Heinz und Klaus reloaded

Foto: FaceMePLS from The Hague, The Netherlands [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

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»Nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich«, ist ein Spruch, den man immer wieder mal durch den Zusatz »Aber wenn er von Martenstein ist, vielleicht doch.« ergänzen möchte, denn der humorige Kolumnist erntet wegen der simplen Strickmuster seiner Analogien immer wieder heftige Kritik, besonders vor zehn Tagen, als er zwei Freunden namens Heinz und Klaus in einem Griechenland-Vergleich bemühte. Julian Twarowski ergänzt Martensteins Vergleich um ein paar Details, die die überbeschäftigte Edelfeder im Trubel des Vergleichens wohl schlichtweg vergessen hat.

Es gab da mal zwei Freunde, Heinz und Klaus. Ihre Freundschaft währte schon sehr lange. Selbst ihre Großväter waren miteinander bekannt gewesen . Heinz besaß einen kleinen Laden am Rande der Stadt. Dort verkaufte er allerlei Gartenutensilien wie Schaufeln, Mistgabeln, Sicheln und Sensen. Heinz liebte das Gespräch mit seinen Kunden. Er liebte die frische Luft und den Blick über die Felder, den er von der Tür seines Ladens aus hatte.

Das war vor zehn Jahren.

Inzwischen ist Heinz mit seinem Geschäft ins Zentrum der Stadt gezogen. Die Räumlichkeiten, die er dort mietete, waren dreimal größer als jene seines alten Ladens. Deshalb hatte er sein Angebot erweitert. Neben Gartenutensilien verkaufte er nun auch Herrenanzüge und Autoreifen.

Auch Klaus war Geschäftsmann. Er nannte sich manchmal aus Spaß und manchmal auch im Ernst „Großindustrieller“. Klaus gehörte ein großes Warenhaus. Es lag ganz zentral und prosperierte seit Jahrzehnten. So gut aber wie in den letzten Jahren, lief das Geschäft für Klaus noch nie. Besonders stolz war Klaus auf seine Fabrik, die Autoreifen herstellte. Auch dieses Geschäft florierte. Viele seiner Reifen verkaufte er Heinz. Da er vor Jahren deutliche Gehaltskürzungen bei seiner Belegschaft vorgenommen hatte, konnte er seine Reifen nun deutlich billiger als die Konkurrenz verkaufen. Er war wohlhabend geworden. Für seinen geschäftlichen Erfolg hatte er schon mehrere Auszeichnungen der Stadt erhalten und allseits wurde ihm große Hochachtung entgegengebracht.

Heinz hingegen drückten die Schulden. Sein Geschäft lief immer schlechter. Er erzählte Klaus davon. Klaus tröstete ihn und sprach ihm Mut zu. Heinz sagte, dass er gehörige Bedenken hege, ob nicht ein entscheidender Grund für seine schlechte wirtschaftliche Lage in der Zusammenstellung seines Angebots zu finden sei. Immerhin sei es sehr heterogen, das müsse er, Klaus, doch zugeben. Zudem würde er ja gar nichts selbst herstellen. Alle seine Ware müsse er erst einmal bei anderen einkaufen. Deshalb überlege er eine der Waren, die er zurzeit verkaufe, auszusortieren und in einem Teil seines Ladens stattdessen ein kleines Kaffee zu eröffnen. Klaus wisse doch um die Backkünste seiner Frau. Er selbst habe sie schon das eine oder andere Mal gelobt. Klaus bejahte zwar, aber riet sogleich von dem Vorhaben ab. Er setzte hinzu, dass er gerade im Begriff sei eine Fabrik zu übernehmen, die Anzüge herstelle. Dann könne Heinz auch diese bei ihm einkaufen, das wäre doch eine gute Idee. Heinz zuckte unsicher mit den Schultern.

So verwarf Heinz alle seine neuen Ideen und führte das Geschäft weiter wie gewohnt. Es lief immer schlechter. Nichts hatte sich geändert, obwohl er die Anzüge jetzt bei Klaus kaufte. Seine Schulden bei der Bank und auch jene bei Klaus wuchsen und wuchsen. Irgendwann kam Heinz zu Klaus und erzählte ihm, dass er im Prinzip Bankrott sei. Er habe ein schlechtes Gewissen, da er nicht nur die Schulden bei der Bank, sondern auch jene bei Klaus nicht mehr bezahlen könne, außer Klaus würde ihm einen Kredit gewähren, der für alle seine Schulden bürgen würde. Klaus überlegte und stimmte diesem Vorschlag zu. Ein Erlass der Schulden, meinte er, komme gar nicht in Frage. Das sei noch viel schlimmer, da dann nicht nur Heinz, sondern alle seine Gläubiger verlieren würden.

