finale 1982. Und das Halbfinale 1970, das „Jahrhundertspiel“. Wer das – wie ich – live (vorm Fernseher) verfolgt hat, vergisst es nicht.

Es war ein Mittwoch, Anpfiff war um 16 Uhr Ortszeit, 22 Uhr hierzulande. Am nächsten Morgen um 8 wollte Herr K. eine Mathe-Arbeit schreiben lassen. Okay, 90 Minuten, Viertelstunde Pause, vor zwölf würde ich in der Falle liegen. Kein Problem.

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Video-Link: http://www.youtube.com/watch?v=IEQ20YFhJOU

Und dann das frühe Tor. Alles, nur den Italienern kein frühes Tor erlauben. Dann stellen sie sich hinten rein, werden nicklig und es wird hässlich. Und es wurde hässlich. Und wie..

Schiedsrichter Arturo Yamasaki ist vermutlich mit leichtem Handgepäck in Mexico City eingetroffen und mit mehreren wohlgefüllten Schrankkoffern nach Hause zurückgekehrt. Was der gepfiffen hat, ging auf keine Kuhhaut. Allein, dass er das Foul an Beckenbauer nach außerhalb des Strafraums verlegt hatte, war eine Frechheit. Aber dass er Pierluigi Cera, der Beckenbauer die Schulter ausgerenkt hatte (!) noch nicht mal gelb gezeigt hat… dafür fehlen mir 41 Jahre später immer noch die Worte.

„Ausgerechnet Schnellinger!“ war natürlich ein Quatsch-Kommentar Hubertys. Wenn überhaupt jemand (außer Müller) den Ausgleich machen konnte, dann Schnellinger. Der spielte seit Jahren in Italien, der kannte seine Gegenspieler aus dem Effeff, und er hatte bisher ein saustarkes Turnier gespielt. Der wusste genau, dass die Defensiv-Fetischisten nicht damit rechnen würden, dass plötzlich ein Verteidiger vor dem Tor auftaucht… Wäre Huberty auf Ballhöhe gewesen, hätte er „Natürlich Schnellinger!“ rufen müssen.

Das Etikett „Jahrhundertspiel“ ist einzig und allein der Verlängerung geschuldet. Zuvor war es ein hässliches (defensive Italiener), vorhersehbares (anrennende Deutsche) Spiel. Die Dramatik der Verlängerung war jedoch unüberbietbar. Ein spannenderes und vor allen Dingen emotional bewegenderes Spiel habe ich seitdem nicht mehr gesehen.

Augenzeuge Gianni Rivera sieht das allerdings anders: “War nicht das Jahrhundertspiel. Die meisten auf dem Platz waren Kettenraucher. Man hörte in der Hitze die Lungen rasseln. Die Spieler konnten nicht mehr. Die Tore mussten fallen.”

Gedenktafel am Aztekenstadion

Was nach 41 Jahren immer noch bleibt, ist die Wut über die Ungerechtigkeit dieses Ergebnisses. Die deutsche Mannschaft hat hinreißend gekämpft und der als unüberwindlich geltenden Deckung der Italiener drei (drei!) Tore hineingedrückt. Das galt vor diesem Spiel als unmöglich. Sicher, die Italiener haben im Endeffekt ein Tor mehr geschossen, man muss dieser eiskalten Professionalität Respekt zollen, aber ein unparteiisch pfeifender Schiedsrichter hätte zwei Elfmeter für Deutschland gegeben und mindestens einen Italiener vom Platz gestellt. Das Spiel hätte ein anderes Endergebnis gehabt.

Was letztendlich wurscht war. Wir hätten das Finale ohne Beckenbauer gegen die in Top-Form auftretenden Brasilianer vermutlich genauso glatt verloren wie die Italiener. Obwohl… wir hätten uns schneller regneriert. Und wir hatten Erfahrung im Spiel gegen Mannschaften, die sich schon wie die sicheren Sieger gefühlt haben. Möglicherweise… Warum eigentlich nicht?!

Es war nach eins, als ich mich ins Bett legte. An Schlaf war nicht zu denken, dafür hatte ich zu wenig Blut in meinem Adrenalin. Irgendwann gegen fünf oder halb sechs, es wurde schon hell draußen, bin ich für ein paar Momente weggedämmert, schreckte jedoch Sekunden später aus einem Alptraum (irgendwas mit blau gekleideten Männern) wieder hoch.

Um sieben klingelte der Wecker, um kurz vor acht hatte ich mich zur Schule geschleppt. Die anderen sahen genauso zerstört aus wie ich: alle hatten das Drama verfolgt, keiner hatte ein Auge zugemacht. Unmöglich, in diesem Zustand eine Mathe-Arbeit zu schreiben. Da musste selbst ein Schleifer wie K. ein Einsehen haben, das konnte er nicht machen, wenn in seiner Brust ein menschliches Herz schlug, dann würde er die Arbeit verschieben. Er wusste doch, dass wir alle fußballverrückt waren.
Um Punkt acht betrat K. die Klasse, frisch rasiert und ausgeschlafen. Der hatte sich um neun ins Bett gelegt, dem ging der Fußball am Arsch vorbei. Fröhlich verteilte er die Klassenarbeitshefte und stellte uns die Aufgaben. Als er uns zwei Wochen später die Arbeiten zurück gab, war die Vier die beste Note.

Seitdem frage ich mich, wer das größere Arschloch war, Arturo Yamasaki oder Herr K. Noch steht’s unentschieden, die Verlängerung dauert an.

Foto Gedenktafel by Hellner [Public domain], via Wikimedia Commons