Wiederaufnahme(verfahren). Zum „Skandalfall Mollath“

(1) Unter bestimmten, eng definierten Voraussetzungen kann ein „rechtskräftig“ abgeschlossenes Verfahren erneut durchgeführt werden1: im Zivilprozess, im Verwaltungs(gerichts)prozess und im hier interessierenden Strafprozess. Im „Fall Mollath“ gibt es inzwischen zwei einander kaum widersprechende, eher ergänzende, umfangreiche Anträge auf Wiederaufnahme, jeweils ans Landgericht Regensburg gerichtet: einmal den des Hamburger Strafverteidigers Dr. Gerhard Strate vom 19.2.20132; zum anderen den der Staatsanwaltschaft Regensburg vom18.3.20133. Der auch publizistisch wichtige Strate-Antrag enthält keine neuen Tatbestände. Sondern hebt ab auf die fehlende rechtliche Grundlage des Strafgerichts sowie seine ungenügende personelle Zusammensetzung und massive Amtpflichtsverletzungen, vor allem (inzwischen strafrechtliche verjährte) mehrfache berufsrichterliche Rechtsbeugung4 des Vorsitzenden Landgerichters Otto Brixner. Dieser erste Antrag begründet damit einen „absoluten“ Wiederaufnahmegrund. Der zweite, staatsanwaltschaftliche Antrag vertritt ebenfalls die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten. Er konzentriert sich auf drei neue Faktenbündel: Nachweise einer „unechten Urkunde“, von Falschaussagen eines Sachverständigen sowie einer Zeugin vor Gericht und Aussage eines neuen, diese belastenden Zeugen. Die Staatsanwaltschaft bleibt damit im instrumentellen Rahmen und äußerst sich, im Gegensatz zur Verteidigung, nicht zum Unrechtscharakter des Ersturteils vom 8.8.2006.

(2) In diesem Wiederaufnahmeverfahren fällt als entscheidende Besonderheit auf, dass es zwei sich nicht wesentlich widersprechende Wiederaufnahmeanträge gibt. Dies ist ein (soweit mir bekannt) erstauftretender oder Präzedenzfall in der Rechtsgeschichte des Freistaats Bayern überhaupt.

(3) Das strafprozessual-formalisierte Wiederaufnahmeverfahren besteht aus zwei Teilen: Aditions- und Probationsverfahren. Erst wird im Aditionsverfahren die Zulässigkeit der Anträge geprüft (§ 368 StPO). Wird die Zulässigkeit bejaht, wird im Probationsverfahren die Begründetheit geprüft (§ 369 StPO). Dann beschließt das Gericht nach § 370 (2) StPO, ob es eine neue Hauptverhandlung geben soll o d e r ob nach § 370 (1) StPO das Urteil ohne neue Hauptverhandlung aufgehoben wird. In beiden Fällen entfällt die Rechtskraft des Urteils, hier des fiktiven Freispruchs vom 8.8.20065 und damit auch die Grundlage für die Vollstreckung: Herr Mollath ist frei (zu lassen).

(4) Die Urteilsaufhebung o h n e neue Hauptverhandlung ist deshalb formal angemessen, weil die 7. Strafkammer beim Landgericht Nürnberg-Fürth damals aus zwei Gründen kein „ordentliches Gericht“, sondern ein manipuliertes Schnellgericht Brixner´scher Prägung ohne „dritten Mann“ war: der Kammer fehlte erstens der/die dritte Berufsrichter/in; und zweitens hatte die Kammer sich als solche nicht durch den in jedem Fall erforderlichen Beschluß konstituiert. (Die genauen Nachweise finden sich im Wiederaufnahmeantrag Strates6 sowie in dessen Beschwerdebegründung [zum Strafantrag] vom 26.03.20137.

(5) Im Übrigen erwarte ich von einer neuen sogenannten „Hauptverhandlung“ sowohl im allgemeinen als auch im besonderen Skandal-„Fall Mollath“ in den nächsten Jahren deshalb nicht (zu) viel „Aufklärung“, weil der Justizapparat in Bayern seit 2003 und damit zehn lange Jahre lang vertuscht hat und noch immer wie und wo auch immer er dies kann zu vertuschen versucht. Und hier, im autoritären Staatshandeln mit regierungs- und staatskriminellen Zügen8, liegt der politische Skandal.

