Der Luxus eines neuen Bügeleisens – über Peter Hetzlers Hartz 5-Buch

Hetzlercover„Nutella und Langnese-Honig. Können Sie sich von Ihrem Arbeitslosengeld Markenprodukte leisten, Frau Sanders?“ ist eine der Fragen beim überraschendem Besuch zweier „Sozialdetektive“ vom Jobcenter. Es folgt die Verdächtigung, „Nebeneinkünfte“ nicht gemeldet zu haben und die Aufforderung, „eine Liste mit allen im vergangenen Monat geschenkt bekommenen Lebensmitteln aufzustellen.“ So beginnt der Text. Und endet so: nach den letzten Aktionen der Hartz-5-Gruppe ist „unser Blog voller Lobeshymnen…Wir brauchen keinen Fan-Club. Wir brauchen Leute, die mitarbeiten.“

Dazwischen gibt es auf 153 Kleindruckseiten in 42 weiteren Kapiteln viel Wissens- und Bedenkenswertes über San-San und Biggi, 10%, Müller und Kurt als Hartzvier-Abhängige und doch gemeinschaftlich handelnde Personen und ihre behördischen Widersacher. Handlungszeit ist Herbst/Winter 2010. Handlungsort ist ein ländlicher Kreis und seine Kreisstadt (im Südhessischen). Was nach einer Krimihandlung glücklich endet, beginnt mit dichten Lagebeschreibungen von Hartzvierern, dem Alltagsleben, seiner Bewältigung („Das grösste Problem waren die Mieten“) und den Bemühungen der Kleingruppe um öffentliche Aufmerksamkeit zur Verbesserung ihrer Lage: „Wir sind ein lockerer Haufen ohne Vorstand und Bürokratie. Das macht uns für die Gegenseite so unberechenbar.“

Der Grundinhalt in Kürze: die kleine Selbsthilfegruppe Hartz 5 hilft Betroffenen gegen oft schikanöse Maßnahmen, Bescheide, Vorladungen. Und sucht Öffentlichkeit gegen behördische Übermacht. Gelegentlich wie bei einer zurückgenommenen Geldsperre auch erfolgreich. Phantasievoll gehandelt wird wo immer es geht wie bei einen Bewerberbrief oder bei der vorweihnachtlichen Verwandlung des Kreistagsentré in eine stinkende Müllkippe durch das Kommando Dufte Nikoläuse. Kundig ein zunächst idiotisch erscheinendes Jobcenter-Praktikum nachrechnend, arbeiten San-San und Biggi sich als Kommunikationsguerilla illegal an den Projektleiter und eine seiner Netzidentitäten heran. Sie können schließlich nachweisen, daß er sich von einem Unternehmer „schmieren“ läßt. Der aus unbezahlten Leistungen von Hartzvierern entstandene unternehmerische Extraprofit beträgt etwa 45.000 €. Er soll zum Barkauf eines Oldtimers verwandt werden. Der aktive Kern der Hartz 5-Gruppe nutzt die Gelegenheit zur alternativen Organisation der Geldübergabe. Und kann so nicht nur die Gruppenkasse für weitere Aktionen auffüllen. Sondern auch beiden Frauen einen zweiwöchigen Winterurlaub in Marokko finanzieren…

Das Buch des Journalisten Peter Hetzler (*1955) ist kein großer Roman. Sondern eine beachtliche Erzählung. Sie ist aufklärerisch angelegt und locker geschrieben. Sie führt ins Sozialmilieu von Hartzvier-abhängigen Menschen, die versuchen, unter schwierigen und bedrückenden Umständen zu überleben und ihre Würde als ausgegrenzte und wie Objekte behandelte Menschen aktiv handelnd zu bewahren. Damit kommt immer auch die Gegenseite als sie zu oft schikanierendes Jobcenter und der Doppelcharakter der Hartzvier-Lage in den Blick: unmittelbar zu wenig zum auch kulturell angemessenen Leben zu haben. Und um die eigene Abhängigkeit von übermächtig erscheinenden Behörden als Teil des meist feindlich erfahrenen Staats zu wissen: „Im Grunde ist Artikel drei des Grundgesetzes für Erwerbslose außer Kraft gesetzt. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich…ist ein Hohn.“

