[WM 2014] Turniertagebuch Tag 20 – Das Ende der Arroganz

Abbildung: Thirunavukkarasye-Raveendran (Own work) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

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Wir haben keinen Sonderkorrespondenten vor Ort in Brasilien, unsere WM findet im Fernsehen statt, bei Public Viewings, in den Kneipen, wo Männer sich treffen, die Fußball leben und atmen und das Spiel lieben. Hier schreibt Chris Kurbjuhn spieltäglich sein WM-Tagebuch, kommentiert das Geschehen, erzählt Anekdoten und dummes Fußballzeug und erinnert sich an frühere Turniere. Football, bloody hell!

Wir haben ein Achtelfinale gesehen, in dem die etablierten Fußballnationen auf die sogenannten „Kleinen“ getroffen sind. Die Etablierten haben sich durchgesetzt, nur Costa Rica konnte gegen Uruguay für eine Überraschung sorgen. Also alles erwartbar, vorhersagbar, business as usual? Nein, eher nicht. Es dürfte das letzte Achtelfinale einer WM gewesen sein, das so eindeutig und überraschungsfrei endete. Die Großen hatten große Schwierigkeiten, die Kleinen zu besiegen, einige (die Deutschen Z.B.) mussten in die Verlängerung, Brasiien sogar ins Elfmeterschießen. Das lag nur zum Teil an schlechter Form oder mangelnder Klasse. Die Großen waren nicht so schlecht, die Kleinen waren so gut.

Ich hab mir das Algerienspiel noch mal angesehen: Meine Herren, das war allererste Sahne, was die Algerier da gespielt haben. Die haben uns die Passwege in einer Art und Weise zugestellt, die an Real Madrid unter Ancelotti erinnerte, eigentlich eine Taktik, die man nur einer eingespielten Vereinsmannschaft zutrauen würde, nicht aber einem Nationalteam. Die kannten uns ganz genau, die wussten, wo Özil hinläuft, wie Kroos bevorzugt abspielt usw., die waren perfekt vorbereitet. Was Ihnen dank der modernen Kommunikationswege (dieses Internetdingens, remember) ja auch ziemlich leicht fällt. Wo man früher Beobachter für teuer Geld Beobachter in die Welt schicken musste, genügt heute ein Klick auf einen Livestream oder ein Pay-TV-Abo.

Auch spieltechnisch haben die Außenseiter aufgeholt, in einigen Fällen sogar aufgeholt oder zum Überholen angesetzt. Dieser Trend wird sich verstärken. Die Selbstverständlichkeit, mit der die „Traditions-Nationen“ den Fußball dominiert haben, dürfte vorbei sein. Ab dem nächsten großen Turnier kann vielleicht nicht jeder jeden schlagen, aber das Gewinnen ist unendlich viel schwerer geworden. Die Arroganz, mit der man Siege gegen Länder wie Algerien erwartet, ist unangebracht. Soviel zu kenntnislosen Reporterfragen.

Zu den heutigen Partien mit meinen Tipps aus unserem Tippspiel:

Frankreich – Deutschland 1:2
Brasilien – Kolumbien 6:5

Gegen Frankreich. Da fällt einem eine Partie natürlich sofort ein, der Thriller von Sevilla, eins der ganz großen Dramen der WM-Geschichte:

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Video-Link: http://youtu.be/8yR35Y1gLRY

Mindestens genauso bemerkenswert war jedoch das zweite WM-Aufeinandertreffen beider Mannschaften, beim Halbfinale von 1986 in Mexico. Frankreich hatte gerade die vielleicht spielstärkste brasilianische Mannschaft aller Zeiten aus dem Turnier geworfen, hatte wg. Sevilla noch eine Rechnung mit den Deutschen offen, und Beckenbauer war mit einer fußballerisch dubiosen, zerstrittenen Gurkentruppe nach Mexiko gereist und hatte gerade den Ersatztorwart nach Hause geschickt, der die Dinge beim Namen und ihn, den Teamchef, einen „Suppenkasper“ geheißen hatte. War ja klar, wie das ausgeht. Und dann kam’s umgekehrt.

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Video-Link: http://youtu.be/GvNEeog7sYw

Das 86er Turnier ist für mich immer noch unfassbar. Wir haben alle Tränen gelacht, als Beckenbauer seinen Kader benannte. Mit diesen Rumpelfüßlern wollte er nach Mexico? Hatte er seine Aspirin-Tabletten mit irgendwelchen Pillen verwechselt, die ihm in seiner Cosmos-Zeit im Studio 54 zugesteckt worden waren, oder was? Blamables Aus in der Vorrunde, mehr war nicht drin. Und dann ist er mit Leuten wie Briegel, Eder, Jakobs und Rolff direktemang ins Finale gerumpelt und wäre beinahe noch Weltmeister geworden. Wenn sie nach dem Ausgleich hinten dicht gemacht hätten, die Argentinier waren doch platt, eine Verlängerung hätten die nicht überlebt! Aber das ist eine andere Geschichte…

Beim Betrachten der Länderspiel-Statistik der Brasilianer muss man kräftig durchatmen. Die haben überhaupt nur gegen Ungarn und Norwegen einen negativen Score, der gegen die Niederlande ist ausgeglichen, den Rest der Welt haben sie dominiert. Trotzdem, heute gegen Kolumbien wird’s eng. Wieder Elfmeterschießen, wenn ihr mich fragt.

Viel Spaß heute, schöne Spiele!

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