Richard Albrecht ist „gelernter“ Journalist, extern provomierter und habilitierter Sozialwissenschaftler, lebt seit seiner Beurlaubung als Privatdozent (1989) als Freier Autor & Editor in Bad Münstereifel und war 2002/07 Herausgeber von rechtskultur.de. Unabhängiges online-Magazin für Menschen und Bürgerrechte. Bio-Bibliographie -> http://wissenschaftsakademie.net

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2 Antworten zu Wiederaufnahme(verfahren). Zum „Skandalfall Mollath“

  1. Avatarrichard albrecht sagt:

    Nachwort des Autors (080413)

    Hier kurz wenige (scheinbar unsortierte) Gedankensplitter zur von „Kranich05“ im „Opablog“ gestellten Frage: „Was tun eigentlich Menschenrechtsorganisationen zur Befreiung Gustl Mollaths?“[1]

    Kürzlich meinte ´n Kollege in einer Diskussion über die Rolle staatlich anerkannter und/oder staatlich finanziell alimentierter ganzdeutscher Bürgerrechts- (oder noch abstrakt-übergreifender) Menschenrechtsorganisationen: die kannste echt inner Pfeife rauchen. Dem widersprach ich und meinte: umgekehrt wird´n Politschuh draus – d i e kannste nicht mal inner Pfeife rauchen. Menschen- und Bürgerrechte verteidigen steht in diesem Ganzdeutschland zu Beginn der Zehnerjahre immer noch oder schon wieder links. Und nicht rechts. Auch meine ich, daß die Ausrichtung im „Fall Mollath“ auf diese Organisationen entsprechend der Auflistung von zwölf dieser mit den entsprechenden Typen beiderlei Geschlechts nur konterproduktiv sein kann und Kräfte verschleißt, konkret: besser rechts liegen lassen …

    Es gibt (abgesehn von zwei „Fall Mollath“-vergleichbaren NRW-Beispielen, in denen ich mich 2002/04 persönlich engagierte, damit zwei Menschen nicht als „Querulanten“ entmündig/unter Betreuung gestellt/psychiatrisiert werden konnten[2]), ein bundesweit relevantes Beispiel: das Dresdner Lustbild (2010). Da engagierten sich netzöffentlich zwei Editoren für Erika Lusts Kunstfreiheit und gegen die zunächst (rechts)wirksame Kunstwerkszensur; auch, indem sie das „verbotene“ Bild ins Netz stellten[3] [4]. Das versäumten sämtliche ganzdeutschen Quallischurnos à la Zeit, Spiegel, Tagesspiegel[5] et tutti quanti. Und daß ebenso wenig von sämtlichen dieser da oben aufgelisteten „Menschenrechtler“-Organisationen kam – ist eh klar. Aber auch von den im „Fall Mollath“ seit Monaten so hochgelobten kritischen Justizblogs der Wolff, Müller (die meinen, meine Beiträge zensieren zu müssen), García und Stadler kam wenig(er als wenig), genauer: da kam, als es drauf ankam, weiland gar nichts.

    So gesehn, haben im gegenwärtigen Ganzdeutschland diese Quallischurns, diese Menschenrechtler und diese Justizkritiker etwas gemein, das Knut Kiesewetter in seinem Lied „Die Macht im Staat“ vor vierzig Jahren so kommentierte: „Wir da unten haben Euch das ja nie so recht geglaubt …“[6]

    [1] http://opablog.net/2013/04/05/was-tun-eigentlich-menschenrechtsorganisationen-zur-befreiung-gustl-mollaths/
    [2] http://querulanten.org (10.06.10)
    [3] http://ricalb.files.wordpress.com/2010/04/lustbrief.pdf (23.03.10)
    [4] http://duckhome.de/tb/archives/8594-LUSTBILD.htmlm (11.11.10)
    [5] http://blog.beck.de/2012/11/29/fall-mollath-wie-geht-es-weiter?page=8 (18.12.12: Brief an Herrn Dirk Steffens von Tagesspiegel [und] ZDF)
    [6] http://www.youtube.com/watch?v=Pfi1WNSSS0s

    Dr. Richard Albrecht
    http://eingreifendes-denken.net

  2. Pingback:April-Scherze und Bacon-Kondome - die Links der Woche vom 29.3. bis zum 4.4. | Männer unter sich

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