Schau dir den mal an, Walter

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
Video-Link: http://www.youtube.com/watch?v=EqekSuj5HCo

Einen Spieler wie Walter Frosch hat man immer gern in der Mannschaft. Nehmen wir mal an, wir entdecken in den Reihen des Gegners einen technisch überaus starken Sechser mit großem Offensivdrang, den es ständig in die Nähe unseres Strafraums zieht, wo er für Verwirrung und Torgefahr sorgen möchte. Wenn in unserem Team ein Walter Frosch mitspielt, müssen wir nur zu ihm laufen und sagen: „Walter, schau dir doch bitte mal den Sechser an.“ Walter wird nicken, zum Sechser laufen, sich den ganz genau ansehen, dabei dessen Körper kurz aber prägnant auf Stabilität und Schmerzempfindlichkeit untersuchen, und die Sache ist erledigt. Der unangenehme Sechser wird sich in Zukunft auf reine Defensivaufgaben beschränken, die Mittellinie als Grenze seines Lebensraums akzeptieren und mindestens ein halbes Spielfeld Distanz zwischen sich und Walter halten. Oder er lässt sich gleich auswechseln, wie einmal Erwin Kremers nach 18 (!) Minuten. Da hatte Walter Frosch ihn schon dreimal über die Bande gehauen, „damit da Feierabend war“, wie Frosch sich ausdrückte.
Da nimmt es nicht Wunder, dass Walter Frosch sogar eine eigene Fußballregel hat, die – natürlich – eine Strafe beinhaltet. Die Spielsperre nach der vierten (ursprünglich der fünften) gelben Karte verdanken wir nämlich ihm. Nachdem er in der Zwoten Liga 76/77 27 Gelbe in 37 Einsätzen gefangen hatte, führte die DFB-Gerichtsbarkeit „seine“ Sperre ein, und fortan durfte Frosch sich alle paar Spiele mal ein wenig ausruhen.
Das tat er bevorzugt in der ein oder anderen Lokalität, denn „Mein schwerster Gegner war immer die Kneipe“, wie Frosch einmal ungewohnt selbstkritisch anmerkte. Wenn er beim Griechen war, durfte es dann schon mal der ein oder andere Ouzo mehr sein, und dann wurde in den frühen Morgenstunden ein 400-Meter-Rennen um 10 Liter Bier gegen ein Paar Kumpels organisiert, Frosch gab den Kumpels 100 Meter Vorsprung, gewann trotzdem und kümmerte sich um den Gewinn. Gegen 13 Uhr tauchte er dann leicht derangiert im Stadion auf und wurde von Trainer Ribbeck auf seine stark geröteten Augen angesprochen. „Bindehautentzündung“, raunzte Frosch, schnürte die Schuhe und machte den nächsten Stürmer platt.
Gegenüber Autoritäten hat Walter Frosch nie die Klappe gehalten. Kurzzeitig war er mal bei Bayern München unter Vertrag, da soll er den Jupp Kapellmann mal mit einer Ohrfeige eingenordet und sich mit Udo Lattek folgenden denkwürdigen Dialog geliefert haben:
Lattek: „Warum flankst du nicht mit links?“
Frosch: „Weil die anderen das auch nicht machen.“
Lattek: „Wenn du keine Lust hast, dann geh duschen.“
Frosch: „Mach ich.“
Frosch landete nach einem durchaus dubiosen Vertragszwist und 4 Monaten Sperre wieder in Kaiserslautern, wo er Jupp Derwall auffiel, der ihn in die B-Nationalmannschaft berief. Mit einem souveränen „Ein Walter Frosch spielt entweder in der A-Mannschaft oder in der Weltauswahl!“ beendete Frosch seine Länderspielkarriere, bevor sie begonnen hatte.
Nach zwei Jahren Lautern verabschiedete sich Frosch Richtung St. Pauli. Böse Zungen behaupten, dass sein Vereinswechsel ursächlich mit einer Lauterer Animierbar zu tun gehabt habe. Frosch soll mit der Chefin der Bar ein schwunghaftes Verhältnis gehabt haben, und so kam es, wie es kommen musste: Immer wenn Frosch seine Freundin auf der Arbeit besuchte, soll er dort honorige Herrschaften aus dem Vorstand angetroffen haben, denen das schließlich so peinlich war, dass sie Frosch nahelegten, den Verein zu wechseln. Aber das sind selbstverständlich nur böswillige Gerüchte, genauso wie z. B. die Geschichte mit Töpperwien und dem Hundehalsband, daran ist bestimmt kein Wort wahr.
Egal, wie der Transfer zustande kam, in St. Pauli fand Frosch seine Heimat, sowohl im Stadion wie ums Stadion herum, hier wurde er endgültig zum Kult- und Kiezkicker, hier wechselte er nach der Fußballkarriere von vor dem Tresen nach hinter dem Tresen und wurde Kneipier.
Doch seit einigen Jahren kämpft Frosch gegen einen noch härteren Gegner als die Kneipe: die sechzig Zigaretten, die er schon in seiner aktiven Zeit täglich rauchte, forderten ihren Tribut, er musste sich mehreren schweren Krebsoperationen unterziehen. 2008 schien das Spiel für ihn gelaufen zu sein: Sepsis, Organversagen, über hundert Tage Koma. Doch Frosch kam zurück, musste mühsam wieder gehen und sprechen lernen, aber er ist zurückgekommen.
Walter Frosch hat sich den Tod ganz genau angesehen. Der bleibt seitdem in der eigenen Hälfte. Walter Frosch wird am Sonntag 60.