[Männergesundheit] Stammzellenspende

„Du hast Rückenmark gespendet?“ – „Nein, habe ich nicht (Blödmann)!“ Zugegeben, ein etwas ungewöhnlicher Einstieg in die Thematik der Stammzellenspende, aber ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich diese Frage schon gehört habe. Daher möchte ich schon zu Beginn ganz klar darauf hinweisen, dass man kein Rückenmark spendet! Es ist wie mit „Wir essen Kinder!“ und „Wir essen, Kinder!“ klingt zwar ähnlich, ist aber etwas völlig anderes.

Krebs ist ein Arschloch, anders kann ich es nicht beschreiben. Zwei Jahre hatte mein Schulfreund gegen ihn gekämpft und doch verloren. Als Außenstehender konnte ich damals wenig machen, trotz meiner Abneigung gegen Krankenhäuser habe ich ihn zwar besucht, aber das bezeichne ich nicht als Hilfe. Einige Jahre später wurde ich bei einer Blutspende gefragt, ob ich mich zu einer Typisierung für eine eventuelle Stammzellenspende bereiterklären würde. Damals suchte man nach einem passenden Spender für einen kleinen Jungen aus der Gegend, der an Leukämie erkrankt war. Informationsmaterial gab es genug und es hörte sich für mich nach keiner zu großen Sache an. Nach der Blutentnahme erhielt ich allerdings einige Jahre keine Anfrage von der DKMS1. Dann bat man darum, mir für eine Feintypisierung erneut Blut bei meinem Hausarzt abnehmen zu lassen. Grob zu einem Empfänger gepasst hatte ich also, nun wollte man ins Detail gehen und benötigte eine zusätzliche Blutprobe. Wenige Wochen später wurde ich informiert, dass jemand anderes besser gepasst hatte. Wieder vergingen ein paar Jahre, bis ich einen Brief bekam, dass ich als Spender in Frage kommen würde 2. Aufgrund meiner vorherigen Feintypisierung war ich sozusagen schon in der zweiten Runde. Nachdem ich meine Bereitschaft zur Spende signalisiert hatte, setzte man eine Untersuchung in einer Entnahmeklinik an. Es standen mehrere zur Auswahl, ich entschied mich für Hameln. Das lag zwar nicht gerade in der Nähe, aber in Hameln war ich vorher noch nie gewesen. Nun verbrachte ich zusammen mit drei weiteren potenziellen Spendern den Vormittag in der Klinik und wurde genauestens untersucht. Ich erspare mir hier die Details, allerdings wurde ich selten so gründlich untersucht. Man wollte ausschließen, dass ich einen Empfänger mit irgendetwas anstecke, und dass die Spende für mich zu einem Risiko wird. Zum Schluss stand ein sehr ausführliches Gespräch mit einem Arzt auf dem Programm. Mein Gesundheitszustand war ausgezeichnet, dennoch ging man sehr intensiv auf die möglichen Nebenwirkungen einer Spende ein.

In fast allen Fällen werden Stammzellen mittels einer peripheren Stammzellenspende gewonnen. Das bedeutet, dass man Stammzellen aus dem Blut des Spender entnimmt, ähnlich einer Blutspende. Nun ist die natürliche Anzahl der Stammzellen im Blut nicht hoch genug für dieses Verfahren, daher wird mittels eines Medikaments die Produktion und Abgabe an das Blut angeregt. Wie bei jedem Wirkstoff gibt es auch hier mögliche Nebenwirkungen. Angegeben waren Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Übelkeit und Schwindel. Der Wirkstoff wird mittels kleiner Spritzen, vergleichbar mit den Spritzen gegen Thrombose, wie man sie nach Operationen bekommt verabreicht. Anhand meiner Blutwerte sollte ich morgens zwei und abends eine Spritze bekommen. Ich hätte damit auch zu meinem Hausarzt gehen können, aber dazu war ich ehrlich gesagt zu faul. Ich bekam also die Spritzen mit nach Hause und etwa eine Woche vor dem Entnahmetermin begann ich mit der Behandlung. Nach zwei Tagen fühlte es sich wie ein grippaler Infekt an, ich hatte zeitweise Kopfschmerzen und einige Tage lang Gliederschmerzen. Sonst ging es mir gut.