So bekam Heinz von Klaus den Kredit, um sein Geschäft weiter zu führen. Kurze Zeit später tauchten drei Herren in feinen Anzügen mit Aktentaschen in Heinz‘ Laden auf. Sie erklärten im Auftrage von Klaus gekommen zu sein. Sie würden sich gerne einmal im Laden umschauen und würden Heinz bitten ihnen Einblick in seine Buchhaltung zu gewähren. Heinz kam das beängstigend vor. Er rief bei Klaus an und erzählte ihm von den Herren und ihren Forderungen. Zu seiner Überraschung bestätigte Klaus deren Aussagen. Ja, sie handelten in seinem Auftrag und er bitte Heinz, ihren Forderungen zu entsprechen. Noch immer verwirrt, führte Heinz die Männer durch seinen Laden und in sein Büro. Dort übergab er ihnen die Geschäftsbücher.

Wenige Wochen später bekam er Post von den Herren, die ihn besucht und seine Akten durchgesehen hatten. Im Brief forderten sie von Heinz, einen Teil seiner Mitarbeiter sofort zu entlassen und allen anderen drastisch die Löhne zu kürzen. Außerdem verlangten sie von ihm,. alle Kleiderständer zu verkaufen und die Umkleidekabinen aus dem Laden zu entfernen. Die Kunden könnten für die Anprobe ja Klaus Warenhaus aufsuchen. Und seinen Transporter sollte Heinz auch verkaufen. Heinz war entsetzt. Er nahm sein Telefon und wählte die Nummer, die oben rechts auf das Briefpapier gedruckt war. Er schwitzte. Es piepte einmal…zweimal…dreimal… Endlich nahm jemand ab. Es war einer der drei Herren. Heinz erkannte seine Stimme sofort. Nachdem dieser ihm einmal mehr erklärt hatte, dass die Forderungen ernst gemeint und im Einvernehmen mit Klaus getroffen worden seien, zeigte sich Heinz resigniert, letztlich aber einverstanden. Auf die Frage, womit er seine Waren nun ohne Auto transportieren solle, bekam er die Antwort, dass sich darum ab jetzt ein privates Unternehmen kümmern werde. Das sei doch aber erheblich teurer, bemerkte Heinz. Nein, erwiderte darauf der Herr der Drei und legte den Hörer auf.

Während es mit Heinz Geschäft immer weiter bergab ging, prosperierten sowohl Klaus Warenhaus als auch seine Fabriken. Es lief besser und besser für Klaus. Zwar war die Anzahl der Reifen, die Klaus nun Heinz verkaufte ein wenig zurückgegangen, dafür aber hatten sich viele andere Käufer für sie finden lassen. Klaus wurde nun allerorts eingeladen, um Reden zu halten. In diesen mahnte er an, ein jeder Geschäftsmann müsse stets seine Hausaufgaben machen und sehr genau auf ein Gleichgewicht von Einnahmen und Ausgaben achten. Natürlich sei es am besten, stets mehr Einnahmen als Ausgaben zu generieren. Er wundere sich deshalb, warum es nicht alle machten wie er. Dann würde es allen deutlich besser gehen. Dafür bekam er viel Applaus. Seine Reden beendete er stets mit einem Verweis auf seinen Freund Heinz. Er sei ein Beispiel für erfolgloses Wirtschaften. Heinz habe ohne Zweifel seit Jahren über seine Kosten gelebt und sich schrecklich hoch verschuldet. Trotzdem, schloss Klaus, würde er seinem Freund unter die Arme greifen, ihm Kredite gewähren, damit er wieder wirtschaftlich auf die Beine komme. Um das aber zu erreichen, gälte es für Heinz endlich zu arbeiten und für Erfolg auch Einschnitte in Kauf zu nehmen. Überschwänglicher Applaus beendete sodann stets seine Reden und er konnte anschließend zum Champagner-Empfang übergehen.