Hartz 5 ist eine Dokumentarerzählung. Erzählt wird im mittleren Erzählton ohne Rückblende chronologisch nach vorn. Im parallelen, auch linear erzählten Handlungsstrang geht es um San-Sans Cyber-Kommunikation mit einem im Netz chattenden unbekannten Pseudonym, San-Sans Cyber-Sex mit ihm und ihr Gefühl, hier mit einer Maschine zu vögeln. Die Sprache hat banale Eigentümlichkeiten wie das lakonische Jepp, mit dem San-San als Frühvierzigerin Zustimmung kommuniziert, das scheinjugendliche geile Gefühl, das drei 50-€-Scheine hervorrufen, oder das kindliche Biggi giggelte des Erzählers. Freilich gibt es gibt auch sprachlich Anspruchsvolleres: Luxus eines neuen Bügeleisens, Leben auf Ersatzteilniveau, Lust auf Lust oder antiklerikalen Witz als Anspielung auf den Evangelikalen Paulus: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht demonstrieren.

Genrebezogen schließt der Erzählstoff an Szenenromane an. In denen ging es um Studies in Hamburg und München (Uwe Timms Heißer Sommer 1974), in Hamburg (Dietrich Schwanitz´ Campus 1995), um flippige Aussteiger in Wiesbaden (Hans-Josef Orteils Agenten 1989) oder in Berlin (Helmut Kuhns Gewegschäden 2012). In Hartz 5 geht es um eine besondere Szene. Weder versteht sie sich selbst als solche noch wird sie so fremdverstanden. Eine Hartzvierer-Szene gibt es im gegenwärtigen Ganzdeutschland noch nicht.

Der Campus von Schwanitz wurde 1998 verfilmt. Auch Hetzlers aufklärende und unterhaltsame Hartz 5-Erzählung hat filmisches Potential. Im Film könnten zum einen erzählerisch schwache soziale Oben-Unten-Linien bildhaft werden. Als auch zum anderen konturiert werden: verrechtlichte Formen der Auseinandersetzungen drücken nicht Stärken, sondern Schwächen aus. Und binden bei aller Notwendigkeit produktive Kräfte der Betroffenen.

Politisch veranschaulicht Hartz 5 einen gesellschaftlichen Tatbestand und eine bittere Erfahrung: derzeit verzichten hierzulande nahezu fünf Millionen Menschen oder gut ein Drittel der Berechtigten auf Hartzvier-Leistungen. Und „immer mehr Jobcenter legen es bewußt darauf an, abschreckende Wirkung zu entfalten.“ Dem entspricht diese Vorstandsaussage der Bundesagentur für Arbeit: „Der Erfolg unserer Anstrengungen wird in den nächsten Jahren noch mehr am Abbau des Langzeitleistungsbezugs liegen.“ (jW 2.7.2013, S. 8)

Peter Hetzler, Hartz 5. Ein Hartz IV-Roman. Norderstedt: Books on Demand, 2013, 153 S., 9,90 €, ISBN 978-3-7322-3790-6

Richard Albrecht ist „gelernter“ Journalist, extern provomiert und habilitiert, als historisch arbeitender Sozialwissenschaftler der Aufklärung verpflichtet, lebt seit seiner Beurlaubung als Privatdozent (1989) als Freier Autor & Editor in Bad Münstereifel und war 2002/07 Herausgeber von rechtskultur.de. Unabhängiges online-Magazin für Menschen und Bürgerrechte. Letzte Buchveröffentlichung -> HELDENTOD. Kurze Texte aus langen Jahren (Aachen: Shaker, 2011). Bio-Bibliographie -> http://wissenschaftsakademie.net 

 

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