Am Entnahmetag wurde ich mit einem weiteren Spender in ein kleines Zimmer gebracht, in dem zwei große Geräte standen. Diese erinnerten mich an ein Dialysegerät, dass ich mal gesehen hatte. Wer schon mal Blut gespendet hat, kennt die Größe der Nadeln. Jeweils eine davon bekam ich links und rechts in den Arm. Auf der einen Seite wurde mir Blut abgenommen und nach der Filterung von Stammzellen wieder über den anderen Arm zurückgegeben. Die Entnahme dauerte fast genau vier Stunden. Es war mir vorher gesagt worden, aber vier Stunden lang nicht die Arme bewegen zu können war schon ungewohnt. Wenn die Nase mal kitzelte war eine Krankenschwester zur Stelle und sie legte uns auch eine DVD ein. Das Schlimmste an der ganzen Prozedur war, dass ich nicht lesen konnte. Von der Entnahme selbst habe ich nichts gemerkt, nur die Maschine war recht laut und meckerte jedes Mal, wenn ich mich ein wenig bewegte.

Ein Spender bei der Stammzellentnahme, neben ihm der Beutel mit den lebensrettenden Stammzellen

Ein Spender bei der Stammzellentnahme, neben ihm der Beutel mit den lebensrettenden Stammzellen

Danach gab es ein Mittagessen und ich konnte in das durch die DKMS gebuchte Hotel fahren. Normalerweise reicht eine dieser Sitzungen, manchmal ist aber eine zweite nötig, wenn die Anzahl der entnommenen Stammzellen zu gering ist. Das war bei mir nicht der Fall und so konnte ich am frühen Nachmittag, nach dem Anruf des Krankenhauses, schon nach Hause fahren. Die leichten Beschwerden durch die Spritzen waren nach zwei weiteren Tagen weg. Wäre eine Entnahme von Knochenmark! nötig gewesen, hätte man mir unter Vollnarkose Knochenmark! aus dem Beckenkamm entnommen. Dann hätte ich zur Beobachtung über Nacht im Krankenhaus bleiben müssen. Kommt eher selten vor, aber so hat beispielsweise eine Freundin von mir gespendet.

Ganz wichtig ist, und das wird auch jederzeit so kommuniziert, dass man von der Spende zurücktreten kann. Selbst am Entnahmetag kann man nicht gezwungen werden zu spenden. Während des ganzen Prozesses wurde ich nie unter Druck gesetzt oder hatte das Gefühl, man wolle mich „nicht vom Haken lassen“. Es wurde offen über alles gesprochen und auf jede meiner Fragen eingegangen. Gegen mögliche Komplikationen versicherte mich die DKMS und seit der Spende bekomme ich alle zwei Jahre einen kurzen Gesundheitsfragebogen und werde um eine Blutuntersuchung durch den Hausarzt gebeten.