Derweil zog Heinz frierend durch die Straßen. Ihn zog es nicht nach Haus. Seine Frau hatte sich von ihm getrennt. Eine Zeit lang hatte er noch alleine in der Wohnung leben können, dann konnte er sich die Miete nicht mehr leisten. Die neue Wohnung war feucht. Er hatte den Vermieter darauf aufmerksam gemacht, dieser aber hatte lediglich abgewinkt. So lief Heinz weiter durch die dunklen Gassen. Plötzlich sah er auf einer Bank eine Person sitzen, die ihm bekannt schien. Er ging auf sie zu, das Licht der Straßenlampe fiel matt auf die Kapuze, die den Kopf bedeckte. Als er endlich nah genug vor ihr stand, erkannte er seinen ehemaligen Verkäufer Joachim. Heinz setzte sich zu Joachim auf die Bank und sie unterhielten sich. Er erfuhr von Joachim, dass dieser seine Wohnung sich hatte nicht mehr leisten können und seitdem auf der Straße lebte. Heinz schüttelte den Kopf. Bei so einer Kälte im Freien zu schlafen, das sei nicht gesund, dachte Heinz bei sich. Da kam ihm eine Idee. Er flüsterte sie Joachim zu. Joachim blickte ihn mit großen, ungläubigen Augen an und Heinz versicherte ihm, dass es kein Scherz seinerseits, sondern sein Angebot ganz ernst gemeint sei. Joachim müsse nur ja sagen. Joachim sagte ja.

Am nächsten Tag standen die drei Herren wieder bei Heinz im Geschäft. Sie verurteilten Heinz Handeln von letzter Nacht aufs Schärfste. Die Auflagen für die Kredite, die ihm Klaus bis jetzt gewährt habe, verböten es Heinz fremde Menschen in seinen Geschäftsräumen übernachten zu lassen. Als Heinz ihnen zu erklären begann, dass Joachim kein Fremder, sondern ein guter Freund und ehemaliger Mitarbeiter sei, hatten sich die drei Herren bereits wieder in die Buchhaltung des Ladens vertieft. Woher sie überhaupt von Joachim wussten, fragte sich Heinz. Eine Antwort darauf bekam er nicht.

Immer wieder und wieder kam Post der drei Herren, die immer neue Forderungen an Heinz beinhaltete. Weitere Lohnkürzungen und andere Sachen. Als Heinz nach einigen Jahren zum ersten Mal keine neuen Schulden gemacht hatte, bekam er ein Lob der drei Herren. Zuvor waren Heinz drei Zähne ausgefallen, die nun fein säuberlich aufgereiht auf dem Schreibtisch von einem der drei mit den Aktenkoffern standen. Durch das Lob bestärkt, bat Heinz um eine Atempause bei der Rückzahlung der Kredite. Seine Schulden hatten sich in den Jahren fast verdoppelt. Die Herren aber lehnten diese Bitte ab und verwiesen auf den Erfolg der Maßnahmen. Dieser sei gefährdet, würde man auch nur irgendetwas ändern. Das sei alternativlos, genau, wie Klaus es immer in seinen Reden sagte.

Heinz war verzweifelt. So verzweifelt, dass er sich daran erinnerte, wie Klaus ihn einmal, ganz zu Beginn ihrer Freundschaft, gezwungen hatte, ihm bei einer Schulhofprügelei zur Seite zu stehen. Bei der Schlägerei waren die Zahnspangen beider Jungs kauptt gegangen, und Klaus hatte darauf bestanden, dass ausgerechnet Heinz auch für die Reparatur von Klausens Spange zahlen sollte, was Heinz auch getan hatte. »Sollte ich vielleicht drohen, die Zahnspangenkosten zurückzufordern?«, dachte Heinz in seiner Verzweiflung.

Doch bevor er zu einer Entscheidung gekommen war, schüttelte er resolut den Kopf. »Genug ist genug!«, rief Heinz aus und verließ auch diesen Vergleich, bevor er genauso schief zu werden drohte, wie der beim Tagesspiegel, in den Heinz vor ein paar Tagen geraten war. »Das muss ich nicht noch mal haben, dann käme ja zum Schaden der Spott auch noch hinzu!«, sagte er und musste lächeln. Denn auch diese Pointe ähnelte dem ursprünglichen Vergleich, für den Heinz und Klaus erschaffen wurden. Auf den ersten Blick charmant und lustig, aber oberflächlich und vollkommen unlogisch, wenn man nur ein wenig darüber nachdachte.

Julian Twarowski ist Student in Berlin.

Markiert mit Euro, Griechenland, Politik, Satire, Wirtschaft.Speichern des Permalinks.

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