Was hat das alles gebracht? Da die Spende anonym erfolgt und einige Länder auch nach Jahren keinen Kontakt erlauben, bekommt man nach einigen Wochen eine Nachricht von der DKMS, wie die Transplantation verlaufen ist. Man teilte mir mit, dass meine Zellen an eine junge Amerikanerin gingen und die Transplantation gut verlaufen sei. Wieder einige Wochen später wurde mir geschrieben, dass sie das Krankenhaus verlassen konnte und bei guter Gesundheit sei. Damit wäre die Geschichte eigentlich zu Ende, aber ich hatte Glück. In der Weihnachtszeit erreichte mich ein Brief der DKMS. Darin lag eine Karte, die mir meine Empfängerin geschickt hatte. Anonymisiert, sogar der Barcode auf der Rückseite war unleserlich gemacht. Es waren einige sehr emotionale Zeilen, mit denen sie sich bei mir bedankte und ein wenig von sich erzählte. Eine Weihnachtskarte konnte ich ihr ebenfalls über die DKMS zukommen lassen, wobei es schon seltsam ist, wenn man sich mit „lieber Spender“ und „liebe Empfängerin“ ansprechen muss. Für Spenden in die Vereinigten Staaten gilt eine zweijährige Anonymisierungspflicht, danach ist auf beiderseitigen Wunsch ein direkter Kontakt möglich. So erhielt ich nach zwei Jahren eine sehr nette und unheimlich lustig geschriebene E-Mail, der viele weitere folgten. Ein Besuch ist ebenfalls geplant. Meine Empfängerin wurde während ihrer Ausbildung zur Krankenschwester sehr krank und die Ärzte stellten fest, dass sie einen Tumor an der Hüfte hatte. Durch Bestrahlung und Chemotherapie konnte der Tumor erfolgreich beseitigt werden, jedoch erkrankte sie wenige Monate später erneut. Die Diagnose lautete dieses Mal Leukämie. Aufgrund ihrer Vorerkrankung machten ihr die Ärzte ohne Stammzellentransplantation keine Hoffnungen. Weder ihre zwei Schwestern, noch ihre Eltern kamen als Spender in Frage. Dann fanden sie mich und noch vor der Transplantation bekam sie im Krankenhaus eine schwere Infektion. Auch dagegen kämpfte sie erfolgreich und die Transplantation wurde durchgeführt. Inzwischen gilt sie als geheilt. Sie arbeitet als leitende Schwester in einer kardiologischen Abteilung eines Krankenhauses, hat geheiratet und, obwohl ihr die Ärzte sagten, sie würde nie Kinder bekommen können, wird sie im Frühjahr zum ersten mal Mutter. Es hat also schon etwas gebracht. Mein Beitrag dazu war vernachlässigbar. Alle Auslagen, Reisekosten, Hotel etc. wurden von der DKMS übernommen, es kostete mich nur zwei Tage meiner Zeit. Wenn man so will habe ich meiner Empfängerin ein paar Sportschuhe geschenkt, das Rennen hat sie gewonnen. War es das kleine Risiko und die Nebenwirkungen wert? Sie hat monatelang im Krankenhaus gelegen, die üblichen Nebenwirkungen von Bestrahlung, zweimal Chemotherapie sowie jede Menge Schmerzen und anderer Strapazen erduldet, da werde ich doch wohl für ein paar Tage mit Rückenschmerzen klar kommen.

Ich habe überlegt, ob ich zum Schluss zur Registrierung aufrufen soll, mich dann aber dagegen entschieden. Wenn das Thema in meinem Bekanntenkreis oder bei der Arbeit zur Sprache kommt, habe ich schon sehr viele Gründe gegen eine Registrierung gehört. Gesundheitliche Gründe, Angst vor Spritzen, Angst vor Nebenwirkungen, sogar spirituelle/religiöse Gründe waren dabei. Für mich ist es eine persönliche Entscheidung, daher erzähle ich gerne von meinen Erfahrungen, schleppe aber niemanden zu Typisierungsaktionen. Jemanden emotional unter Druck zu setzen halte ich für falsch. Wer helfen möchte, der soll es von sich heraus machen, aber nicht, weil es erwartet wird. Wozu ich jedoch aufrufen mochte ist, sich zu informieren, damit keine Schauergeschichten erzählt und unnötig Ängste geschürt werden. Niemandem wird unter Narkose das Rückgrat angebohrt und niemand bekommt von einer Spende selbst Leukämie. Auf der Homepage der DKMS oder beispielsweise auf deren Youtube-Kanal findet man jede Menge Informationen über das Thema. Danach kann jeder für sich entscheiden, ob er mit einem sehr geringen Aufwand einem anderen Menschen eine zweite Chance geben möchte, ich würde mich freuen. Wer sich zu einer Registrierung entschließt, kann ein solches Paket anfordern und sich nach Hause schicken lassen.

31_Setcard und Wattestäbchen

MaDo1Marc Dobler (im Nassrasurforum auch als Lafette bekannt) stammt aus Baden-Württemberg, kann nicht alles, dafür aber Hochdeutsch. Er lebt und arbeitet seit drei Jahren in Ostfriesland. Wenn der leidenschaftliche Eishockeyfan nicht hinter dem Herd oder Grill steht, schnürt er die Laufschuhe und trotzt der steifen Brise. 

 

  1. Deutsche Knochenmarkspenderdatei gemeinnützige Gesellschaft mbH
  2. Laut DKMS liegt die Wahrscheinlichkeit, einen passenden Spender außerhalb der eigenen Familie zu finden, bei 1:20.000 bis 1:mehreren Millionen.
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Eine Antwort zu [Männergesundheit] Stammzellenspende

  1. AvatarInes, "eine Familie lebt mit Papas Krabbe" sagt:

    Auch wenn dein Beitrag schon etwas älter wollte ich Dir Danke sagen. Danke im Namen des Empfängers. Es gibt nach wie vor zu wenige Menschen wie dich. Ich danke dir für deinen Mut und den Beitrag darüber

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